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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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In Hoetlje's Jtaliänischer Keife.
Von L. Rost.

Goethe schreibt in der "Italiänischen Reise" unterm 8. Dezember 1786
über den gefährlichen Sturz von Philipp Moritz: "Das zerstörte die ganze
Freude und brachte in unsern kleinen Zirkel ein böses Hauskreuz." Es ist
bekannt, wie Goethe in Rom mit seiner Person zurückhielt; er wollte ja nur
der eigenen Ausbildung, oder richtiger zunächst der geistigen Genesung leben.
"Ich bin, so schreibt er, wie ein Baumeister, der einen Thurm aufführen
wollte und ein schlechtes Fundament gelegt hatte; er wird es noch bei Zeiten
gewahr und bricht gern wieder ab, was er schon aus der Erde gebracht hat,
seinen Grundriß sucht er zu erweitern, zu veredeln, sich seines Grundes zu
versichern und freut sich schon im voraus der gewisseren Festigkeit des küns¬
tigen Baues", und doch heißt es wieder bei ihm, der stets aufs neue betont,
daß man nur von und mit audern Menschen wahrhaft lernt: "Wieviel Ver¬
suche man übrigens macht, mich aus meiner Dunkelheit herauszuziehen, wie
die Poeten mir schon ihre Sachen vorlesen, wie es nur von mir abhinge,
eine Rolle zu spielen, irrt mich nicht.

Andererseits erzählt er aber von seinen Besuchen, Touren, Besichtigungen
stets mit "wir", und wenn man auch weiß, daß hier, so oft es Kunst und
Alterthümer gilt, stets Tischbein gemeint ist, von dem er einmal sogar sagt:
"Das stärkste, was mich in Italien hält, ist Tischbein, ich sage nicht, wie
es mir schuppenweise vou den Augen fällt, so giebt doch naturgemäß das
Reisen und namentlich die einzelne Fahrt noch manchen zufälligen Genossen,
der bald auch ein mehr ständiger wird. In der That war also wenigstens ein
"kleiner Zirkel" um ihn, und als er 1787 zuerst die in Jamben gebrachte
Iphigenie "unseren Künstlern" vorgelesen, meldet er wie "diese jungen Männer"
etwas Berlichingisches erwartet und sich in den ruhigen Gang der Dichtung
nicht gleich Hütten finden können.

Nun, einen weiteren dieser jungen Männer, die zugleich Künstler waren,
und von denen wir außer den obengenannten noch die Maler Müller, Meyer,
Kirsch und den Bildhauer Christen längst kennen, haben wir nachträglich noch
entdeckt, und daß es ein Musiker war, beweist sür die Aufrichtigkeit von Goethe's
weitesten Bildungsbestreben, wenn auch bei ihm die Kunst der Töne im Grunde
nur dazu diente, sein allgemeines Form- und sein mehr äußeres Schönheits¬
gefühl zu heben. Und wie ihm bekanntlich ebendeßwegen die an sich unbedeu¬
tenden Musiker, wenn sie nur den äußeren Apparat der Kunst sicher beherrsch-


In Hoetlje's Jtaliänischer Keife.
Von L. Rost.

Goethe schreibt in der „Italiänischen Reise" unterm 8. Dezember 1786
über den gefährlichen Sturz von Philipp Moritz: „Das zerstörte die ganze
Freude und brachte in unsern kleinen Zirkel ein böses Hauskreuz." Es ist
bekannt, wie Goethe in Rom mit seiner Person zurückhielt; er wollte ja nur
der eigenen Ausbildung, oder richtiger zunächst der geistigen Genesung leben.
„Ich bin, so schreibt er, wie ein Baumeister, der einen Thurm aufführen
wollte und ein schlechtes Fundament gelegt hatte; er wird es noch bei Zeiten
gewahr und bricht gern wieder ab, was er schon aus der Erde gebracht hat,
seinen Grundriß sucht er zu erweitern, zu veredeln, sich seines Grundes zu
versichern und freut sich schon im voraus der gewisseren Festigkeit des küns¬
tigen Baues", und doch heißt es wieder bei ihm, der stets aufs neue betont,
daß man nur von und mit audern Menschen wahrhaft lernt: „Wieviel Ver¬
suche man übrigens macht, mich aus meiner Dunkelheit herauszuziehen, wie
die Poeten mir schon ihre Sachen vorlesen, wie es nur von mir abhinge,
eine Rolle zu spielen, irrt mich nicht.

Andererseits erzählt er aber von seinen Besuchen, Touren, Besichtigungen
stets mit „wir", und wenn man auch weiß, daß hier, so oft es Kunst und
Alterthümer gilt, stets Tischbein gemeint ist, von dem er einmal sogar sagt:
„Das stärkste, was mich in Italien hält, ist Tischbein, ich sage nicht, wie
es mir schuppenweise vou den Augen fällt, so giebt doch naturgemäß das
Reisen und namentlich die einzelne Fahrt noch manchen zufälligen Genossen,
der bald auch ein mehr ständiger wird. In der That war also wenigstens ein
„kleiner Zirkel" um ihn, und als er 1787 zuerst die in Jamben gebrachte
Iphigenie „unseren Künstlern" vorgelesen, meldet er wie „diese jungen Männer"
etwas Berlichingisches erwartet und sich in den ruhigen Gang der Dichtung
nicht gleich Hütten finden können.

Nun, einen weiteren dieser jungen Männer, die zugleich Künstler waren,
und von denen wir außer den obengenannten noch die Maler Müller, Meyer,
Kirsch und den Bildhauer Christen längst kennen, haben wir nachträglich noch
entdeckt, und daß es ein Musiker war, beweist sür die Aufrichtigkeit von Goethe's
weitesten Bildungsbestreben, wenn auch bei ihm die Kunst der Töne im Grunde
nur dazu diente, sein allgemeines Form- und sein mehr äußeres Schönheits¬
gefühl zu heben. Und wie ihm bekanntlich ebendeßwegen die an sich unbedeu¬
tenden Musiker, wenn sie nur den äußeren Apparat der Kunst sicher beherrsch-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/192>, abgerufen am 28.04.2024.