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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Die deutsche Literatur während des achtjährigen
Friedens 1748-1756.
(Klopstock, Wieland, Lessing, Winkelmann, Kant.)
Von Julian Schmidt. III.

Der Bildungsgang auch dieses Zeitalters erfolgte uicht in grader Linie;
Wirkung und Gegenwirkung lösten einander ab, jeder Ausbruch von der einen
Seite ruft seinen Gegensatz hervor. Die Vertreter der überschwenglichen Ge¬
fühlsseligkeit sammeln sich um Klopstock, die Vertreter des entschlossenen Welt¬
verstands um Lessing. Durch diesen ausgesprochenen Gegensatz kommt Ord¬
nung in die Bewegung der Literatur. Nur darf man nicht übersehn, daß in
dieser Symphonie der Dichter die Oberstimme führt und die Melodie trägt;
die ganze Literatur der Periode steht unter seinem Bann.

Klopstock hatte Berlin nicht erobern können; in Berlin sammelte sich
nun die Gegenwirkung gegen ihn.

Lessing, fünf Jahre jünger als Klopstock, Sohn eines angesehenen
Pfarrers in Kmnenz (Lausitz), hatte sich auf der Fürstenschule in Meißen eine
gründliche philologische Bildung angeeignet. "Ein guter Knabe", heißt es in
einem Zeugniß, "aber etwas moquant"; und dem jüngern Bruder sagte später
der Rektor: "sei so fleißig wie dein Bruder, aber nicht so naseweis." "Er
ist ein Pferd", schrieb derselbe an seinen Vater, "das doppeltes Futter haben
muß. Die Lektionen, die Andern zu schwer werden, sind ihm kinderleicht; wir
können ihn fast nicht mehr brauchen." In der That wurde er im 17- Jahr
entlassen; seine Lieblingsschriftsteller waren Teophrast, Plautus und Terenz
gewesen.

In Leipzig sollte er eigentlich Theologie studiren, hörte aber fast nur


Grenzboten I. 1878. 66
Die deutsche Literatur während des achtjährigen
Friedens 1748-1756.
(Klopstock, Wieland, Lessing, Winkelmann, Kant.)
Von Julian Schmidt. III.

Der Bildungsgang auch dieses Zeitalters erfolgte uicht in grader Linie;
Wirkung und Gegenwirkung lösten einander ab, jeder Ausbruch von der einen
Seite ruft seinen Gegensatz hervor. Die Vertreter der überschwenglichen Ge¬
fühlsseligkeit sammeln sich um Klopstock, die Vertreter des entschlossenen Welt¬
verstands um Lessing. Durch diesen ausgesprochenen Gegensatz kommt Ord¬
nung in die Bewegung der Literatur. Nur darf man nicht übersehn, daß in
dieser Symphonie der Dichter die Oberstimme führt und die Melodie trägt;
die ganze Literatur der Periode steht unter seinem Bann.

Klopstock hatte Berlin nicht erobern können; in Berlin sammelte sich
nun die Gegenwirkung gegen ihn.

Lessing, fünf Jahre jünger als Klopstock, Sohn eines angesehenen
Pfarrers in Kmnenz (Lausitz), hatte sich auf der Fürstenschule in Meißen eine
gründliche philologische Bildung angeeignet. „Ein guter Knabe", heißt es in
einem Zeugniß, „aber etwas moquant"; und dem jüngern Bruder sagte später
der Rektor: „sei so fleißig wie dein Bruder, aber nicht so naseweis." „Er
ist ein Pferd", schrieb derselbe an seinen Vater, „das doppeltes Futter haben
muß. Die Lektionen, die Andern zu schwer werden, sind ihm kinderleicht; wir
können ihn fast nicht mehr brauchen." In der That wurde er im 17- Jahr
entlassen; seine Lieblingsschriftsteller waren Teophrast, Plautus und Terenz
gewesen.

In Leipzig sollte er eigentlich Theologie studiren, hörte aber fast nur


Grenzboten I. 1878. 66
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[0449] Die deutsche Literatur während des achtjährigen Friedens 1748-1756. (Klopstock, Wieland, Lessing, Winkelmann, Kant.) Von Julian Schmidt. III. Der Bildungsgang auch dieses Zeitalters erfolgte uicht in grader Linie; Wirkung und Gegenwirkung lösten einander ab, jeder Ausbruch von der einen Seite ruft seinen Gegensatz hervor. Die Vertreter der überschwenglichen Ge¬ fühlsseligkeit sammeln sich um Klopstock, die Vertreter des entschlossenen Welt¬ verstands um Lessing. Durch diesen ausgesprochenen Gegensatz kommt Ord¬ nung in die Bewegung der Literatur. Nur darf man nicht übersehn, daß in dieser Symphonie der Dichter die Oberstimme führt und die Melodie trägt; die ganze Literatur der Periode steht unter seinem Bann. Klopstock hatte Berlin nicht erobern können; in Berlin sammelte sich nun die Gegenwirkung gegen ihn. Lessing, fünf Jahre jünger als Klopstock, Sohn eines angesehenen Pfarrers in Kmnenz (Lausitz), hatte sich auf der Fürstenschule in Meißen eine gründliche philologische Bildung angeeignet. „Ein guter Knabe", heißt es in einem Zeugniß, „aber etwas moquant"; und dem jüngern Bruder sagte später der Rektor: „sei so fleißig wie dein Bruder, aber nicht so naseweis." „Er ist ein Pferd", schrieb derselbe an seinen Vater, „das doppeltes Futter haben muß. Die Lektionen, die Andern zu schwer werden, sind ihm kinderleicht; wir können ihn fast nicht mehr brauchen." In der That wurde er im 17- Jahr entlassen; seine Lieblingsschriftsteller waren Teophrast, Plautus und Terenz gewesen. In Leipzig sollte er eigentlich Theologie studiren, hörte aber fast nur Grenzboten I. 1878. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/449>, abgerufen am 28.04.2024.