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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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lange währt und vor allem jener, der nicht aus den Impulsen eigener Lei¬
denschaft, sondern nur aus blindem Gehorsam geführt wird. Es ist ja be¬
kannt, daß Baiern keinen wirklichen, sondern nur einen "schleichenden" Kultur¬
kampf besitzt; man mußte sich zu diesem Beiworte bequemen, um nur das Haupt¬
wort an und für sich zu retten. Jedenfalls aber bleibt es erfreulich, daß auch
unter den bairischen Bischöfen sich jetzt wenigstens einige befinden, die den
Frieden zwischen Kirche und Staat noch als ein wünschenswerthes Ziel be¬
trachten, statt den Kampf gegen die weltliche Macht für eiuen Theil ihrer
Glaubenspflicht zu halten.

Und gewiß entspricht dieser maßvolleren Anschauung auch die Grundstim¬
mung des bairischen Volkes, das seiner ganzen Natur nach nichts weniger als
fanatisch oder kampflustig für ideale Ziele ist. Vielmehr geht ein gewisser
Ouietismus, ein ruhiges Festhalten an den hergebrachten Traditionen dnrch
die Massen und wenn auch ein alter Spruch besagt, daß man in Baiern
"mehr Streit von einem Knecht" zu hören bekäme, "denn anderswo von
hundert Rittern", so ist das Gebiet dieser Streitigkeiten doch ein ganz anderes,
als das der Kirche. Das wird kein Kenner des Volks in Zweifel ziehen. Nur
der ununterbrochenen jahrelangen Aufreizung ist es gelungen, jenen Zustand
reichsfeindlicher Opposition, wie er in einzelnen Provinzen besteht, hervorzu¬
rufen und den Katholizismus ihrer Bewohner unter dem Vorwande der äu¬
ßersten Gefahr zu mobilisiren; der Mehrzahl jener Elemente aber wäre es
unläugbar erwünschter, vom Kriege zum Frieden zurückzukehren. Das beste
Mittel hierzu ist aber (neben der beginnenden Ermüdung) vor allem die Zu¬
nahme allgemeiner Bildung und hierin kann man dem Bestreben sowohl der
Regierung wie der einzelnen Gemeinden in der That das ehrenvollste Zeugniß
geben. Es geschah in den letzten paar Jahren und geschieht noch heute uner¬
meßlich viel, um in zwangloser, leicht zugänglicher Weise Aufklärung zu ver¬
breiten; der öffentliche Unterricht der schon von Staatswegen vorzüglich organi-
sirt ist, sieht seine Leistungsfähigkeit durch die Beihilfe der verschiedensten Kör¬
perschaften gefördert und trägt durch alle Stufen hindurch, von der Hochschule
bis zur Volksschule, das Gepräge einsichtsvoller Gediegenheit. Auch in den
kleineren Orten hat sich das System der Fortbildungsschulen sowie der öffent¬
lichen Vorträge eingebürgert, die auf die Masse anregend und belehrend wir¬
ken; aber das entscheidende bleibt, daß sich nicht nur die Gelegenheit, sondern
auch der Zudrang zu derlei Gelegenheiten proportional entwickelt hat Baiern
weiß, daß es nicht ans politischem Gebiete eine Machtrolle zu spielen hat,
sondern daß seine Kraft und seine Bedeutung für das Gesammtvaterland auf
der inneren Vollkommenheit beruht, die es erringt. Es tritt in das neue Jahr
mit dem Gedanken hinüber, dem die Arbeit des vergangenen Jahres gegolten.-
-- "Bildung ist Macht!"


lange währt und vor allem jener, der nicht aus den Impulsen eigener Lei¬
denschaft, sondern nur aus blindem Gehorsam geführt wird. Es ist ja be¬
kannt, daß Baiern keinen wirklichen, sondern nur einen „schleichenden" Kultur¬
kampf besitzt; man mußte sich zu diesem Beiworte bequemen, um nur das Haupt¬
wort an und für sich zu retten. Jedenfalls aber bleibt es erfreulich, daß auch
unter den bairischen Bischöfen sich jetzt wenigstens einige befinden, die den
Frieden zwischen Kirche und Staat noch als ein wünschenswerthes Ziel be¬
trachten, statt den Kampf gegen die weltliche Macht für eiuen Theil ihrer
Glaubenspflicht zu halten.

Und gewiß entspricht dieser maßvolleren Anschauung auch die Grundstim¬
mung des bairischen Volkes, das seiner ganzen Natur nach nichts weniger als
fanatisch oder kampflustig für ideale Ziele ist. Vielmehr geht ein gewisser
Ouietismus, ein ruhiges Festhalten an den hergebrachten Traditionen dnrch
die Massen und wenn auch ein alter Spruch besagt, daß man in Baiern
„mehr Streit von einem Knecht" zu hören bekäme, „denn anderswo von
hundert Rittern", so ist das Gebiet dieser Streitigkeiten doch ein ganz anderes,
als das der Kirche. Das wird kein Kenner des Volks in Zweifel ziehen. Nur
der ununterbrochenen jahrelangen Aufreizung ist es gelungen, jenen Zustand
reichsfeindlicher Opposition, wie er in einzelnen Provinzen besteht, hervorzu¬
rufen und den Katholizismus ihrer Bewohner unter dem Vorwande der äu¬
ßersten Gefahr zu mobilisiren; der Mehrzahl jener Elemente aber wäre es
unläugbar erwünschter, vom Kriege zum Frieden zurückzukehren. Das beste
Mittel hierzu ist aber (neben der beginnenden Ermüdung) vor allem die Zu¬
nahme allgemeiner Bildung und hierin kann man dem Bestreben sowohl der
Regierung wie der einzelnen Gemeinden in der That das ehrenvollste Zeugniß
geben. Es geschah in den letzten paar Jahren und geschieht noch heute uner¬
meßlich viel, um in zwangloser, leicht zugänglicher Weise Aufklärung zu ver¬
breiten; der öffentliche Unterricht der schon von Staatswegen vorzüglich organi-
sirt ist, sieht seine Leistungsfähigkeit durch die Beihilfe der verschiedensten Kör¬
perschaften gefördert und trägt durch alle Stufen hindurch, von der Hochschule
bis zur Volksschule, das Gepräge einsichtsvoller Gediegenheit. Auch in den
kleineren Orten hat sich das System der Fortbildungsschulen sowie der öffent¬
lichen Vorträge eingebürgert, die auf die Masse anregend und belehrend wir¬
ken; aber das entscheidende bleibt, daß sich nicht nur die Gelegenheit, sondern
auch der Zudrang zu derlei Gelegenheiten proportional entwickelt hat Baiern
weiß, daß es nicht ans politischem Gebiete eine Machtrolle zu spielen hat,
sondern daß seine Kraft und seine Bedeutung für das Gesammtvaterland auf
der inneren Vollkommenheit beruht, die es erringt. Es tritt in das neue Jahr
mit dem Gedanken hinüber, dem die Arbeit des vergangenen Jahres gegolten.-
— „Bildung ist Macht!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/204>, abgerufen am 16.05.2024.