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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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fpeare war? Bedurften solche Ausdrücke wie Abstrahiren, Chikauiren, Statisten,
Fabel, Tautologie, Argument, Anachronismus und viele andere der Art wirk¬
lich einer Erklärung? Doch es ist schwer, in solchen Dingen die richtige Grenze
einzuhalten, und wenn man sich für eins von beiden, für das Zuviel oder
das Zuwenig zu entscheiden hat, so wird man das erstere vorziehen.

Die Mängel, die ich soeben berührt habe, stammen, so viel ich sehe, alle
aus derselben Quelle. Die Verfasser hätten den bestimmenden Zusatz auf dem
Titelblatte: "für die oberste Stufe höherer Lehranstalten und den weiteren
Kreis der Gebildeten" weglassen, und, wie sich das bei einem Buche der Art
von selbst versteht, für die wirklich Gebildeten aller Stände schreiben sollen,
sie hätten dann gar nicht umhin gekonnt, in kritischer und exegetischer Hinsicht
höheren Anforderungen zu genügen. Blümners Laokoonausgabe hätte ihnen
trotz oder vielmehr wegen ihrer "erweiterten Ziele" zum Muster dienen sollen.

Von diesen Ausstellungen abgesehen, kann ich das Werk im großen und
ganzen mit gutem Gewissen empfehlen. Es liegt eine allseitige, eindringende,
ja fast erschöpfende Erklärung der Dramaturgie vor. Die Belesenheit der
Verfasser ist erstaunlich, ihr Urtheil maßvoll, ihre Anschauung edel und von
hoher Bewunderung Lessings getragen. Wir mögen aufschlagen wo wir wollen,
die Verfasser lassen uns nirgend im Stich; auch das scheinbar Kleinste und
Unbedeutendste ist klar gelegt, sicherlich oft nur mit dem größten Aufwande
von Mühe und Arbeit, und Räthsel sind hier gedeutet, an deren Lösung man
bereits verzweifelte. So ist das Buch ganz danach angethan, ein tieferes Studium
Lessings anzuregen und zu fördern, und es können Laien wie Männer von
Fach, Schauspieler wie Schüler reiche Belehrung daraus schöpfen. *)


Christian Muff.


Literatur.
P ein. -- Ein lustiges Liederbuch für Gymnasiasten mit den Singweisen zusammen¬
gestellt von Dr. Friedrich Polle. Dresden, G. Schönfeld's Verlag.

Zu einer Zeit, in welcher der Operettenton der Offenbachiaden und das
Couplet seine pikante Ueberlegenheit auf Kosten des unverdorbenen Volkstons



*) Vgl. auch die Besprechung von I. I. Müller in der Berliner "Zeitschrift für Gym¬
nasialwesen". Bd. 31, S. 442. Das Cosack'sche Buch ist nach der ersten Abtheilung von
Schröter erschienen, es steht aber ehrlich 1376 darauf, während das andre Buch voraus-
D. Red. datirt ist.

fpeare war? Bedurften solche Ausdrücke wie Abstrahiren, Chikauiren, Statisten,
Fabel, Tautologie, Argument, Anachronismus und viele andere der Art wirk¬
lich einer Erklärung? Doch es ist schwer, in solchen Dingen die richtige Grenze
einzuhalten, und wenn man sich für eins von beiden, für das Zuviel oder
das Zuwenig zu entscheiden hat, so wird man das erstere vorziehen.

Die Mängel, die ich soeben berührt habe, stammen, so viel ich sehe, alle
aus derselben Quelle. Die Verfasser hätten den bestimmenden Zusatz auf dem
Titelblatte: „für die oberste Stufe höherer Lehranstalten und den weiteren
Kreis der Gebildeten" weglassen, und, wie sich das bei einem Buche der Art
von selbst versteht, für die wirklich Gebildeten aller Stände schreiben sollen,
sie hätten dann gar nicht umhin gekonnt, in kritischer und exegetischer Hinsicht
höheren Anforderungen zu genügen. Blümners Laokoonausgabe hätte ihnen
trotz oder vielmehr wegen ihrer „erweiterten Ziele" zum Muster dienen sollen.

Von diesen Ausstellungen abgesehen, kann ich das Werk im großen und
ganzen mit gutem Gewissen empfehlen. Es liegt eine allseitige, eindringende,
ja fast erschöpfende Erklärung der Dramaturgie vor. Die Belesenheit der
Verfasser ist erstaunlich, ihr Urtheil maßvoll, ihre Anschauung edel und von
hoher Bewunderung Lessings getragen. Wir mögen aufschlagen wo wir wollen,
die Verfasser lassen uns nirgend im Stich; auch das scheinbar Kleinste und
Unbedeutendste ist klar gelegt, sicherlich oft nur mit dem größten Aufwande
von Mühe und Arbeit, und Räthsel sind hier gedeutet, an deren Lösung man
bereits verzweifelte. So ist das Buch ganz danach angethan, ein tieferes Studium
Lessings anzuregen und zu fördern, und es können Laien wie Männer von
Fach, Schauspieler wie Schüler reiche Belehrung daraus schöpfen. *)


Christian Muff.


Literatur.
P ein. — Ein lustiges Liederbuch für Gymnasiasten mit den Singweisen zusammen¬
gestellt von Dr. Friedrich Polle. Dresden, G. Schönfeld's Verlag.

Zu einer Zeit, in welcher der Operettenton der Offenbachiaden und das
Couplet seine pikante Ueberlegenheit auf Kosten des unverdorbenen Volkstons



*) Vgl. auch die Besprechung von I. I. Müller in der Berliner „Zeitschrift für Gym¬
nasialwesen". Bd. 31, S. 442. Das Cosack'sche Buch ist nach der ersten Abtheilung von
Schröter erschienen, es steht aber ehrlich 1376 darauf, während das andre Buch voraus-
D. Red. datirt ist.
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[0363] fpeare war? Bedurften solche Ausdrücke wie Abstrahiren, Chikauiren, Statisten, Fabel, Tautologie, Argument, Anachronismus und viele andere der Art wirk¬ lich einer Erklärung? Doch es ist schwer, in solchen Dingen die richtige Grenze einzuhalten, und wenn man sich für eins von beiden, für das Zuviel oder das Zuwenig zu entscheiden hat, so wird man das erstere vorziehen. Die Mängel, die ich soeben berührt habe, stammen, so viel ich sehe, alle aus derselben Quelle. Die Verfasser hätten den bestimmenden Zusatz auf dem Titelblatte: „für die oberste Stufe höherer Lehranstalten und den weiteren Kreis der Gebildeten" weglassen, und, wie sich das bei einem Buche der Art von selbst versteht, für die wirklich Gebildeten aller Stände schreiben sollen, sie hätten dann gar nicht umhin gekonnt, in kritischer und exegetischer Hinsicht höheren Anforderungen zu genügen. Blümners Laokoonausgabe hätte ihnen trotz oder vielmehr wegen ihrer „erweiterten Ziele" zum Muster dienen sollen. Von diesen Ausstellungen abgesehen, kann ich das Werk im großen und ganzen mit gutem Gewissen empfehlen. Es liegt eine allseitige, eindringende, ja fast erschöpfende Erklärung der Dramaturgie vor. Die Belesenheit der Verfasser ist erstaunlich, ihr Urtheil maßvoll, ihre Anschauung edel und von hoher Bewunderung Lessings getragen. Wir mögen aufschlagen wo wir wollen, die Verfasser lassen uns nirgend im Stich; auch das scheinbar Kleinste und Unbedeutendste ist klar gelegt, sicherlich oft nur mit dem größten Aufwande von Mühe und Arbeit, und Räthsel sind hier gedeutet, an deren Lösung man bereits verzweifelte. So ist das Buch ganz danach angethan, ein tieferes Studium Lessings anzuregen und zu fördern, und es können Laien wie Männer von Fach, Schauspieler wie Schüler reiche Belehrung daraus schöpfen. *) Christian Muff. Literatur. P ein. — Ein lustiges Liederbuch für Gymnasiasten mit den Singweisen zusammen¬ gestellt von Dr. Friedrich Polle. Dresden, G. Schönfeld's Verlag. Zu einer Zeit, in welcher der Operettenton der Offenbachiaden und das Couplet seine pikante Ueberlegenheit auf Kosten des unverdorbenen Volkstons *) Vgl. auch die Besprechung von I. I. Müller in der Berliner „Zeitschrift für Gym¬ nasialwesen". Bd. 31, S. 442. Das Cosack'sche Buch ist nach der ersten Abtheilung von Schröter erschienen, es steht aber ehrlich 1376 darauf, während das andre Buch voraus- D. Red. datirt ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/363>, abgerufen am 29.04.2024.