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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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England Stimmen, welche dem Staate und dem Staatszwecke einen andern
Inhalt geben möchten, welche davon reden, daß außer dem Nationalreichthum
auch nationale Ehre, nationale Gesundheit und nationale Sittlichkeit, und
zwar in erster Reihe Staatszwecke sein sollten. Aber da schrien sofort die
thörichten Träger des Kapital- und Parteigeistes, man müsse die wirthschaft¬
liche und sittliche Erziehung gewähren lassen und deu Einfluß des Staates
auf das kleinste Maß einschränken." -- "Wenn es dem Kapital gelingt, im
Staate zu übermächtigen Einflüsse zu gelangen, so wird dadurch die gleich¬
mäßige Entwickelung gestört und der Kampf mit der Arbeit verschärft. Gelingt
es aber gar der Arbeit, die Gewaltherrschaft zu erringen, so folgt aus dem
Umsturz ein Rückschlag für die Entwickelung des Gesammtorganismus, welcher
gewöhnlich sehr lange anhält. Die Staatscntwickelung Frankreichs bietet für
beide Fälle die sprechendste Organisation." Das sind sehr beherzigenswerthe
Gedanken, wie denn das ganze Buch überhaupt reich an vortrefflichen, aus
gründlicher Kenntniß des Gegenstandes geschöpften Bemerkungen ist, die um
so werthvoller sind, als sie durchaus maßvoll und in klarer, knapper Sprache
vorgetragen werden. Besonders dankenswert!) sind u. A. der Abschnitt über
den englischen Freihandel, in welchen: nachgewiesen wird, daß England in
seinen Kolonien noch vielfach Schutzzölle erhebt, und der über das Mauchester-
thum, aus welchem wir demnächst einige Mittheilung, welche die englische
Handelspolitik beleuchten, in Auszügen zu bringen gedenken. Wir empfehlen
die Schrift, deren Ausführungen wir in allem Wesentlichen unterschreiben, den
Lesern der Grenzboten angelegentlich.


G. E. Lessing's Stellung zur Philosophie des Spinoza von Dr. Karl
Nehorn. Frankfurt a. M. Verlag von M. Diestcrweg. 1^77.

Lessing hat, wenn auch nur mittelbar, den Anstoß zu erneutem allgemei¬
neren Studium Spinoza's gegeben. Durch Veröffentlichung des Gesprächs
zwischen Jacobi und Lessing und den daran sich knüpfenden Streit zwischen
ersterem und Mendelssohn wurde man ans Spinoza wieder aufmerksam. Die
damals aufgeworfene Frage, wie weit Lessing mit Spinoza verwandt sei, fand
keine genügende Lösung. Jetzt nimmt sie der Verfasser wieder auf und gelangt
dabei zu folgenden Ergebnissen:

Die Philosophie der beiden Denker ist das Spiegelbild ihrer Persönlichkeit.
Spinoza, der beschauliche Weise, zog sich aus dem Geräusche der Welt zurück,
um sich seinen "Himmel im Verstände" nicht trüben zu lassen. Ruhe im
Innern durch Beherrschung der Leidenschaft und Ruhe nach Außer hin dnrch
Abweisung der Störungen, welche die Berührung mit der Welt zur Folge
hat, siud das ihm vorschwebende und von ihm zuletzt erreichte Ideal. Diese


England Stimmen, welche dem Staate und dem Staatszwecke einen andern
Inhalt geben möchten, welche davon reden, daß außer dem Nationalreichthum
auch nationale Ehre, nationale Gesundheit und nationale Sittlichkeit, und
zwar in erster Reihe Staatszwecke sein sollten. Aber da schrien sofort die
thörichten Träger des Kapital- und Parteigeistes, man müsse die wirthschaft¬
liche und sittliche Erziehung gewähren lassen und deu Einfluß des Staates
auf das kleinste Maß einschränken." — „Wenn es dem Kapital gelingt, im
Staate zu übermächtigen Einflüsse zu gelangen, so wird dadurch die gleich¬
mäßige Entwickelung gestört und der Kampf mit der Arbeit verschärft. Gelingt
es aber gar der Arbeit, die Gewaltherrschaft zu erringen, so folgt aus dem
Umsturz ein Rückschlag für die Entwickelung des Gesammtorganismus, welcher
gewöhnlich sehr lange anhält. Die Staatscntwickelung Frankreichs bietet für
beide Fälle die sprechendste Organisation." Das sind sehr beherzigenswerthe
Gedanken, wie denn das ganze Buch überhaupt reich an vortrefflichen, aus
gründlicher Kenntniß des Gegenstandes geschöpften Bemerkungen ist, die um
so werthvoller sind, als sie durchaus maßvoll und in klarer, knapper Sprache
vorgetragen werden. Besonders dankenswert!) sind u. A. der Abschnitt über
den englischen Freihandel, in welchen: nachgewiesen wird, daß England in
seinen Kolonien noch vielfach Schutzzölle erhebt, und der über das Mauchester-
thum, aus welchem wir demnächst einige Mittheilung, welche die englische
Handelspolitik beleuchten, in Auszügen zu bringen gedenken. Wir empfehlen
die Schrift, deren Ausführungen wir in allem Wesentlichen unterschreiben, den
Lesern der Grenzboten angelegentlich.


G. E. Lessing's Stellung zur Philosophie des Spinoza von Dr. Karl
Nehorn. Frankfurt a. M. Verlag von M. Diestcrweg. 1^77.

Lessing hat, wenn auch nur mittelbar, den Anstoß zu erneutem allgemei¬
neren Studium Spinoza's gegeben. Durch Veröffentlichung des Gesprächs
zwischen Jacobi und Lessing und den daran sich knüpfenden Streit zwischen
ersterem und Mendelssohn wurde man ans Spinoza wieder aufmerksam. Die
damals aufgeworfene Frage, wie weit Lessing mit Spinoza verwandt sei, fand
keine genügende Lösung. Jetzt nimmt sie der Verfasser wieder auf und gelangt
dabei zu folgenden Ergebnissen:

Die Philosophie der beiden Denker ist das Spiegelbild ihrer Persönlichkeit.
Spinoza, der beschauliche Weise, zog sich aus dem Geräusche der Welt zurück,
um sich seinen „Himmel im Verstände" nicht trüben zu lassen. Ruhe im
Innern durch Beherrschung der Leidenschaft und Ruhe nach Außer hin dnrch
Abweisung der Störungen, welche die Berührung mit der Welt zur Folge
hat, siud das ihm vorschwebende und von ihm zuletzt erreichte Ideal. Diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/125>, abgerufen am 02.05.2024.