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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Me akademische Kunstausstellung in Aerlin.
Adolf Rosenberg. Von II.

Vier Wochen nach Eröffnung der Ausstellung ist uns von München her
noch eine angenehme Ueberraschung gekommen: ein Meisterwerk ersten Ranges,
welches die winzige Zahl der Historienbilder in erfreulicher Weise vermehrt.
Freilich, wenn wir den Schöpfer dieses Bildes, Franz Defregger, auf seine
Nationalität prüfen, käme sein Werk nicht der deutschen Kunst zu gute. Aber
der Tiroler aus dem Pusterthale ist ebenso wie seine Landsleute Mathias
Schmidt und Alois Gahl, die als Schilderer tirolischen Lebens zu großem An¬
setzn gelangt sind, ganz und gar auf deutschem Boden erstarkt, in München,
in der Schule Piloty's, deren größte Zierde der nunmehrige Historienmaler
Franz Defregger bildet. Ursprünglich war auch er nur der liebevolle Schil¬
derer seines heimathlichen Lebens, der uns seine Landsleute gern bei Spiel und
Tanz in fröhlicher Festeslust zeigte. Ein bischen Schwermuth war zwar alle¬
mal dabei; aber sie streifte noch lange nicht an die trübselige Sentimentalität
der modernen Dorfgeschichtenerzähler. Dann wandte Defregger seinen Blick
aus der Gegenwart rückwärts in die Vergangenheit. Der Maler ließ dem
Patrioten den Vortritt, und so entstanden jene herrlichen, auf das tiefste er¬
greifenden Darstellungen aus dem Verzweiflungskampfe der Tiroler gegen ihre
Unterdrücker, von denen "die Heimkehr der Sieger" und vor allem "das letzte
Aufgebot", ein Bild von erschütternder Tragik, am bekanntesten geworden sind.
Aber diese Bilder waren am Ende nur historische Genrebilder in kleinem Rahmen.
Die ungemein scharf charakterisirten, sehr lebendigen Figuren erreichten kaum
den vierten Theil der Lebensgröße. Auch war der Held des "Trauerspiels in
Tirol" aus ihrer Mitte nicht in den Vordergrund getreten.

Jetzt ist aus dem Epiker ein Dramatiker, aus dem Genremaler ein Histo¬
rienmaler großen Stils geworden, der uns in lebensgroßen Figuren, von dem


Grenzboten IV. 1878. 11
Me akademische Kunstausstellung in Aerlin.
Adolf Rosenberg. Von II.

Vier Wochen nach Eröffnung der Ausstellung ist uns von München her
noch eine angenehme Ueberraschung gekommen: ein Meisterwerk ersten Ranges,
welches die winzige Zahl der Historienbilder in erfreulicher Weise vermehrt.
Freilich, wenn wir den Schöpfer dieses Bildes, Franz Defregger, auf seine
Nationalität prüfen, käme sein Werk nicht der deutschen Kunst zu gute. Aber
der Tiroler aus dem Pusterthale ist ebenso wie seine Landsleute Mathias
Schmidt und Alois Gahl, die als Schilderer tirolischen Lebens zu großem An¬
setzn gelangt sind, ganz und gar auf deutschem Boden erstarkt, in München,
in der Schule Piloty's, deren größte Zierde der nunmehrige Historienmaler
Franz Defregger bildet. Ursprünglich war auch er nur der liebevolle Schil¬
derer seines heimathlichen Lebens, der uns seine Landsleute gern bei Spiel und
Tanz in fröhlicher Festeslust zeigte. Ein bischen Schwermuth war zwar alle¬
mal dabei; aber sie streifte noch lange nicht an die trübselige Sentimentalität
der modernen Dorfgeschichtenerzähler. Dann wandte Defregger seinen Blick
aus der Gegenwart rückwärts in die Vergangenheit. Der Maler ließ dem
Patrioten den Vortritt, und so entstanden jene herrlichen, auf das tiefste er¬
greifenden Darstellungen aus dem Verzweiflungskampfe der Tiroler gegen ihre
Unterdrücker, von denen „die Heimkehr der Sieger" und vor allem „das letzte
Aufgebot", ein Bild von erschütternder Tragik, am bekanntesten geworden sind.
Aber diese Bilder waren am Ende nur historische Genrebilder in kleinem Rahmen.
Die ungemein scharf charakterisirten, sehr lebendigen Figuren erreichten kaum
den vierten Theil der Lebensgröße. Auch war der Held des „Trauerspiels in
Tirol" aus ihrer Mitte nicht in den Vordergrund getreten.

Jetzt ist aus dem Epiker ein Dramatiker, aus dem Genremaler ein Histo¬
rienmaler großen Stils geworden, der uns in lebensgroßen Figuren, von dem


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[0085] Me akademische Kunstausstellung in Aerlin. Adolf Rosenberg. Von II. Vier Wochen nach Eröffnung der Ausstellung ist uns von München her noch eine angenehme Ueberraschung gekommen: ein Meisterwerk ersten Ranges, welches die winzige Zahl der Historienbilder in erfreulicher Weise vermehrt. Freilich, wenn wir den Schöpfer dieses Bildes, Franz Defregger, auf seine Nationalität prüfen, käme sein Werk nicht der deutschen Kunst zu gute. Aber der Tiroler aus dem Pusterthale ist ebenso wie seine Landsleute Mathias Schmidt und Alois Gahl, die als Schilderer tirolischen Lebens zu großem An¬ setzn gelangt sind, ganz und gar auf deutschem Boden erstarkt, in München, in der Schule Piloty's, deren größte Zierde der nunmehrige Historienmaler Franz Defregger bildet. Ursprünglich war auch er nur der liebevolle Schil¬ derer seines heimathlichen Lebens, der uns seine Landsleute gern bei Spiel und Tanz in fröhlicher Festeslust zeigte. Ein bischen Schwermuth war zwar alle¬ mal dabei; aber sie streifte noch lange nicht an die trübselige Sentimentalität der modernen Dorfgeschichtenerzähler. Dann wandte Defregger seinen Blick aus der Gegenwart rückwärts in die Vergangenheit. Der Maler ließ dem Patrioten den Vortritt, und so entstanden jene herrlichen, auf das tiefste er¬ greifenden Darstellungen aus dem Verzweiflungskampfe der Tiroler gegen ihre Unterdrücker, von denen „die Heimkehr der Sieger" und vor allem „das letzte Aufgebot", ein Bild von erschütternder Tragik, am bekanntesten geworden sind. Aber diese Bilder waren am Ende nur historische Genrebilder in kleinem Rahmen. Die ungemein scharf charakterisirten, sehr lebendigen Figuren erreichten kaum den vierten Theil der Lebensgröße. Auch war der Held des „Trauerspiels in Tirol" aus ihrer Mitte nicht in den Vordergrund getreten. Jetzt ist aus dem Epiker ein Dramatiker, aus dem Genremaler ein Histo¬ rienmaler großen Stils geworden, der uns in lebensgroßen Figuren, von dem Grenzboten IV. 1878. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/85>, abgerufen am 29.04.2024.