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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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rung für geboten und für eine nach keinerlei Richtung hin zu beanstandende
erachten, mit dem Anfügen, daß sich, um eine eventuelle Ueberlastung einzelner,
insbesondere städtischer Armenverbände zu verhüten, empfehle: Die Einrichtung
obligatorischer Hilfskassen auf Grund des Reichsgesetzes vom 8, April 1876,
womöglich in einer Ausdehnung ihrer Wirksamkeit, daß die Beihilfe nicht
blos für die Fälle zweiteiliger Unterstützungsbedürftigkeit in Folge von Er¬
krankung gewährt würde; Festsetzung strenger Strafen für Fälle der mißbräuch¬
lichen Erwerbung des Uuterstützungswvhusitzes durch Nrmenverbcinde für ihre
Angehörigen; Hereinziehung des Staates zu dem Aufwand der Armenverbände,
falls derselbe ein in angemessenen Verhältniß zu ^ dem beitragspflichtigen
Stenerkapital festzusetzendes Maß überschreiten würde.


Zu Ziffer 2.

Nach den "Motiven" ist das 21. Lebensjahr als das
zum Erwerb und Verlust des Unterstützungswvhnsitzes befähigende an Stelle
des 24. zunächst aus dem Grunde in Vorschlag gebracht, weil jenes seit Wirk¬
samkeit des Reichsgesetzes vom 17. Februar 1875 den Volljährigkeitstermin
für das ganze Reich bezeichnet. Das Gesetz vom 6. Juni 1870 geht (vergl.
M- 12, 24) davon aus, daß der Unterstiitzungswohnsitz durch einen auf freier
Selbstbestimmung beruhenden fortgesetzten Aufenthalt erworben und durch eine
ebenso gestaltete Abwesenheit verloren werden soll. Beginnt aber gemäß dem
Reichsgesetz vom 17. Februar 1875 die sreie Selbstbestimmung mit dem voll¬
endeten 2t. Lebensjahr, so erscheint es kaum folgerichtig, statt des letzteren
nunmehr in dem Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz einem um 3 Jahre
späteren Termin beizubehalten. Die Logik dieser Begründung ist überzeugend
und es kann ihr keinen Eintrag thun, daß das rechtliche Verhältniß der Voll¬
jährigkeit und das thatsächliche der wirthschaftlichen Selbstständigkeit sich nicht
durchweg decken. In der That ist anch, wie bereits oben bemerkt, diese Ge¬
setzesänderung der am wenigsten umstrittene Punkt. Indem wir ans die oben
Segebene allgemeine Ausführung verweisen, dürfte es hier genügen, noch der
M den "Motiven" zu uuserem Gesetzentwurf enthaltenen, den wirthschaftlichen
Berhültnissenen entnommenen Begründung Erwähnung zu thun. "In Folge
der Freizügigkeit -- so ist dort gesagt -- und getrieben durch die Aussichten
auf leichteren Erwerb wandern ländliche Arbeiter schon in frühen Lebensjahren
massenweise den Städten, namentlich den Industriestädten zu. Das Land, das
sie bis zum Termin der erreichten Arbeitsfähigkeit groß gezogen hat, zieht
von dieser Arbeitsfähigkeit keinen Nutzen, ist aber trotzdem der nur allzu
häufig hervortretenden Gefahr ausgesetzt, dieselben Personen wieder zu über-



*) Vergl. auch die Ausführungen in Ur. 126 und 123 der "Frankfurter Zeitung", mit
welchem Blatte wir in der Stipnliruug obiger Punkte zusammentreffen.

rung für geboten und für eine nach keinerlei Richtung hin zu beanstandende
erachten, mit dem Anfügen, daß sich, um eine eventuelle Ueberlastung einzelner,
insbesondere städtischer Armenverbände zu verhüten, empfehle: Die Einrichtung
obligatorischer Hilfskassen auf Grund des Reichsgesetzes vom 8, April 1876,
womöglich in einer Ausdehnung ihrer Wirksamkeit, daß die Beihilfe nicht
blos für die Fälle zweiteiliger Unterstützungsbedürftigkeit in Folge von Er¬
krankung gewährt würde; Festsetzung strenger Strafen für Fälle der mißbräuch¬
lichen Erwerbung des Uuterstützungswvhusitzes durch Nrmenverbcinde für ihre
Angehörigen; Hereinziehung des Staates zu dem Aufwand der Armenverbände,
falls derselbe ein in angemessenen Verhältniß zu ^ dem beitragspflichtigen
Stenerkapital festzusetzendes Maß überschreiten würde.


Zu Ziffer 2.

Nach den „Motiven" ist das 21. Lebensjahr als das
zum Erwerb und Verlust des Unterstützungswvhnsitzes befähigende an Stelle
des 24. zunächst aus dem Grunde in Vorschlag gebracht, weil jenes seit Wirk¬
samkeit des Reichsgesetzes vom 17. Februar 1875 den Volljährigkeitstermin
für das ganze Reich bezeichnet. Das Gesetz vom 6. Juni 1870 geht (vergl.
M- 12, 24) davon aus, daß der Unterstiitzungswohnsitz durch einen auf freier
Selbstbestimmung beruhenden fortgesetzten Aufenthalt erworben und durch eine
ebenso gestaltete Abwesenheit verloren werden soll. Beginnt aber gemäß dem
Reichsgesetz vom 17. Februar 1875 die sreie Selbstbestimmung mit dem voll¬
endeten 2t. Lebensjahr, so erscheint es kaum folgerichtig, statt des letzteren
nunmehr in dem Reichsgesetz über den Unterstützungswohnsitz einem um 3 Jahre
späteren Termin beizubehalten. Die Logik dieser Begründung ist überzeugend
und es kann ihr keinen Eintrag thun, daß das rechtliche Verhältniß der Voll¬
jährigkeit und das thatsächliche der wirthschaftlichen Selbstständigkeit sich nicht
durchweg decken. In der That ist anch, wie bereits oben bemerkt, diese Ge¬
setzesänderung der am wenigsten umstrittene Punkt. Indem wir ans die oben
Segebene allgemeine Ausführung verweisen, dürfte es hier genügen, noch der
M den „Motiven" zu uuserem Gesetzentwurf enthaltenen, den wirthschaftlichen
Berhültnissenen entnommenen Begründung Erwähnung zu thun. „In Folge
der Freizügigkeit — so ist dort gesagt — und getrieben durch die Aussichten
auf leichteren Erwerb wandern ländliche Arbeiter schon in frühen Lebensjahren
massenweise den Städten, namentlich den Industriestädten zu. Das Land, das
sie bis zum Termin der erreichten Arbeitsfähigkeit groß gezogen hat, zieht
von dieser Arbeitsfähigkeit keinen Nutzen, ist aber trotzdem der nur allzu
häufig hervortretenden Gefahr ausgesetzt, dieselben Personen wieder zu über-



*) Vergl. auch die Ausführungen in Ur. 126 und 123 der „Frankfurter Zeitung", mit
welchem Blatte wir in der Stipnliruug obiger Punkte zusammentreffen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/107>, abgerufen am 05.05.2024.