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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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nisse, es gewährt doch auch einen eigenen und freudigen Reiz, einsichtige und
pflichttreue Beamte des Staats rastlos schaffen zu sehen an dem segensreichen
Werke des sozialen Friedens.


Franz Mehring.


Italienische Kovell'ihter.
1. Jppolito Nievo.
(Schluß.)

Der erste Roman, den Jppolito Nievo geschrieben hat, "Ein Engels¬
herz" spielt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die nur episodisch
erzählten Jugendschicksale der Helden reichen etwa zwanzig Jahre weiter zu¬
rück. Wir sehen sie aufwachsen in ländlicher Luft auf der venezianischen Ter-
raferma. Das Kindes- und Jugendleben von Morosina und Cello, unter der
Obhut des alten Schreibers oder Sekretärs Chirichillo, der Bureauvorsteher
des Vaters der Morosina, dessen Koch, und Haushälterin, Amme der kleinen
Morosina, ihr und der ganzen ländlichen Jugend künftiger Lehrer und Erzie¬
her, kurz Alles in Allem ist, dabei von dem Wahne der Seelenwcindernng
überzeugungsvoll ergriffen, -- das ist trefflich geschildert, aber doch nur
Episode. Etwa zwanzig Jahre vor Beginn der Erzählung, etwa ebensoviel
"nachdem sie sich gekriegt haben", verleben wir episodisch auf dem Laude, aber
der ganze Schwerpunkt der Ereignisse spielt sich ab in Venedig selbst, in dem
machtlosen, und doch so stolzen, in dem lebensfroher und sittenlosen und den¬
noch durch die geheimnißvolle Macht und die unberechenbare Willkühr seiner
adligen Herrscher so grauenvollen Venedig.

Einige ergreifende Bilder der eigenthümlichen Pracht und Furchtbarkeit
dieser Aristokratie ohne Gleichen hat Jeder geboten, der mit Ernst und Geschick
den Quellen nachgegangen ist, an Ort und Stelle mit Andacht die Lokalfarbe
der alten Stadt, Zeit und Verfassung studirt hat. So bietet, um nur Deutsche
der Gegenwart zu nennen, Karl Braun in einer seiner Sammlungen einen
interessanten Rechtsfall aus dem alten Venedig, Heinrich Kruse, in seinem
Marino Faliero stimmungsvolle Bilder aus den großen Tagen der Meer¬
königin.

Doch mit solcher Treue und Vielseitigkeit wie von Jppolito Nievo ist das
alte, d. h. selbständige Venedig gewiß von Wenigen, das Venedig des vorigen


nisse, es gewährt doch auch einen eigenen und freudigen Reiz, einsichtige und
pflichttreue Beamte des Staats rastlos schaffen zu sehen an dem segensreichen
Werke des sozialen Friedens.


Franz Mehring.


Italienische Kovell'ihter.
1. Jppolito Nievo.
(Schluß.)

Der erste Roman, den Jppolito Nievo geschrieben hat, „Ein Engels¬
herz" spielt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die nur episodisch
erzählten Jugendschicksale der Helden reichen etwa zwanzig Jahre weiter zu¬
rück. Wir sehen sie aufwachsen in ländlicher Luft auf der venezianischen Ter-
raferma. Das Kindes- und Jugendleben von Morosina und Cello, unter der
Obhut des alten Schreibers oder Sekretärs Chirichillo, der Bureauvorsteher
des Vaters der Morosina, dessen Koch, und Haushälterin, Amme der kleinen
Morosina, ihr und der ganzen ländlichen Jugend künftiger Lehrer und Erzie¬
her, kurz Alles in Allem ist, dabei von dem Wahne der Seelenwcindernng
überzeugungsvoll ergriffen, — das ist trefflich geschildert, aber doch nur
Episode. Etwa zwanzig Jahre vor Beginn der Erzählung, etwa ebensoviel
„nachdem sie sich gekriegt haben", verleben wir episodisch auf dem Laude, aber
der ganze Schwerpunkt der Ereignisse spielt sich ab in Venedig selbst, in dem
machtlosen, und doch so stolzen, in dem lebensfroher und sittenlosen und den¬
noch durch die geheimnißvolle Macht und die unberechenbare Willkühr seiner
adligen Herrscher so grauenvollen Venedig.

Einige ergreifende Bilder der eigenthümlichen Pracht und Furchtbarkeit
dieser Aristokratie ohne Gleichen hat Jeder geboten, der mit Ernst und Geschick
den Quellen nachgegangen ist, an Ort und Stelle mit Andacht die Lokalfarbe
der alten Stadt, Zeit und Verfassung studirt hat. So bietet, um nur Deutsche
der Gegenwart zu nennen, Karl Braun in einer seiner Sammlungen einen
interessanten Rechtsfall aus dem alten Venedig, Heinrich Kruse, in seinem
Marino Faliero stimmungsvolle Bilder aus den großen Tagen der Meer¬
königin.

Doch mit solcher Treue und Vielseitigkeit wie von Jppolito Nievo ist das
alte, d. h. selbständige Venedig gewiß von Wenigen, das Venedig des vorigen


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[0471] nisse, es gewährt doch auch einen eigenen und freudigen Reiz, einsichtige und pflichttreue Beamte des Staats rastlos schaffen zu sehen an dem segensreichen Werke des sozialen Friedens. Franz Mehring. Italienische Kovell'ihter. 1. Jppolito Nievo. (Schluß.) Der erste Roman, den Jppolito Nievo geschrieben hat, „Ein Engels¬ herz" spielt um die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die nur episodisch erzählten Jugendschicksale der Helden reichen etwa zwanzig Jahre weiter zu¬ rück. Wir sehen sie aufwachsen in ländlicher Luft auf der venezianischen Ter- raferma. Das Kindes- und Jugendleben von Morosina und Cello, unter der Obhut des alten Schreibers oder Sekretärs Chirichillo, der Bureauvorsteher des Vaters der Morosina, dessen Koch, und Haushälterin, Amme der kleinen Morosina, ihr und der ganzen ländlichen Jugend künftiger Lehrer und Erzie¬ her, kurz Alles in Allem ist, dabei von dem Wahne der Seelenwcindernng überzeugungsvoll ergriffen, — das ist trefflich geschildert, aber doch nur Episode. Etwa zwanzig Jahre vor Beginn der Erzählung, etwa ebensoviel „nachdem sie sich gekriegt haben", verleben wir episodisch auf dem Laude, aber der ganze Schwerpunkt der Ereignisse spielt sich ab in Venedig selbst, in dem machtlosen, und doch so stolzen, in dem lebensfroher und sittenlosen und den¬ noch durch die geheimnißvolle Macht und die unberechenbare Willkühr seiner adligen Herrscher so grauenvollen Venedig. Einige ergreifende Bilder der eigenthümlichen Pracht und Furchtbarkeit dieser Aristokratie ohne Gleichen hat Jeder geboten, der mit Ernst und Geschick den Quellen nachgegangen ist, an Ort und Stelle mit Andacht die Lokalfarbe der alten Stadt, Zeit und Verfassung studirt hat. So bietet, um nur Deutsche der Gegenwart zu nennen, Karl Braun in einer seiner Sammlungen einen interessanten Rechtsfall aus dem alten Venedig, Heinrich Kruse, in seinem Marino Faliero stimmungsvolle Bilder aus den großen Tagen der Meer¬ königin. Doch mit solcher Treue und Vielseitigkeit wie von Jppolito Nievo ist das alte, d. h. selbständige Venedig gewiß von Wenigen, das Venedig des vorigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/471>, abgerufen am 29.04.2024.