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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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Vermittelung, welche als die eigentliche Freihandelslehre im nationalen Sinne
erscheint.

Hieraus erfolgt die Reform, die bezüglich der deutschen Handelspolitik zu
wünschen ist, von selbst. Dieselbe besteht theils in der Ausführung bestimmter
vom Verfasser nur kurz angedeuteter Vorschläge, theils in einer andern
Stellung des Staates zur Arbeit. In Betreff des Staatsschntzes verlangt der
Verfasser Reform des deutschen Zolltarifs aus dem Ganzen auf Grund der
thatsächlichen Verhältnisse. "Die allgemeinste Grundlage für eine umfassende
wirthschaftliche Reform", sagt er, "ist erstens die ökonomische Stufe der ge-
sammten Volkswirthschaft eines Landes, beurtheilt nach dem Zusammenhang
der Entwickelung der Landwirthschaft, der Industrie, des Verkehrswesens und
der Arbeitstechnik. Zweitens bildet die Widerstandsfähigkeit der einzelnen
Produktionszweige gegen die inneren und äußeren antagonistischen Wirkungen
ihrer gesunden Existenz das Kriterium für den Staatsschutz. Endlich ergibt
die Verpflichtung des Staates, aktiv einzutreten in den Entwickelungskampf
zwischen Kapital und Arbeit, theils um sich selbst die Prärogative zu sichern,
theils um dem Schwächeren, dem Arbeiter, beizustehen, die staatliche Organi¬
sation der Arbeit, deren Ziel die Vervollkommnung der Arbeitstechnik ist." --
"Es ist eine durchaus verkehrte Anschauung, daß der Staat (der mit einer-
allgemeinen wirthschaftlichen Enquete zu beginnen hätte) eine nähere Verbin¬
dung auf dem Boden der thatsächlichen Verhältnisse mit der Industrie, der
Landwirthschaft und dem Handelsstande zurückweist oder doch auf das geringste
Maß einzuschränken strebt. Bei aller Hochachtung vor unsern gesetzgebenden
und verwaltenden Körperschaften muß man sagen, daß die vornehme Zurück¬
weisung, welche zum Theil der grüne Tisch, besonders aber die Majorität des
Reichstages (vorzüglich ans Gründen der Manchestertheorie) der Praxis des
Lebens im Erwerbs- und Handelsstande angedeihen läßt, wenig geeignet er¬
scheint, der Staatsleitung aus tieferforschter Kenntniß die wahren Bedürfnisse
jener Stände vorzutragen." -- Der Staat ist der Organismus, in welchem
Kapital und Arbeit fortwährend bestrebt sind, sich einseitig geltend zu macheu.
Der Staat hat die Pflicht, dies zu verhüten und zu sorgen, daß sie sich das
Gleichgewicht halten. Thut er dies nicht, so erfolgt eine Störung des Orga¬
nismus. "In England hat das Kapital auf Kosten des Staates eine solche
Störung herbeigeführt. Der Staat muß sich mit der äußern glänzenden
Machtform begnügen, das Kapital nimmt fast allein den Inhalt für sich in
Anspruch, der Staat ist gewissermaßen Exekntivbeamter der Kapitalinteressen.
Die Geschichte weist die traurigsten Akte auf, welche das Kapital zu seinen
Gunsten in der Staatspolitik durchsetzte. Erst in neuerer Zeit, nachdem die
Völker durch näheren Verkehr von einander gelernt haben, regen sich auch in


Vermittelung, welche als die eigentliche Freihandelslehre im nationalen Sinne
erscheint.

Hieraus erfolgt die Reform, die bezüglich der deutschen Handelspolitik zu
wünschen ist, von selbst. Dieselbe besteht theils in der Ausführung bestimmter
vom Verfasser nur kurz angedeuteter Vorschläge, theils in einer andern
Stellung des Staates zur Arbeit. In Betreff des Staatsschntzes verlangt der
Verfasser Reform des deutschen Zolltarifs aus dem Ganzen auf Grund der
thatsächlichen Verhältnisse. „Die allgemeinste Grundlage für eine umfassende
wirthschaftliche Reform", sagt er, „ist erstens die ökonomische Stufe der ge-
sammten Volkswirthschaft eines Landes, beurtheilt nach dem Zusammenhang
der Entwickelung der Landwirthschaft, der Industrie, des Verkehrswesens und
der Arbeitstechnik. Zweitens bildet die Widerstandsfähigkeit der einzelnen
Produktionszweige gegen die inneren und äußeren antagonistischen Wirkungen
ihrer gesunden Existenz das Kriterium für den Staatsschutz. Endlich ergibt
die Verpflichtung des Staates, aktiv einzutreten in den Entwickelungskampf
zwischen Kapital und Arbeit, theils um sich selbst die Prärogative zu sichern,
theils um dem Schwächeren, dem Arbeiter, beizustehen, die staatliche Organi¬
sation der Arbeit, deren Ziel die Vervollkommnung der Arbeitstechnik ist." —
„Es ist eine durchaus verkehrte Anschauung, daß der Staat (der mit einer-
allgemeinen wirthschaftlichen Enquete zu beginnen hätte) eine nähere Verbin¬
dung auf dem Boden der thatsächlichen Verhältnisse mit der Industrie, der
Landwirthschaft und dem Handelsstande zurückweist oder doch auf das geringste
Maß einzuschränken strebt. Bei aller Hochachtung vor unsern gesetzgebenden
und verwaltenden Körperschaften muß man sagen, daß die vornehme Zurück¬
weisung, welche zum Theil der grüne Tisch, besonders aber die Majorität des
Reichstages (vorzüglich ans Gründen der Manchestertheorie) der Praxis des
Lebens im Erwerbs- und Handelsstande angedeihen läßt, wenig geeignet er¬
scheint, der Staatsleitung aus tieferforschter Kenntniß die wahren Bedürfnisse
jener Stände vorzutragen." — Der Staat ist der Organismus, in welchem
Kapital und Arbeit fortwährend bestrebt sind, sich einseitig geltend zu macheu.
Der Staat hat die Pflicht, dies zu verhüten und zu sorgen, daß sie sich das
Gleichgewicht halten. Thut er dies nicht, so erfolgt eine Störung des Orga¬
nismus. „In England hat das Kapital auf Kosten des Staates eine solche
Störung herbeigeführt. Der Staat muß sich mit der äußern glänzenden
Machtform begnügen, das Kapital nimmt fast allein den Inhalt für sich in
Anspruch, der Staat ist gewissermaßen Exekntivbeamter der Kapitalinteressen.
Die Geschichte weist die traurigsten Akte auf, welche das Kapital zu seinen
Gunsten in der Staatspolitik durchsetzte. Erst in neuerer Zeit, nachdem die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/124>, abgerufen am 19.05.2024.