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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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wohl ist es auch zu Homers Tagen noch hoher Ruhm unter deu Achüern, ein
guter Schütze zu sein; aber die Helden ziehn es doch vor, aus größerer Nähe
mit der Lanze gegeneinander zu kämpfen. Die Vorkämpfer brauchen die Lanze
viel seltener zum Stoß als zum Wurf, wobei es darauf ankommt, den
Speer so gewaltig zu schleudern, daß er Schild und Panzer durchdringt. Das
schwergewaffnete Fußvolk bedient sich dagegen der Lanze zum Stoß. Unter
den Stämmen, welche den Nahkampf in geordneten Schaaren durchführten, er¬
wähnt die Ilias besonders die tapferen Abarten. Auch die, Arkader und
Dardaner genießen desselben Rufes; und unter den Führern erscheint als der
vornehmste Taktiker Nestor, "der gerenische Reisige." Er spricht den großen
allgemeinen Grundsatz aller Naturvölker aus, die Männer nach den Stämmen,
Sippschaften und Geschlechtern anzuordnen; er stellt eine Doppelphalanx auf:
die Streitwagen im ersten, das Fußvolk im zweiten Treffen, und befiehlt, in
gleichmäßiger Linie vorzurücken; er schon wendet den Kunstgriff an, die schlechten
Krieger in die Mitte zu nehmen, um sie zum Kampfe zu nöthigen.

Uebrigens führten nicht alle griechischen Völker die Nahwaffen. Die
Mannen des Philoktetes, die Lokrer des jüngeren Ajas und die Päonier fechten
als Bogenschützen; die Lokrer gebrauchten auch die Schleuder. Aber diese
Fernwaffen führenden Stämme treten doch offenbar zurück, und es ist wohl
nicht zufällig, daß der Name des Tenkros, des besten Bogenschützen im grie¬
chischen Heere, nach Asien deutet; deun Teukros ist zugleich der Name des
ersten Königs von Troas, dessen Bewohner nach ihm Teukrer genannt wurden.

Von gegenseitiger Unterstützung der verschiedenen Waffen ist noch nicht
die Rede; jeder Held, jeder Stamm kämpft nach seiner Gewohnheit und Landes¬
art mit dem gegenüberstehenden Feinde. -- Die Belagerungskunst zeigt sich
noch ganz in der Kindheit; List und Verrath traten an die Stelle des Wissens
und der Gewandtheit. Die Achüer, dnrch stete Entsendungen zur Beschaffung
der Verpflegung geschwächt, sahen sich selbst gelegentlich in ihrem nur leicht
verschanzten Schiffslager angegriffen. -- So gewährt der Krieg um Ilion in
taktischer und poliorketischer Hinsicht noch ein Bild großer Ursprünglichkeit, das
weit abweicht von dem, welches die höheren Entwicklungstufen der griechischen
Kriegskunst darbieten; in Bezug ans die Bewaffnung dagegen steht merkwür¬
digerweise schon in dieser Frühzeit alles Wesentliche fest, was -- abgesehen von
dem spät-hellenischen Geschützwesen -- in der Folgezeit Geltung gehabt hat.


2. Die Bewaffnung.

Die Zahl der wirklich erhaltenen griechischen Waffen ist klein, da die
eisernen Stücke durch den Rost völlig zu Grunde gegangen oder doch bis zur
Unkenntlichkeit zerstört sind, während die Bronzen, des Metallwerthes wegen,


wohl ist es auch zu Homers Tagen noch hoher Ruhm unter deu Achüern, ein
guter Schütze zu sein; aber die Helden ziehn es doch vor, aus größerer Nähe
mit der Lanze gegeneinander zu kämpfen. Die Vorkämpfer brauchen die Lanze
viel seltener zum Stoß als zum Wurf, wobei es darauf ankommt, den
Speer so gewaltig zu schleudern, daß er Schild und Panzer durchdringt. Das
schwergewaffnete Fußvolk bedient sich dagegen der Lanze zum Stoß. Unter
den Stämmen, welche den Nahkampf in geordneten Schaaren durchführten, er¬
wähnt die Ilias besonders die tapferen Abarten. Auch die, Arkader und
Dardaner genießen desselben Rufes; und unter den Führern erscheint als der
vornehmste Taktiker Nestor, „der gerenische Reisige." Er spricht den großen
allgemeinen Grundsatz aller Naturvölker aus, die Männer nach den Stämmen,
Sippschaften und Geschlechtern anzuordnen; er stellt eine Doppelphalanx auf:
die Streitwagen im ersten, das Fußvolk im zweiten Treffen, und befiehlt, in
gleichmäßiger Linie vorzurücken; er schon wendet den Kunstgriff an, die schlechten
Krieger in die Mitte zu nehmen, um sie zum Kampfe zu nöthigen.

Uebrigens führten nicht alle griechischen Völker die Nahwaffen. Die
Mannen des Philoktetes, die Lokrer des jüngeren Ajas und die Päonier fechten
als Bogenschützen; die Lokrer gebrauchten auch die Schleuder. Aber diese
Fernwaffen führenden Stämme treten doch offenbar zurück, und es ist wohl
nicht zufällig, daß der Name des Tenkros, des besten Bogenschützen im grie¬
chischen Heere, nach Asien deutet; deun Teukros ist zugleich der Name des
ersten Königs von Troas, dessen Bewohner nach ihm Teukrer genannt wurden.

Von gegenseitiger Unterstützung der verschiedenen Waffen ist noch nicht
die Rede; jeder Held, jeder Stamm kämpft nach seiner Gewohnheit und Landes¬
art mit dem gegenüberstehenden Feinde. — Die Belagerungskunst zeigt sich
noch ganz in der Kindheit; List und Verrath traten an die Stelle des Wissens
und der Gewandtheit. Die Achüer, dnrch stete Entsendungen zur Beschaffung
der Verpflegung geschwächt, sahen sich selbst gelegentlich in ihrem nur leicht
verschanzten Schiffslager angegriffen. — So gewährt der Krieg um Ilion in
taktischer und poliorketischer Hinsicht noch ein Bild großer Ursprünglichkeit, das
weit abweicht von dem, welches die höheren Entwicklungstufen der griechischen
Kriegskunst darbieten; in Bezug ans die Bewaffnung dagegen steht merkwür¬
digerweise schon in dieser Frühzeit alles Wesentliche fest, was — abgesehen von
dem spät-hellenischen Geschützwesen — in der Folgezeit Geltung gehabt hat.


2. Die Bewaffnung.

Die Zahl der wirklich erhaltenen griechischen Waffen ist klein, da die
eisernen Stücke durch den Rost völlig zu Grunde gegangen oder doch bis zur
Unkenntlichkeit zerstört sind, während die Bronzen, des Metallwerthes wegen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/16>, abgerufen am 28.04.2024.