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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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lieferten oder kreuzigten, so ließen die karthagischen Feldherren sie absichtlich in
ausgesetzten Stellungen vom Feinde niedermachen, führten sie auf öde Inseln,
um dort zu verhungern, warfen sie über Bord oder metzelten sie Nachts nieder.
Das Verhältniß von Führer und Mannschaft war ein Zustand fortdauernder
Verschwörung und inneren Krieges. Die Waffe, welche Karthago im Kampfe
mit Rom führte, drohte bei jedem Hiebe zu zerbrechen oder gar die eigene
Brust zu verwunden. Unzählige Unternehmungen mögen schon, ohne daß wir
es wissen, im Entwürfe gescheitert sein aus Mangel an Vertrauen aus die
Soldtruppen, und noch mehr schlugen, der Unzuverlässigkeit der Miethlinge
wegen, in der Ausführung fehl.

Merkwürdig bleibt es bei alledem, daß die Punier im Laufe des ganzen
Krieges nur einen einzigen entscheidenden See Sieg erfochten. Auf diesem
Element erschien doch ihre Überlegenheit von Anfang an gesichert. Indeß
scheint die Vereinigung hellenischer Seeknnde mit der durch die Enterbrücken
ermöglichten Aeußerung römischer Kampftüchtigkeit doch ein Kraftprodukt er¬
geben zu haben, dem die Karthager nicht gewachsen waren.




populäre Unterhaltungsliteratur des zwölften
Jahrhunderts.
Von A. Leonhard. II.

Aus derselben Schule, derselben Zeit und derselben Gegend, wie das
Märe von Orendel stammt das Gedicht von Se. Oswald's Leben, welches
nach einer Schaffhausener Handschrift 1835 von L. Ettmüller herausgegeben
wurde. Den Inhalt dieses Gedichtes bildet die Werbung König Oswald's
von England um die schöne Heidentochter Paimg oder Spange, welche er
schließlich, da der Vater der Jungfrau dieselbe nicht herausgeben will, durch
listigen Raub sich gewinnt. Eine genauere Betrachtung dieses heiligen Königs,
des Haupthelden unsers Gedichtes, drängt zu der Annahme, daß in seiner
Person der alte Germanengott Wuotan eine vermenschlichte Gestaltung ge¬
wonnen hat. Bekanntlich wußte altdeutscher Glaube auch von einer Braut¬
werbung des obersten Gottes zu erzählen: Wenn in den "Zwölften", d. h. in
den zwölf Nächten von Weihnachten bis Dreikönigentag, der Sturmwind - mit
lautem Geheul über Felder und Dächer dahinfährt, dann, meinte man, jage


lieferten oder kreuzigten, so ließen die karthagischen Feldherren sie absichtlich in
ausgesetzten Stellungen vom Feinde niedermachen, führten sie auf öde Inseln,
um dort zu verhungern, warfen sie über Bord oder metzelten sie Nachts nieder.
Das Verhältniß von Führer und Mannschaft war ein Zustand fortdauernder
Verschwörung und inneren Krieges. Die Waffe, welche Karthago im Kampfe
mit Rom führte, drohte bei jedem Hiebe zu zerbrechen oder gar die eigene
Brust zu verwunden. Unzählige Unternehmungen mögen schon, ohne daß wir
es wissen, im Entwürfe gescheitert sein aus Mangel an Vertrauen aus die
Soldtruppen, und noch mehr schlugen, der Unzuverlässigkeit der Miethlinge
wegen, in der Ausführung fehl.

Merkwürdig bleibt es bei alledem, daß die Punier im Laufe des ganzen
Krieges nur einen einzigen entscheidenden See Sieg erfochten. Auf diesem
Element erschien doch ihre Überlegenheit von Anfang an gesichert. Indeß
scheint die Vereinigung hellenischer Seeknnde mit der durch die Enterbrücken
ermöglichten Aeußerung römischer Kampftüchtigkeit doch ein Kraftprodukt er¬
geben zu haben, dem die Karthager nicht gewachsen waren.




populäre Unterhaltungsliteratur des zwölften
Jahrhunderts.
Von A. Leonhard. II.

Aus derselben Schule, derselben Zeit und derselben Gegend, wie das
Märe von Orendel stammt das Gedicht von Se. Oswald's Leben, welches
nach einer Schaffhausener Handschrift 1835 von L. Ettmüller herausgegeben
wurde. Den Inhalt dieses Gedichtes bildet die Werbung König Oswald's
von England um die schöne Heidentochter Paimg oder Spange, welche er
schließlich, da der Vater der Jungfrau dieselbe nicht herausgeben will, durch
listigen Raub sich gewinnt. Eine genauere Betrachtung dieses heiligen Königs,
des Haupthelden unsers Gedichtes, drängt zu der Annahme, daß in seiner
Person der alte Germanengott Wuotan eine vermenschlichte Gestaltung ge¬
wonnen hat. Bekanntlich wußte altdeutscher Glaube auch von einer Braut¬
werbung des obersten Gottes zu erzählen: Wenn in den „Zwölften", d. h. in
den zwölf Nächten von Weihnachten bis Dreikönigentag, der Sturmwind - mit
lautem Geheul über Felder und Dächer dahinfährt, dann, meinte man, jage


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/260>, abgerufen am 04.05.2024.