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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Literaten.
Deutsche Minne ans alter Zeit. Ausgewählte Lieder der Minnesänger des
Mittelalters, frei übertrage" von K. Strvse. Leipzig, I. A, Barth, 1878.
Altes Gold. Sprüche der Minnesänger des Mittelalters, frei übertragen von K.
Strvse. Ehb. 1878.

Wiederum zwei von jenen neuerdings Mode gewordenen Büchlein, die,
entweder auf die Kreise spezifischer Bücherliebhaber berechnet, oder um der
Masse gegenüber durch den Reiz des Auffälligen zu wirken, sich in einem
spielenden Archaismus der Ausstattung gefallen -- "Holländisches" Bütten¬
papier, "Schwabacher" Schrift, Titelblatt in Roth und Schwarz, typographische
Zierraten, Umschlag aus imitirtem Pergament -- und denen, wie allen andern
Experimenten dieser Art der Vorwurf der Stillosigkeit nicht erspart werden
kann, einmal um des Experimentes selber willen, das an sich allein schon eine
Stillosigkeit ist, eine ebenso große, wie wenn eine Dame von heute sich im
Kostüm des 16. Jahrhunderts porträtiren läßt, sodann aber auch um der Art
der Ausführung willen, bei der es ohne allerhand Willkürlichkeiten -- lateinische
Initialen zu deutscher Schrift, Zierleisten in elegantem französischem Barock¬
geschmack über guten, derben, hölzernen Schwabacher Lettern -- in den uns be¬
kannt gewordenen Beispielen derartiger Ausstattung nie abgeht. Es kann auf¬
fällig erscheinen, daß wir mit der Besprechung des Aeußeren der beiden
Büchlein beginnen. Aber wo dieses Aeußere sich fo apart hervordrängt, daß
man förmlich Mühe hat, davon zu abstrahiren und sich den Inhalt einmal
ohne die Ausstattung zu denken, kann der Berichterstatter kaum eine andere
Reihenfolge einhalten.

Merkwürdigerweise entspricht im vorliegenden Falle der Inhalt sonderbar
dem Aeußeren. Lieder und Sprüche der mittelalterlichen Minnesänger in das
heutige Deutsch zu übertragen -- das ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit;
es kann sich immer nur um einen mehr oder minder gelungenen Versuch
handeln, diese Blüthen altdeutscher Dichtung demjenigen zugänglich zu machen,
der nicht an ihrem ursprünglichen Dufte sich laben kann. Und mehr als einen
solchen Versuch wollen wohl auch die vorliegenden Bändchen nicht bieten. Wer
die Originaldichtungen nicht kennt, der bekommt aus diesen Übertragungen
eine ungefähre Vorstellung von ihnen, aber auch nur eine ungefähre. Die
Sprache, in der die Uebersetzungen gegeben sind, ist just so unausgeglichen und
so widerspruchsvoll, wie das äußere Gewand der Bttchelchen. Wo es irgend


Literaten.
Deutsche Minne ans alter Zeit. Ausgewählte Lieder der Minnesänger des
Mittelalters, frei übertrage» von K. Strvse. Leipzig, I. A, Barth, 1878.
Altes Gold. Sprüche der Minnesänger des Mittelalters, frei übertragen von K.
Strvse. Ehb. 1878.

Wiederum zwei von jenen neuerdings Mode gewordenen Büchlein, die,
entweder auf die Kreise spezifischer Bücherliebhaber berechnet, oder um der
Masse gegenüber durch den Reiz des Auffälligen zu wirken, sich in einem
spielenden Archaismus der Ausstattung gefallen — „Holländisches" Bütten¬
papier, „Schwabacher" Schrift, Titelblatt in Roth und Schwarz, typographische
Zierraten, Umschlag aus imitirtem Pergament — und denen, wie allen andern
Experimenten dieser Art der Vorwurf der Stillosigkeit nicht erspart werden
kann, einmal um des Experimentes selber willen, das an sich allein schon eine
Stillosigkeit ist, eine ebenso große, wie wenn eine Dame von heute sich im
Kostüm des 16. Jahrhunderts porträtiren läßt, sodann aber auch um der Art
der Ausführung willen, bei der es ohne allerhand Willkürlichkeiten — lateinische
Initialen zu deutscher Schrift, Zierleisten in elegantem französischem Barock¬
geschmack über guten, derben, hölzernen Schwabacher Lettern — in den uns be¬
kannt gewordenen Beispielen derartiger Ausstattung nie abgeht. Es kann auf¬
fällig erscheinen, daß wir mit der Besprechung des Aeußeren der beiden
Büchlein beginnen. Aber wo dieses Aeußere sich fo apart hervordrängt, daß
man förmlich Mühe hat, davon zu abstrahiren und sich den Inhalt einmal
ohne die Ausstattung zu denken, kann der Berichterstatter kaum eine andere
Reihenfolge einhalten.

Merkwürdigerweise entspricht im vorliegenden Falle der Inhalt sonderbar
dem Aeußeren. Lieder und Sprüche der mittelalterlichen Minnesänger in das
heutige Deutsch zu übertragen — das ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit;
es kann sich immer nur um einen mehr oder minder gelungenen Versuch
handeln, diese Blüthen altdeutscher Dichtung demjenigen zugänglich zu machen,
der nicht an ihrem ursprünglichen Dufte sich laben kann. Und mehr als einen
solchen Versuch wollen wohl auch die vorliegenden Bändchen nicht bieten. Wer
die Originaldichtungen nicht kennt, der bekommt aus diesen Übertragungen
eine ungefähre Vorstellung von ihnen, aber auch nur eine ungefähre. Die
Sprache, in der die Uebersetzungen gegeben sind, ist just so unausgeglichen und
so widerspruchsvoll, wie das äußere Gewand der Bttchelchen. Wo es irgend


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[0205] Literaten. Deutsche Minne ans alter Zeit. Ausgewählte Lieder der Minnesänger des Mittelalters, frei übertrage» von K. Strvse. Leipzig, I. A, Barth, 1878. Altes Gold. Sprüche der Minnesänger des Mittelalters, frei übertragen von K. Strvse. Ehb. 1878. Wiederum zwei von jenen neuerdings Mode gewordenen Büchlein, die, entweder auf die Kreise spezifischer Bücherliebhaber berechnet, oder um der Masse gegenüber durch den Reiz des Auffälligen zu wirken, sich in einem spielenden Archaismus der Ausstattung gefallen — „Holländisches" Bütten¬ papier, „Schwabacher" Schrift, Titelblatt in Roth und Schwarz, typographische Zierraten, Umschlag aus imitirtem Pergament — und denen, wie allen andern Experimenten dieser Art der Vorwurf der Stillosigkeit nicht erspart werden kann, einmal um des Experimentes selber willen, das an sich allein schon eine Stillosigkeit ist, eine ebenso große, wie wenn eine Dame von heute sich im Kostüm des 16. Jahrhunderts porträtiren läßt, sodann aber auch um der Art der Ausführung willen, bei der es ohne allerhand Willkürlichkeiten — lateinische Initialen zu deutscher Schrift, Zierleisten in elegantem französischem Barock¬ geschmack über guten, derben, hölzernen Schwabacher Lettern — in den uns be¬ kannt gewordenen Beispielen derartiger Ausstattung nie abgeht. Es kann auf¬ fällig erscheinen, daß wir mit der Besprechung des Aeußeren der beiden Büchlein beginnen. Aber wo dieses Aeußere sich fo apart hervordrängt, daß man förmlich Mühe hat, davon zu abstrahiren und sich den Inhalt einmal ohne die Ausstattung zu denken, kann der Berichterstatter kaum eine andere Reihenfolge einhalten. Merkwürdigerweise entspricht im vorliegenden Falle der Inhalt sonderbar dem Aeußeren. Lieder und Sprüche der mittelalterlichen Minnesänger in das heutige Deutsch zu übertragen — das ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit; es kann sich immer nur um einen mehr oder minder gelungenen Versuch handeln, diese Blüthen altdeutscher Dichtung demjenigen zugänglich zu machen, der nicht an ihrem ursprünglichen Dufte sich laben kann. Und mehr als einen solchen Versuch wollen wohl auch die vorliegenden Bändchen nicht bieten. Wer die Originaldichtungen nicht kennt, der bekommt aus diesen Übertragungen eine ungefähre Vorstellung von ihnen, aber auch nur eine ungefähre. Die Sprache, in der die Uebersetzungen gegeben sind, ist just so unausgeglichen und so widerspruchsvoll, wie das äußere Gewand der Bttchelchen. Wo es irgend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/205>, abgerufen am 29.04.2024.