Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wuotan mit seinen Schnüren der Geliebten nach, die dem stürmischen Werber
sich keusch zu entziehen suche und erst in den "andern Zwölften", d. i. in der
Zeit vom 1, bis zum 12. Mai, vo" ihm glücklich gewonnen und zur fröhlichen
Hochzeit geführt werde. Diese Vorstellung mag die Phantasie des Volkes zu
manchen Mythen angeregt haben. Ein solcher Mythus von der mühevollen,
aber doch zu glücklichem Ende geführten Brautwerbung des Gottes scheint
unserm Spielmaunsgedichte als Grundlage gedient zu haben.

König Oswald von England -- so lautet die Erzählung -- war, als er
24 Jahre alt geworden, in Verlegenheit, wo er sich eine ebenbürtige Gemahlin
suchen solle. Der pilgernde Meister Warmnnd oder Tragemnnd -- "72 Reiche
waren ihm kund" -- schlägt Paimg oder Spange, die Tochter des Königs
Aaron vor, verzichtet aber zugleich auf die Ehre, des Königs Brautwerber zu
sein, weil der grimmige Heide jedem Werber den Kops abschlage. Nach län¬
gerer Berathung wird ein Rabe, welcher am Hofe aufgezogen worden und jetzt
plötzlich durch göttliche Einwirkung menschliche Redegabe gewinnt, mit der
schriftlichen Liebesbotschaft abgesandt.

Nach einem kleinen Abenteuer mit einem Meerweibe kommt er wohlbe¬
halten an den Ort seiner Bestimmung, als man dort eben abgespeist hat. Er
fliegt auf die Tafel, und uach vielen höflichen Bücklingen und nachdem er sich
von König Aaron sein Leben durch einen Eid hat versichern lassen, bringt er
seine Werbung vor. Der König, darob ergrimmt, läßt den Vogel fangen, und
er würde ihn getödtet haben, wenn sich nicht die schöne Paimg ins Mittel ge¬
legt Hütte. Ihre Drohung, sie werde mit einem Spielmann in alle Welt gehen
-- diese Wendung charakterisirt den Verfasser unsers Gedichtes -- falls dem
Raben der Prozeß gemacht werde, macht Eindruck auf den harten Vater und
bestimmt ihn, den Vogel der Tochter zu überlassen. Diese erquickt den Raben
mit "Semmeln und gutem Wein, Und was da gutes mochte sein, Zahmes und
Wildbrät" und empfängt von ihm Oswald's Liebesbrief. Mit einem goldenen
Ringe, dem Symbol der Gegenliebe, und einem Schreiben der Prinzessin,
welche dem Geliebten aufträgt, eine Flotte von 72 Kielen zu rüsten und den
Raben und einen übergoldeten Hirsch mitzubringen, eilt der behende Vogel
nach England zurück. Sofort bricht Oswald mit seinem Heere auf, vergißt
aber bei der Abfahrt deu Raben. Er findet für fein Heer am feindlichen
Strande eine gute Bergestätte, kann aber nichts unternehmen, bis auf ein allge¬
meines Gebet ein Engel den Vogel, den weisen Berather, herbeiholt. Dieser
ist in arger Verstimmung: Koch und Kellner in England haben ihm nichts
zu essen und zu trinken gegeben, und ihn gezwungen, mit den Schweinen und
Hunden zu speisen. Energisch verlangt er Bestrafung der Uebelthäter; erst nach¬
dem ihm diese zugesagt ist, macht er sich auf zu der Jungfrau in der Königs-


Wuotan mit seinen Schnüren der Geliebten nach, die dem stürmischen Werber
sich keusch zu entziehen suche und erst in den „andern Zwölften", d. i. in der
Zeit vom 1, bis zum 12. Mai, vo» ihm glücklich gewonnen und zur fröhlichen
Hochzeit geführt werde. Diese Vorstellung mag die Phantasie des Volkes zu
manchen Mythen angeregt haben. Ein solcher Mythus von der mühevollen,
aber doch zu glücklichem Ende geführten Brautwerbung des Gottes scheint
unserm Spielmaunsgedichte als Grundlage gedient zu haben.

König Oswald von England — so lautet die Erzählung — war, als er
24 Jahre alt geworden, in Verlegenheit, wo er sich eine ebenbürtige Gemahlin
suchen solle. Der pilgernde Meister Warmnnd oder Tragemnnd — „72 Reiche
waren ihm kund" — schlägt Paimg oder Spange, die Tochter des Königs
Aaron vor, verzichtet aber zugleich auf die Ehre, des Königs Brautwerber zu
sein, weil der grimmige Heide jedem Werber den Kops abschlage. Nach län¬
gerer Berathung wird ein Rabe, welcher am Hofe aufgezogen worden und jetzt
plötzlich durch göttliche Einwirkung menschliche Redegabe gewinnt, mit der
schriftlichen Liebesbotschaft abgesandt.

Nach einem kleinen Abenteuer mit einem Meerweibe kommt er wohlbe¬
halten an den Ort seiner Bestimmung, als man dort eben abgespeist hat. Er
fliegt auf die Tafel, und uach vielen höflichen Bücklingen und nachdem er sich
von König Aaron sein Leben durch einen Eid hat versichern lassen, bringt er
seine Werbung vor. Der König, darob ergrimmt, läßt den Vogel fangen, und
er würde ihn getödtet haben, wenn sich nicht die schöne Paimg ins Mittel ge¬
legt Hütte. Ihre Drohung, sie werde mit einem Spielmann in alle Welt gehen
— diese Wendung charakterisirt den Verfasser unsers Gedichtes — falls dem
Raben der Prozeß gemacht werde, macht Eindruck auf den harten Vater und
bestimmt ihn, den Vogel der Tochter zu überlassen. Diese erquickt den Raben
mit „Semmeln und gutem Wein, Und was da gutes mochte sein, Zahmes und
Wildbrät" und empfängt von ihm Oswald's Liebesbrief. Mit einem goldenen
Ringe, dem Symbol der Gegenliebe, und einem Schreiben der Prinzessin,
welche dem Geliebten aufträgt, eine Flotte von 72 Kielen zu rüsten und den
Raben und einen übergoldeten Hirsch mitzubringen, eilt der behende Vogel
nach England zurück. Sofort bricht Oswald mit seinem Heere auf, vergißt
aber bei der Abfahrt deu Raben. Er findet für fein Heer am feindlichen
Strande eine gute Bergestätte, kann aber nichts unternehmen, bis auf ein allge¬
meines Gebet ein Engel den Vogel, den weisen Berather, herbeiholt. Dieser
ist in arger Verstimmung: Koch und Kellner in England haben ihm nichts
zu essen und zu trinken gegeben, und ihn gezwungen, mit den Schweinen und
Hunden zu speisen. Energisch verlangt er Bestrafung der Uebelthäter; erst nach¬
dem ihm diese zugesagt ist, macht er sich auf zu der Jungfrau in der Königs-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/140612"/>
          <p xml:id="ID_791" prev="#ID_790"> Wuotan mit seinen Schnüren der Geliebten nach, die dem stürmischen Werber<lb/>
sich keusch zu entziehen suche und erst in den &#x201E;andern Zwölften", d. i. in der<lb/>
Zeit vom 1, bis zum 12. Mai, vo» ihm glücklich gewonnen und zur fröhlichen<lb/>
Hochzeit geführt werde. Diese Vorstellung mag die Phantasie des Volkes zu<lb/>
manchen Mythen angeregt haben. Ein solcher Mythus von der mühevollen,<lb/>
aber doch zu glücklichem Ende geführten Brautwerbung des Gottes scheint<lb/>
unserm Spielmaunsgedichte als Grundlage gedient zu haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_792"> König Oswald von England &#x2014; so lautet die Erzählung &#x2014; war, als er<lb/>
24 Jahre alt geworden, in Verlegenheit, wo er sich eine ebenbürtige Gemahlin<lb/>
suchen solle. Der pilgernde Meister Warmnnd oder Tragemnnd &#x2014; &#x201E;72 Reiche<lb/>
waren ihm kund" &#x2014; schlägt Paimg oder Spange, die Tochter des Königs<lb/>
Aaron vor, verzichtet aber zugleich auf die Ehre, des Königs Brautwerber zu<lb/>
sein, weil der grimmige Heide jedem Werber den Kops abschlage. Nach län¬<lb/>
gerer Berathung wird ein Rabe, welcher am Hofe aufgezogen worden und jetzt<lb/>
plötzlich durch göttliche Einwirkung menschliche Redegabe gewinnt, mit der<lb/>
schriftlichen Liebesbotschaft abgesandt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_793" next="#ID_794"> Nach einem kleinen Abenteuer mit einem Meerweibe kommt er wohlbe¬<lb/>
halten an den Ort seiner Bestimmung, als man dort eben abgespeist hat. Er<lb/>
fliegt auf die Tafel, und uach vielen höflichen Bücklingen und nachdem er sich<lb/>
von König Aaron sein Leben durch einen Eid hat versichern lassen, bringt er<lb/>
seine Werbung vor. Der König, darob ergrimmt, läßt den Vogel fangen, und<lb/>
er würde ihn getödtet haben, wenn sich nicht die schöne Paimg ins Mittel ge¬<lb/>
legt Hütte. Ihre Drohung, sie werde mit einem Spielmann in alle Welt gehen<lb/>
&#x2014; diese Wendung charakterisirt den Verfasser unsers Gedichtes &#x2014; falls dem<lb/>
Raben der Prozeß gemacht werde, macht Eindruck auf den harten Vater und<lb/>
bestimmt ihn, den Vogel der Tochter zu überlassen. Diese erquickt den Raben<lb/>
mit &#x201E;Semmeln und gutem Wein, Und was da gutes mochte sein, Zahmes und<lb/>
Wildbrät" und empfängt von ihm Oswald's Liebesbrief. Mit einem goldenen<lb/>
Ringe, dem Symbol der Gegenliebe, und einem Schreiben der Prinzessin,<lb/>
welche dem Geliebten aufträgt, eine Flotte von 72 Kielen zu rüsten und den<lb/>
Raben und einen übergoldeten Hirsch mitzubringen, eilt der behende Vogel<lb/>
nach England zurück. Sofort bricht Oswald mit seinem Heere auf, vergißt<lb/>
aber bei der Abfahrt deu Raben. Er findet für fein Heer am feindlichen<lb/>
Strande eine gute Bergestätte, kann aber nichts unternehmen, bis auf ein allge¬<lb/>
meines Gebet ein Engel den Vogel, den weisen Berather, herbeiholt. Dieser<lb/>
ist in arger Verstimmung: Koch und Kellner in England haben ihm nichts<lb/>
zu essen und zu trinken gegeben, und ihn gezwungen, mit den Schweinen und<lb/>
Hunden zu speisen. Energisch verlangt er Bestrafung der Uebelthäter; erst nach¬<lb/>
dem ihm diese zugesagt ist, macht er sich auf zu der Jungfrau in der Königs-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] Wuotan mit seinen Schnüren der Geliebten nach, die dem stürmischen Werber sich keusch zu entziehen suche und erst in den „andern Zwölften", d. i. in der Zeit vom 1, bis zum 12. Mai, vo» ihm glücklich gewonnen und zur fröhlichen Hochzeit geführt werde. Diese Vorstellung mag die Phantasie des Volkes zu manchen Mythen angeregt haben. Ein solcher Mythus von der mühevollen, aber doch zu glücklichem Ende geführten Brautwerbung des Gottes scheint unserm Spielmaunsgedichte als Grundlage gedient zu haben. König Oswald von England — so lautet die Erzählung — war, als er 24 Jahre alt geworden, in Verlegenheit, wo er sich eine ebenbürtige Gemahlin suchen solle. Der pilgernde Meister Warmnnd oder Tragemnnd — „72 Reiche waren ihm kund" — schlägt Paimg oder Spange, die Tochter des Königs Aaron vor, verzichtet aber zugleich auf die Ehre, des Königs Brautwerber zu sein, weil der grimmige Heide jedem Werber den Kops abschlage. Nach län¬ gerer Berathung wird ein Rabe, welcher am Hofe aufgezogen worden und jetzt plötzlich durch göttliche Einwirkung menschliche Redegabe gewinnt, mit der schriftlichen Liebesbotschaft abgesandt. Nach einem kleinen Abenteuer mit einem Meerweibe kommt er wohlbe¬ halten an den Ort seiner Bestimmung, als man dort eben abgespeist hat. Er fliegt auf die Tafel, und uach vielen höflichen Bücklingen und nachdem er sich von König Aaron sein Leben durch einen Eid hat versichern lassen, bringt er seine Werbung vor. Der König, darob ergrimmt, läßt den Vogel fangen, und er würde ihn getödtet haben, wenn sich nicht die schöne Paimg ins Mittel ge¬ legt Hütte. Ihre Drohung, sie werde mit einem Spielmann in alle Welt gehen — diese Wendung charakterisirt den Verfasser unsers Gedichtes — falls dem Raben der Prozeß gemacht werde, macht Eindruck auf den harten Vater und bestimmt ihn, den Vogel der Tochter zu überlassen. Diese erquickt den Raben mit „Semmeln und gutem Wein, Und was da gutes mochte sein, Zahmes und Wildbrät" und empfängt von ihm Oswald's Liebesbrief. Mit einem goldenen Ringe, dem Symbol der Gegenliebe, und einem Schreiben der Prinzessin, welche dem Geliebten aufträgt, eine Flotte von 72 Kielen zu rüsten und den Raben und einen übergoldeten Hirsch mitzubringen, eilt der behende Vogel nach England zurück. Sofort bricht Oswald mit seinem Heere auf, vergißt aber bei der Abfahrt deu Raben. Er findet für fein Heer am feindlichen Strande eine gute Bergestätte, kann aber nichts unternehmen, bis auf ein allge¬ meines Gebet ein Engel den Vogel, den weisen Berather, herbeiholt. Dieser ist in arger Verstimmung: Koch und Kellner in England haben ihm nichts zu essen und zu trinken gegeben, und ihn gezwungen, mit den Schweinen und Hunden zu speisen. Energisch verlangt er Bestrafung der Uebelthäter; erst nach¬ dem ihm diese zugesagt ist, macht er sich auf zu der Jungfrau in der Königs-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/261>, abgerufen am 23.05.2024.