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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Ile dritte Woche des "Ireuszischen Landtags.

Das Herrenhaus hat sich in dieser Woche schweigend verhalten; die Herren
sind eben stark beschäftigt mit Kommissionsberathungen über die ihnen diesmal
sogleich in ungewohnter Menge zugegangenen Vorlagen. Das Abgeordnetenhaus
hatte bisher in erfreulicher Weise sich mehr als sonst, unter möglichster Weg¬
lassung von Unnöthigem und unter Meldung von Zeitverlust an die Erledi¬
gung der Geschäfte gehalten, aber mit Beginn dieser Woche nahten sich bereits
böse Geister, um es von dieser Bahn abzuziehen oder Haß und Unfrieden anf's
Neue zu säen. Es hängt mit der in etwas geänderten Haltung des Zentrums
zusammen, daß von Schorlemer bei Berathung der Vorlage über die Wasser¬
genossenschaften sich in gesuchtem Tadel der Regierung erging. Das Zentrum
will sich nun einmal als reinpolitische Partei, und sogar als Vormund aller
Bedrückten zeigen. Schorlemer that des Guten etwas viel, indem er sowohl
die Unterlassung einer Kodifikation des ganzen Wasserrechts als auch umge¬
kehrt die Ueberbttrdung des Landtags dnrch jenen das letztere nur theilweise
betreffenden Entwurf tadelte. Thut nichts, es gilt dem Zentrum nur um Hin¬
weise, daß es mehr als andere Parteien praktisch ans Hebung des materiellen
Wohlstandes ausgehe. Auch bei Berathung des Entwurfs über Errichtung
von Landeskultur-Rentenbanken am 2. Dezember führte dieser Volksbeglücker
wieder das große Wort und trat als Beschützer der Landwirthschaft auf, welche
er dnrch die vermehrte Einfuhr von Getreide für bedroht erklärte. Daß diese
Einfuhr für Nichtlandwirthe nöthig gewesen, wurde dabei gar nicht beachtet.
Es macht einen unsäglich verstimmenden Eindruck, als einzigen Grund dieses
anscheinend so wohlwollenden Auftretens lediglich die schlimmste Verhetzung
von Parteien und Bevölkeruugsklassen klar durchscheinen zu sehen.

Nach diesem schon in voriger Woche mit der Wucherfrage begonnenen
Vorspiel steht der Session noch Manches vom Genre dieser malitiösen Agitation
bevor. Um so mißlicher war es, daß plötzlich auch noch ein neckischer Kobold
das Haus vom guten Vorsatze sachlicher Geschäftsbehandlung abzog. Es han¬
delte sich um den Entwurf wegen Aenderungen in der Zuständigkeit einiger
Ministerien und es stand schon fest, daß die Mehrheit mit der beabsichtigten
Abtrennung der Domainen und Forsten vom Finanz- und ihrer Zutheilung
zum landwirtschaftlichen Ministerum sowie der Aenderung im Ressort des
Handelsministeriums einverstanden war. Der liberale Theil der Mehrheit fühlte
sogar eine gewisse Befriedigung darüber, daß die Regierung die Winke befolgt
hatte, welche ihr am 23. März d. I. bei Ablehnung der damaligen angeblich
überstürzten ähnlichen Vorlage im Hause ertheilt waren. Gleichwohl und ohne


Ile dritte Woche des "Ireuszischen Landtags.

Das Herrenhaus hat sich in dieser Woche schweigend verhalten; die Herren
sind eben stark beschäftigt mit Kommissionsberathungen über die ihnen diesmal
sogleich in ungewohnter Menge zugegangenen Vorlagen. Das Abgeordnetenhaus
hatte bisher in erfreulicher Weise sich mehr als sonst, unter möglichster Weg¬
lassung von Unnöthigem und unter Meldung von Zeitverlust an die Erledi¬
gung der Geschäfte gehalten, aber mit Beginn dieser Woche nahten sich bereits
böse Geister, um es von dieser Bahn abzuziehen oder Haß und Unfrieden anf's
Neue zu säen. Es hängt mit der in etwas geänderten Haltung des Zentrums
zusammen, daß von Schorlemer bei Berathung der Vorlage über die Wasser¬
genossenschaften sich in gesuchtem Tadel der Regierung erging. Das Zentrum
will sich nun einmal als reinpolitische Partei, und sogar als Vormund aller
Bedrückten zeigen. Schorlemer that des Guten etwas viel, indem er sowohl
die Unterlassung einer Kodifikation des ganzen Wasserrechts als auch umge¬
kehrt die Ueberbttrdung des Landtags dnrch jenen das letztere nur theilweise
betreffenden Entwurf tadelte. Thut nichts, es gilt dem Zentrum nur um Hin¬
weise, daß es mehr als andere Parteien praktisch ans Hebung des materiellen
Wohlstandes ausgehe. Auch bei Berathung des Entwurfs über Errichtung
von Landeskultur-Rentenbanken am 2. Dezember führte dieser Volksbeglücker
wieder das große Wort und trat als Beschützer der Landwirthschaft auf, welche
er dnrch die vermehrte Einfuhr von Getreide für bedroht erklärte. Daß diese
Einfuhr für Nichtlandwirthe nöthig gewesen, wurde dabei gar nicht beachtet.
Es macht einen unsäglich verstimmenden Eindruck, als einzigen Grund dieses
anscheinend so wohlwollenden Auftretens lediglich die schlimmste Verhetzung
von Parteien und Bevölkeruugsklassen klar durchscheinen zu sehen.

Nach diesem schon in voriger Woche mit der Wucherfrage begonnenen
Vorspiel steht der Session noch Manches vom Genre dieser malitiösen Agitation
bevor. Um so mißlicher war es, daß plötzlich auch noch ein neckischer Kobold
das Haus vom guten Vorsatze sachlicher Geschäftsbehandlung abzog. Es han¬
delte sich um den Entwurf wegen Aenderungen in der Zuständigkeit einiger
Ministerien und es stand schon fest, daß die Mehrheit mit der beabsichtigten
Abtrennung der Domainen und Forsten vom Finanz- und ihrer Zutheilung
zum landwirtschaftlichen Ministerum sowie der Aenderung im Ressort des
Handelsministeriums einverstanden war. Der liberale Theil der Mehrheit fühlte
sogar eine gewisse Befriedigung darüber, daß die Regierung die Winke befolgt
hatte, welche ihr am 23. März d. I. bei Ablehnung der damaligen angeblich
überstürzten ähnlichen Vorlage im Hause ertheilt waren. Gleichwohl und ohne


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[0434] Ile dritte Woche des "Ireuszischen Landtags. Das Herrenhaus hat sich in dieser Woche schweigend verhalten; die Herren sind eben stark beschäftigt mit Kommissionsberathungen über die ihnen diesmal sogleich in ungewohnter Menge zugegangenen Vorlagen. Das Abgeordnetenhaus hatte bisher in erfreulicher Weise sich mehr als sonst, unter möglichster Weg¬ lassung von Unnöthigem und unter Meldung von Zeitverlust an die Erledi¬ gung der Geschäfte gehalten, aber mit Beginn dieser Woche nahten sich bereits böse Geister, um es von dieser Bahn abzuziehen oder Haß und Unfrieden anf's Neue zu säen. Es hängt mit der in etwas geänderten Haltung des Zentrums zusammen, daß von Schorlemer bei Berathung der Vorlage über die Wasser¬ genossenschaften sich in gesuchtem Tadel der Regierung erging. Das Zentrum will sich nun einmal als reinpolitische Partei, und sogar als Vormund aller Bedrückten zeigen. Schorlemer that des Guten etwas viel, indem er sowohl die Unterlassung einer Kodifikation des ganzen Wasserrechts als auch umge¬ kehrt die Ueberbttrdung des Landtags dnrch jenen das letztere nur theilweise betreffenden Entwurf tadelte. Thut nichts, es gilt dem Zentrum nur um Hin¬ weise, daß es mehr als andere Parteien praktisch ans Hebung des materiellen Wohlstandes ausgehe. Auch bei Berathung des Entwurfs über Errichtung von Landeskultur-Rentenbanken am 2. Dezember führte dieser Volksbeglücker wieder das große Wort und trat als Beschützer der Landwirthschaft auf, welche er dnrch die vermehrte Einfuhr von Getreide für bedroht erklärte. Daß diese Einfuhr für Nichtlandwirthe nöthig gewesen, wurde dabei gar nicht beachtet. Es macht einen unsäglich verstimmenden Eindruck, als einzigen Grund dieses anscheinend so wohlwollenden Auftretens lediglich die schlimmste Verhetzung von Parteien und Bevölkeruugsklassen klar durchscheinen zu sehen. Nach diesem schon in voriger Woche mit der Wucherfrage begonnenen Vorspiel steht der Session noch Manches vom Genre dieser malitiösen Agitation bevor. Um so mißlicher war es, daß plötzlich auch noch ein neckischer Kobold das Haus vom guten Vorsatze sachlicher Geschäftsbehandlung abzog. Es han¬ delte sich um den Entwurf wegen Aenderungen in der Zuständigkeit einiger Ministerien und es stand schon fest, daß die Mehrheit mit der beabsichtigten Abtrennung der Domainen und Forsten vom Finanz- und ihrer Zutheilung zum landwirtschaftlichen Ministerum sowie der Aenderung im Ressort des Handelsministeriums einverstanden war. Der liberale Theil der Mehrheit fühlte sogar eine gewisse Befriedigung darüber, daß die Regierung die Winke befolgt hatte, welche ihr am 23. März d. I. bei Ablehnung der damaligen angeblich überstürzten ähnlichen Vorlage im Hause ertheilt waren. Gleichwohl und ohne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/434>, abgerufen am 29.04.2024.