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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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angegangen ist, hat sich der Uebersetzer eng an den Urtext angeschlossen und
sich damit begnügt, die Worte in moderner Orthographie zu geben. Sogar
da hat er den Urtext oft festgehalten, wo die alten Worte entschieden eine
Umdichtung verlangt hätten. Um so unvermittelter platzen dann moderne
Wendungen, welche die Reimnoth eingegeben, mitten in die alten, echten Klänge
hinein und blicken uns dann genau so wunderlich an, wie ein unbedeutendes
modernes Gesicht mitten ans dem Rahmen eines jener erwähnten Kostüm-
pvrträts heraus. Beispiele davon sast auf jeder Seite. Nicht abzusehen ist,
warum der Uebersetzer die freie Rhythmen- und Strophenbehandlung der Ori¬
ginale stilisirt und in moderne Regelmäßigkeit gezwängt hat, indem er die
Zeilen bald durch Flickworte gedehnt, bald durch Häufung von Apostrophen
gekürzt hat.

Ein berühmter Orientalist hat einmal gesagt, er bedauere jeden, der das
"Lob des tugendsamen Weibes" nicht im Originale lesen könne, und ähnliche
Aeußerungen sind von Sprachkennern über die Episode von der Nausikaa in
der "Odyssee", über die "Sakuntala" und manche andre Perlen fremdsprachiger Lite¬
raturen gethan worden. Nun, Hebräisch, Griechisch, Sanskrit können wir nicht
alle verstehen. Wir wollen uns also nur in Gottes Namen bedauern lassen
und uns mit der Luther'scheu, der Voß'schen, der Lobedcmz'scheu Uebersetzung
trösten. Aber sollten wirklich die Gebildeten unseres Volkes noch immer nicht
den Muth haben, die Erzeugnisse der mittelalterlichen deutschen Poesie aus erster
Hand zu schöpfen? Jetzt, wo es ihnen dnrch die bekannten Brockhaus'schen
kommentirten Ausgaben -- die der Germanist von Fach immerhin vornehm
als "Eselsbrücken" bezeichnen mag -- so kinderleicht gemacht ist?

Des Kommentars bedürfen übrigens doch auch die Ströser'schen Über¬
tragungen; die wenigen beigegebenen Anmerkungen reichen nicht aus, zumal
wenn, wie es der Fall ist, in der zweiten Sammlung z. B. bei dem Namen
Frauenlvb einfach auf die betreffende Anmerkung der ersten Sammlung ver¬
wiesen, ein gewissenhafter Leser also, dem zufällig das "Alte Gold" geschenkt
worden ist, auf diese Weise genöthigt wird, sein modernes Silber für die
"Minne aus alter Zeit" wegzugeben.


Wnhlsprüchc, Devisen und Sinnsprttchc der Kurfürsten und Herzöge von
Sachsen Emestinischer Linie. Ein Beitrag zur Sprnchpeofie des 1K. und 17. Jahr¬
hunderts von M. Lobe. Leipzig, Duncker und Humblot, 1878.

Die vorliegende Sammlung fürstlicher Wahlspruche bildet ein willkommenes
Seitenstück zu der bekannten 1850 erschienenen Radowitz'schen Sammlung:
"Die Devisen und Motto des späteren Mittelalters." Soweit sie regierende
Fürsten betrifft, ist sie meist aus ältern numismatischen Werken, soweit es


angegangen ist, hat sich der Uebersetzer eng an den Urtext angeschlossen und
sich damit begnügt, die Worte in moderner Orthographie zu geben. Sogar
da hat er den Urtext oft festgehalten, wo die alten Worte entschieden eine
Umdichtung verlangt hätten. Um so unvermittelter platzen dann moderne
Wendungen, welche die Reimnoth eingegeben, mitten in die alten, echten Klänge
hinein und blicken uns dann genau so wunderlich an, wie ein unbedeutendes
modernes Gesicht mitten ans dem Rahmen eines jener erwähnten Kostüm-
pvrträts heraus. Beispiele davon sast auf jeder Seite. Nicht abzusehen ist,
warum der Uebersetzer die freie Rhythmen- und Strophenbehandlung der Ori¬
ginale stilisirt und in moderne Regelmäßigkeit gezwängt hat, indem er die
Zeilen bald durch Flickworte gedehnt, bald durch Häufung von Apostrophen
gekürzt hat.

Ein berühmter Orientalist hat einmal gesagt, er bedauere jeden, der das
„Lob des tugendsamen Weibes" nicht im Originale lesen könne, und ähnliche
Aeußerungen sind von Sprachkennern über die Episode von der Nausikaa in
der „Odyssee", über die „Sakuntala" und manche andre Perlen fremdsprachiger Lite¬
raturen gethan worden. Nun, Hebräisch, Griechisch, Sanskrit können wir nicht
alle verstehen. Wir wollen uns also nur in Gottes Namen bedauern lassen
und uns mit der Luther'scheu, der Voß'schen, der Lobedcmz'scheu Uebersetzung
trösten. Aber sollten wirklich die Gebildeten unseres Volkes noch immer nicht
den Muth haben, die Erzeugnisse der mittelalterlichen deutschen Poesie aus erster
Hand zu schöpfen? Jetzt, wo es ihnen dnrch die bekannten Brockhaus'schen
kommentirten Ausgaben — die der Germanist von Fach immerhin vornehm
als „Eselsbrücken" bezeichnen mag — so kinderleicht gemacht ist?

Des Kommentars bedürfen übrigens doch auch die Ströser'schen Über¬
tragungen; die wenigen beigegebenen Anmerkungen reichen nicht aus, zumal
wenn, wie es der Fall ist, in der zweiten Sammlung z. B. bei dem Namen
Frauenlvb einfach auf die betreffende Anmerkung der ersten Sammlung ver¬
wiesen, ein gewissenhafter Leser also, dem zufällig das „Alte Gold" geschenkt
worden ist, auf diese Weise genöthigt wird, sein modernes Silber für die
„Minne aus alter Zeit" wegzugeben.


Wnhlsprüchc, Devisen und Sinnsprttchc der Kurfürsten und Herzöge von
Sachsen Emestinischer Linie. Ein Beitrag zur Sprnchpeofie des 1K. und 17. Jahr¬
hunderts von M. Lobe. Leipzig, Duncker und Humblot, 1878.

Die vorliegende Sammlung fürstlicher Wahlspruche bildet ein willkommenes
Seitenstück zu der bekannten 1850 erschienenen Radowitz'schen Sammlung:
„Die Devisen und Motto des späteren Mittelalters." Soweit sie regierende
Fürsten betrifft, ist sie meist aus ältern numismatischen Werken, soweit es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/206>, abgerufen am 29.04.2024.