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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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halbes Jahr vorher wurden ganz gewiß die Vertreter des Landes unter ge¬
nauer Beobachtung der Knrialien einberufen. In sofern sie nicht dnrch Gicht,
Podagra, Steinschmerzen und allerhand häusliche Hinderungsgründe sich ent¬
schuldigten, stellten sie sich in Weimar ein. Wer nicht kam, für den trat kein
Ersatzmann ein, denn auf einige Abgeordnete mehr oder weniger pflegte es
nicht anzukommen, da diese Herren mit staunenswerther Schnelligkeit und meist
auch Einmüthigkeit in zwei bis drei Tagen das Wohl des Landes beriethen,
indem sie zunächst in überschwänglichen Ausdrücken ihre Devotion für die Ein¬
berufung zu erkennen gaben. Auch diese hatten natürlich einen fast stets sich
gleich bleibenden Kurialstil. Nahe Neujahrstage, Geburtsfeste der Fürsten
wußte man in dem Dankschreiben besonders zu würdigen; und sobald diese
äußeren Anlässe für eine andere Kouzipirung nicht vorhanden waren, schrieben
sie in der Regel: "Obwohl den Ständen bereits so viele Proben hoher Gnade
zu ihrer eigenen Konsolation kund geworden, daß sie solche mit gebührendem
Ruhme nicht würden erheben können, so gewinnt doch die allen Preis über¬
steigende fürstliche Providenz dadurch noch einen ausnehmenden Zusatz, daß
Ew. Durchlaucht abermals die Stände berufen und zum unterthänigsten Bei¬
rath erfordert haben. Wir statten zuförderst göttlicher Majestät vor die
gnadenreiche Erhaltung Ew. Durchlaucht als des unschätzbarsten Kleinodes
des in Segen blühenden weimarischen Landes den gebührenden Dank ab."

Wenn je in der Welt gegen die innerste Ueberzeugung, namentlich hin¬
sichtlich der Blüte des weimarischen Landes gesprochen, und die Souveräni¬
tätsgelüste in unverantwortlicher Weise zum Nachtheil des gesammten Landes
auch hier gehegt und gepflegt worden sind, so verstand andrerseits Serenissimus
keineswegs, diese gewohnheitsmäßigen Formalitäten auf das richtige Maß zu¬
rückzuführen, sondern er nahm die Ergebenheitsausdrücke als bare Münze
entgegen. Die Landstände ernteten, was sie gesäet hatten. Wie folgenschwer
auch ihr Ja gegenüber den Forderungen war, so wurde doch bei kleinen
Ausschußtagen die Propositionsschrift schon am Einbernfungstage durchberathen
und sofort die Reinschrift der Antwort fertig gestellt, welche drei bis vier Mit¬
glieder persönlich der Regierung überreichten. Die letztere pflog nnn proto¬
kollarische Verhandlungen, sie gab, wenn vielleicht der Beschluß der Landstände
den Erwartungen nicht vollkommen entsprach oder gar zu schnell gefaßt war,
Direktiven für die weitere Behandlung der Fragen; aber bei günstigen Reso¬
lutionen der Stunde wurden die Entschließungen dem höchst Regierenden so¬
fort mitgetheilt und am nächsten Tage schon der "gnadenreiche" Abschied
ertheilt. Das war ungefähr der Hergang in den Zeiten, wo die Leistungen
den Forderungen entsprachen. Im allgemeinen war dies unter der gemein¬
samen Regierung der Herzöge Wilhelm Ernst und Ernst August der Fall-


halbes Jahr vorher wurden ganz gewiß die Vertreter des Landes unter ge¬
nauer Beobachtung der Knrialien einberufen. In sofern sie nicht dnrch Gicht,
Podagra, Steinschmerzen und allerhand häusliche Hinderungsgründe sich ent¬
schuldigten, stellten sie sich in Weimar ein. Wer nicht kam, für den trat kein
Ersatzmann ein, denn auf einige Abgeordnete mehr oder weniger pflegte es
nicht anzukommen, da diese Herren mit staunenswerther Schnelligkeit und meist
auch Einmüthigkeit in zwei bis drei Tagen das Wohl des Landes beriethen,
indem sie zunächst in überschwänglichen Ausdrücken ihre Devotion für die Ein¬
berufung zu erkennen gaben. Auch diese hatten natürlich einen fast stets sich
gleich bleibenden Kurialstil. Nahe Neujahrstage, Geburtsfeste der Fürsten
wußte man in dem Dankschreiben besonders zu würdigen; und sobald diese
äußeren Anlässe für eine andere Kouzipirung nicht vorhanden waren, schrieben
sie in der Regel: „Obwohl den Ständen bereits so viele Proben hoher Gnade
zu ihrer eigenen Konsolation kund geworden, daß sie solche mit gebührendem
Ruhme nicht würden erheben können, so gewinnt doch die allen Preis über¬
steigende fürstliche Providenz dadurch noch einen ausnehmenden Zusatz, daß
Ew. Durchlaucht abermals die Stände berufen und zum unterthänigsten Bei¬
rath erfordert haben. Wir statten zuförderst göttlicher Majestät vor die
gnadenreiche Erhaltung Ew. Durchlaucht als des unschätzbarsten Kleinodes
des in Segen blühenden weimarischen Landes den gebührenden Dank ab."

Wenn je in der Welt gegen die innerste Ueberzeugung, namentlich hin¬
sichtlich der Blüte des weimarischen Landes gesprochen, und die Souveräni¬
tätsgelüste in unverantwortlicher Weise zum Nachtheil des gesammten Landes
auch hier gehegt und gepflegt worden sind, so verstand andrerseits Serenissimus
keineswegs, diese gewohnheitsmäßigen Formalitäten auf das richtige Maß zu¬
rückzuführen, sondern er nahm die Ergebenheitsausdrücke als bare Münze
entgegen. Die Landstände ernteten, was sie gesäet hatten. Wie folgenschwer
auch ihr Ja gegenüber den Forderungen war, so wurde doch bei kleinen
Ausschußtagen die Propositionsschrift schon am Einbernfungstage durchberathen
und sofort die Reinschrift der Antwort fertig gestellt, welche drei bis vier Mit¬
glieder persönlich der Regierung überreichten. Die letztere pflog nnn proto¬
kollarische Verhandlungen, sie gab, wenn vielleicht der Beschluß der Landstände
den Erwartungen nicht vollkommen entsprach oder gar zu schnell gefaßt war,
Direktiven für die weitere Behandlung der Fragen; aber bei günstigen Reso¬
lutionen der Stunde wurden die Entschließungen dem höchst Regierenden so¬
fort mitgetheilt und am nächsten Tage schon der „gnadenreiche" Abschied
ertheilt. Das war ungefähr der Hergang in den Zeiten, wo die Leistungen
den Forderungen entsprachen. Im allgemeinen war dies unter der gemein¬
samen Regierung der Herzöge Wilhelm Ernst und Ernst August der Fall-


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[0086] halbes Jahr vorher wurden ganz gewiß die Vertreter des Landes unter ge¬ nauer Beobachtung der Knrialien einberufen. In sofern sie nicht dnrch Gicht, Podagra, Steinschmerzen und allerhand häusliche Hinderungsgründe sich ent¬ schuldigten, stellten sie sich in Weimar ein. Wer nicht kam, für den trat kein Ersatzmann ein, denn auf einige Abgeordnete mehr oder weniger pflegte es nicht anzukommen, da diese Herren mit staunenswerther Schnelligkeit und meist auch Einmüthigkeit in zwei bis drei Tagen das Wohl des Landes beriethen, indem sie zunächst in überschwänglichen Ausdrücken ihre Devotion für die Ein¬ berufung zu erkennen gaben. Auch diese hatten natürlich einen fast stets sich gleich bleibenden Kurialstil. Nahe Neujahrstage, Geburtsfeste der Fürsten wußte man in dem Dankschreiben besonders zu würdigen; und sobald diese äußeren Anlässe für eine andere Kouzipirung nicht vorhanden waren, schrieben sie in der Regel: „Obwohl den Ständen bereits so viele Proben hoher Gnade zu ihrer eigenen Konsolation kund geworden, daß sie solche mit gebührendem Ruhme nicht würden erheben können, so gewinnt doch die allen Preis über¬ steigende fürstliche Providenz dadurch noch einen ausnehmenden Zusatz, daß Ew. Durchlaucht abermals die Stände berufen und zum unterthänigsten Bei¬ rath erfordert haben. Wir statten zuförderst göttlicher Majestät vor die gnadenreiche Erhaltung Ew. Durchlaucht als des unschätzbarsten Kleinodes des in Segen blühenden weimarischen Landes den gebührenden Dank ab." Wenn je in der Welt gegen die innerste Ueberzeugung, namentlich hin¬ sichtlich der Blüte des weimarischen Landes gesprochen, und die Souveräni¬ tätsgelüste in unverantwortlicher Weise zum Nachtheil des gesammten Landes auch hier gehegt und gepflegt worden sind, so verstand andrerseits Serenissimus keineswegs, diese gewohnheitsmäßigen Formalitäten auf das richtige Maß zu¬ rückzuführen, sondern er nahm die Ergebenheitsausdrücke als bare Münze entgegen. Die Landstände ernteten, was sie gesäet hatten. Wie folgenschwer auch ihr Ja gegenüber den Forderungen war, so wurde doch bei kleinen Ausschußtagen die Propositionsschrift schon am Einbernfungstage durchberathen und sofort die Reinschrift der Antwort fertig gestellt, welche drei bis vier Mit¬ glieder persönlich der Regierung überreichten. Die letztere pflog nnn proto¬ kollarische Verhandlungen, sie gab, wenn vielleicht der Beschluß der Landstände den Erwartungen nicht vollkommen entsprach oder gar zu schnell gefaßt war, Direktiven für die weitere Behandlung der Fragen; aber bei günstigen Reso¬ lutionen der Stunde wurden die Entschließungen dem höchst Regierenden so¬ fort mitgetheilt und am nächsten Tage schon der „gnadenreiche" Abschied ertheilt. Das war ungefähr der Hergang in den Zeiten, wo die Leistungen den Forderungen entsprachen. Im allgemeinen war dies unter der gemein¬ samen Regierung der Herzöge Wilhelm Ernst und Ernst August der Fall-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/86>, abgerufen am 17.06.2024.