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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Was manchen unserer Mitmenschen für Delikatesse gilt, ist erstaunlich.
Der Bewohner von Feju hält gebackene Menschenlenden, der Wilde auf Su¬
matra gekochte Finger für die höchsten Leckerbissen. Der chinesische Gourmand
begeistert sich, abgesehen von den oben augeführten Gaumenfreuden, für halb¬
ausgebrütete Eier, der Australier für Känguruschwänze, der Eskimo für See¬
hunds- und Walroßthran. In Neubraunschweig ißt man die Haut der Nase
vom Elenthiere, in Birma geschmorte rothe Ameisen, in Rio Janeiro Affen¬
rippen und Papageienpasteten, in Malabar Fledermäuse, in Westindien Ratten,
im Westen Nordamerika's Stinkthiere und Präriewölfe, auf Ceylon Elephan¬
tenfüße. Dr. Shaw spricht lobend vom Wohlgeschmack des Löwenbratens,
Dr. Darwin aß mit Passion Pumafleisch, Dr. Brown hält geschmolzenes Bären¬
fett für das beste Getränk, und aus or. Simmoud's pikantem Buche "Gastro¬
nomische Literatur", dem diese saftigen Notizen entlehnt sind, lernen wir, daß
"nur Vorurtheile uns hindern, Alles zu essen".

Wer weiß, was demzufolge einst alles noch geschieht! Und blicken wir
in die Vergangenheit zurück, in die Zeit der Pfahlbauten und Kjökenmöddings,
so war es gewiß keine gastronomisch angehauchte Gemüthsstimmung, welche
die Menschheit zum ersten Male an die Verspeisung von Hummern, Seespinnen
und Austern deuten ließ. Hunger überwand den Ekel, den der Anblick dieser
Thiere einflößen mußte, und Bravo! sagten Gaumen und Zunge dazu. Hunger
ist also nicht blos der beste Koch, sondern auch der beste Entdecker für den
Koch gewesen. Er und der Geschmackssinn haben der Kunst zu essen Dinge
zugeführt, deren Güte kein Auge und kein anderer Sinn unter ihrer rauhen
und unschönen Hülle zu erkennen vermocht hätte. Und so mag sich denn die
Schlange in den Schwanz beißen: so wiederholen wir den Satz, mit dem wir
begannen: "Es gibt keine Rangstufe unter den Sinnen", doch en,in Zr^no
s^iis. D. h. jeder Sinn ist gleich werthvoll und gleich edel aus dem Gebiete,
fü S r das er uns verliehen ist.




MG- Alle für die Grenzboten bestimmten Zuschriften, Manuskripte :c. wolle
man in Zukunft an die Verlagsbuchhandlung richten.
(Adresse: Leipzig, Königsstraße 18.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. -- Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig.

Was manchen unserer Mitmenschen für Delikatesse gilt, ist erstaunlich.
Der Bewohner von Feju hält gebackene Menschenlenden, der Wilde auf Su¬
matra gekochte Finger für die höchsten Leckerbissen. Der chinesische Gourmand
begeistert sich, abgesehen von den oben augeführten Gaumenfreuden, für halb¬
ausgebrütete Eier, der Australier für Känguruschwänze, der Eskimo für See¬
hunds- und Walroßthran. In Neubraunschweig ißt man die Haut der Nase
vom Elenthiere, in Birma geschmorte rothe Ameisen, in Rio Janeiro Affen¬
rippen und Papageienpasteten, in Malabar Fledermäuse, in Westindien Ratten,
im Westen Nordamerika's Stinkthiere und Präriewölfe, auf Ceylon Elephan¬
tenfüße. Dr. Shaw spricht lobend vom Wohlgeschmack des Löwenbratens,
Dr. Darwin aß mit Passion Pumafleisch, Dr. Brown hält geschmolzenes Bären¬
fett für das beste Getränk, und aus or. Simmoud's pikantem Buche „Gastro¬
nomische Literatur", dem diese saftigen Notizen entlehnt sind, lernen wir, daß
„nur Vorurtheile uns hindern, Alles zu essen".

Wer weiß, was demzufolge einst alles noch geschieht! Und blicken wir
in die Vergangenheit zurück, in die Zeit der Pfahlbauten und Kjökenmöddings,
so war es gewiß keine gastronomisch angehauchte Gemüthsstimmung, welche
die Menschheit zum ersten Male an die Verspeisung von Hummern, Seespinnen
und Austern deuten ließ. Hunger überwand den Ekel, den der Anblick dieser
Thiere einflößen mußte, und Bravo! sagten Gaumen und Zunge dazu. Hunger
ist also nicht blos der beste Koch, sondern auch der beste Entdecker für den
Koch gewesen. Er und der Geschmackssinn haben der Kunst zu essen Dinge
zugeführt, deren Güte kein Auge und kein anderer Sinn unter ihrer rauhen
und unschönen Hülle zu erkennen vermocht hätte. Und so mag sich denn die
Schlange in den Schwanz beißen: so wiederholen wir den Satz, mit dem wir
begannen: „Es gibt keine Rangstufe unter den Sinnen", doch en,in Zr^no
s^iis. D. h. jeder Sinn ist gleich werthvoll und gleich edel aus dem Gebiete,
fü S r das er uns verliehen ist.




MG- Alle für die Grenzboten bestimmten Zuschriften, Manuskripte :c. wolle
man in Zukunft an die Verlagsbuchhandlung richten.
(Adresse: Leipzig, Königsstraße 18.)




Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig.
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[0252] Was manchen unserer Mitmenschen für Delikatesse gilt, ist erstaunlich. Der Bewohner von Feju hält gebackene Menschenlenden, der Wilde auf Su¬ matra gekochte Finger für die höchsten Leckerbissen. Der chinesische Gourmand begeistert sich, abgesehen von den oben augeführten Gaumenfreuden, für halb¬ ausgebrütete Eier, der Australier für Känguruschwänze, der Eskimo für See¬ hunds- und Walroßthran. In Neubraunschweig ißt man die Haut der Nase vom Elenthiere, in Birma geschmorte rothe Ameisen, in Rio Janeiro Affen¬ rippen und Papageienpasteten, in Malabar Fledermäuse, in Westindien Ratten, im Westen Nordamerika's Stinkthiere und Präriewölfe, auf Ceylon Elephan¬ tenfüße. Dr. Shaw spricht lobend vom Wohlgeschmack des Löwenbratens, Dr. Darwin aß mit Passion Pumafleisch, Dr. Brown hält geschmolzenes Bären¬ fett für das beste Getränk, und aus or. Simmoud's pikantem Buche „Gastro¬ nomische Literatur", dem diese saftigen Notizen entlehnt sind, lernen wir, daß „nur Vorurtheile uns hindern, Alles zu essen". Wer weiß, was demzufolge einst alles noch geschieht! Und blicken wir in die Vergangenheit zurück, in die Zeit der Pfahlbauten und Kjökenmöddings, so war es gewiß keine gastronomisch angehauchte Gemüthsstimmung, welche die Menschheit zum ersten Male an die Verspeisung von Hummern, Seespinnen und Austern deuten ließ. Hunger überwand den Ekel, den der Anblick dieser Thiere einflößen mußte, und Bravo! sagten Gaumen und Zunge dazu. Hunger ist also nicht blos der beste Koch, sondern auch der beste Entdecker für den Koch gewesen. Er und der Geschmackssinn haben der Kunst zu essen Dinge zugeführt, deren Güte kein Auge und kein anderer Sinn unter ihrer rauhen und unschönen Hülle zu erkennen vermocht hätte. Und so mag sich denn die Schlange in den Schwanz beißen: so wiederholen wir den Satz, mit dem wir begannen: „Es gibt keine Rangstufe unter den Sinnen", doch en,in Zr^no s^iis. D. h. jeder Sinn ist gleich werthvoll und gleich edel aus dem Gebiete, fü S r das er uns verliehen ist. MG- Alle für die Grenzboten bestimmten Zuschriften, Manuskripte :c. wolle man in Zukunft an die Verlagsbuchhandlung richten. (Adresse: Leipzig, Königsstraße 18.) Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Herbig in Leipzig. — Druck von Hüthel K Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/252>, abgerufen am 06.05.2024.