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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Zur Entwickelung der Dinge in Frankreich.

Schneller als man erwartete, führten vor nunmehr vier Wochen die
Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Präsidenten der französischen Republik
und der am 5. Januar in der Gesetzgebung zur Herrschaft gelangten Partei
zur Katastrophe; aber die republikanischen Politiker haben die Probe, auf die
sie dabei gestellt wurden, bis jetzt im Ganzen gut bestanden. Die Krisis, die
mit dem Rücktritte Mac Mahon's und der Ernennung Jules Grevy's zum
Präsidenten endigte, brach allerdings plötzlich aus, aber sehr überraschen konnte
sie niemand, der den Gang der Dinge verfolgt hatte und den Charakter des
Marschalls kannte. Nur konnte man meinen, derselbe werde sich noch einige
Zeit besinnen, ehe er der neuen Aera das Feld räume. Sein Verbleiben im
Elyse war seit dem Tage, wo die Republikaner auch im Senat die Mehrheit
erlangt hatten, eine Anomalie, aber man war bei ihm am 14. Dezember 1877
einer so großen Nachgiebigkeit begegnet, daß man ihm wohl die Resignation
zutrauen konnte, bis zum Ablaufe seines Auftrags im Amte zu verharren.
Allein die Republikaner kannten die ihrer Politik im Stillen feindliche Ge¬
sinnung des Marschalls zu gut, und sie wußten zu genau, daß er der nun¬
mehr hergestellten Uebereinstimmung zwischen den beiden Kammern der Gesetz¬
gebung und dem Ministerium gegenüber für jetzt nichts vermochte, daß die
Zukunft aber ihm eine bessere Stellung verschaffen konnte, um nicht sobald als
möglich den Versuch zu machen, ihn durch Zumuthungen, die ihm zu weit
gingen, zum Rücktritt zu drängen. So stellte man die bekannten Forderungen:
Besetzung der großen Armeekommandos im Sinne der Majorität in Senat
und Deputirtenkammer, Amnestie für die deportirten Kommunards und Ver¬
setzung der früheren Minister in Anklagezustand, und so weigerte man sich, auf
ein Kompromiß einzugehen, wie man dies bei früheren Krisen gethan. Das
Ministerium Dufaure bot die Hand zu diesem energischen Vorgehen, da man
es sonst durch ein Mißtrauensvotum beseitigt haben würde, und so blieb dem
Präsidenten nichts übrig, als seine Demission zu geben. Ein anderes Kabinet


Grenzboten I. 1379, 42
Zur Entwickelung der Dinge in Frankreich.

Schneller als man erwartete, führten vor nunmehr vier Wochen die
Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Präsidenten der französischen Republik
und der am 5. Januar in der Gesetzgebung zur Herrschaft gelangten Partei
zur Katastrophe; aber die republikanischen Politiker haben die Probe, auf die
sie dabei gestellt wurden, bis jetzt im Ganzen gut bestanden. Die Krisis, die
mit dem Rücktritte Mac Mahon's und der Ernennung Jules Grevy's zum
Präsidenten endigte, brach allerdings plötzlich aus, aber sehr überraschen konnte
sie niemand, der den Gang der Dinge verfolgt hatte und den Charakter des
Marschalls kannte. Nur konnte man meinen, derselbe werde sich noch einige
Zeit besinnen, ehe er der neuen Aera das Feld räume. Sein Verbleiben im
Elyse war seit dem Tage, wo die Republikaner auch im Senat die Mehrheit
erlangt hatten, eine Anomalie, aber man war bei ihm am 14. Dezember 1877
einer so großen Nachgiebigkeit begegnet, daß man ihm wohl die Resignation
zutrauen konnte, bis zum Ablaufe seines Auftrags im Amte zu verharren.
Allein die Republikaner kannten die ihrer Politik im Stillen feindliche Ge¬
sinnung des Marschalls zu gut, und sie wußten zu genau, daß er der nun¬
mehr hergestellten Uebereinstimmung zwischen den beiden Kammern der Gesetz¬
gebung und dem Ministerium gegenüber für jetzt nichts vermochte, daß die
Zukunft aber ihm eine bessere Stellung verschaffen konnte, um nicht sobald als
möglich den Versuch zu machen, ihn durch Zumuthungen, die ihm zu weit
gingen, zum Rücktritt zu drängen. So stellte man die bekannten Forderungen:
Besetzung der großen Armeekommandos im Sinne der Majorität in Senat
und Deputirtenkammer, Amnestie für die deportirten Kommunards und Ver¬
setzung der früheren Minister in Anklagezustand, und so weigerte man sich, auf
ein Kompromiß einzugehen, wie man dies bei früheren Krisen gethan. Das
Ministerium Dufaure bot die Hand zu diesem energischen Vorgehen, da man
es sonst durch ein Mißtrauensvotum beseitigt haben würde, und so blieb dem
Präsidenten nichts übrig, als seine Demission zu geben. Ein anderes Kabinet


Grenzboten I. 1379, 42
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[0333] Zur Entwickelung der Dinge in Frankreich. Schneller als man erwartete, führten vor nunmehr vier Wochen die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Präsidenten der französischen Republik und der am 5. Januar in der Gesetzgebung zur Herrschaft gelangten Partei zur Katastrophe; aber die republikanischen Politiker haben die Probe, auf die sie dabei gestellt wurden, bis jetzt im Ganzen gut bestanden. Die Krisis, die mit dem Rücktritte Mac Mahon's und der Ernennung Jules Grevy's zum Präsidenten endigte, brach allerdings plötzlich aus, aber sehr überraschen konnte sie niemand, der den Gang der Dinge verfolgt hatte und den Charakter des Marschalls kannte. Nur konnte man meinen, derselbe werde sich noch einige Zeit besinnen, ehe er der neuen Aera das Feld räume. Sein Verbleiben im Elyse war seit dem Tage, wo die Republikaner auch im Senat die Mehrheit erlangt hatten, eine Anomalie, aber man war bei ihm am 14. Dezember 1877 einer so großen Nachgiebigkeit begegnet, daß man ihm wohl die Resignation zutrauen konnte, bis zum Ablaufe seines Auftrags im Amte zu verharren. Allein die Republikaner kannten die ihrer Politik im Stillen feindliche Ge¬ sinnung des Marschalls zu gut, und sie wußten zu genau, daß er der nun¬ mehr hergestellten Uebereinstimmung zwischen den beiden Kammern der Gesetz¬ gebung und dem Ministerium gegenüber für jetzt nichts vermochte, daß die Zukunft aber ihm eine bessere Stellung verschaffen konnte, um nicht sobald als möglich den Versuch zu machen, ihn durch Zumuthungen, die ihm zu weit gingen, zum Rücktritt zu drängen. So stellte man die bekannten Forderungen: Besetzung der großen Armeekommandos im Sinne der Majorität in Senat und Deputirtenkammer, Amnestie für die deportirten Kommunards und Ver¬ setzung der früheren Minister in Anklagezustand, und so weigerte man sich, auf ein Kompromiß einzugehen, wie man dies bei früheren Krisen gethan. Das Ministerium Dufaure bot die Hand zu diesem energischen Vorgehen, da man es sonst durch ein Mißtrauensvotum beseitigt haben würde, und so blieb dem Präsidenten nichts übrig, als seine Demission zu geben. Ein anderes Kabinet Grenzboten I. 1379, 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/333>, abgerufen am 06.05.2024.