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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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zu bilden, würde ihm nichts geholfen haben. Denn ein mehr nach links
gehendes hätte die Forderungen der republikanischen Mehrheit noch entschiedener
unterstützt als das damals bestehende, und ein konservatives hätte sich den
Kammern gegenüber noch weniger gehalten als das letztere. Nachgeben aber
konnte der Marschall in jenen drei Fragen nicht. In Bezug auf die
Amnestie hatte er kurz zuvor gethan, was er für möglich hielt, hinsichtlich der
Besetzung der Armeekommandos war er zu sehr Soldat, um dem Verlangen
der Republikaner nachkommen zu können, und was die Minister vom 16. Mai
anging, so wußte man von jeher, daß er sich als solidarisch mit dem, was er,
wenn nicht gethan, doch zugelassen hatte, betrachtete und deshalb die Anklage
nicht gestatten konnte. Dazu kam aber noch eins. Hätte er Letzteres erlaubt,
so würde er sich selbst in eine schlimme Lage versetzt haben. Die Republikaner
getrauten sich den Beweis zu führen, daß unter dem Ministerium Rochebouöt
ein Staatsstreich beabsichtigt worden sei, dieses Uebergangsministerium Hütte
sehr wahrscheinlich versucht, sich hinter Mac Mahon zu verschanzen, und
so würde durch einen Prozeß oder schon durch ein bloßes Tadelsvotum der
Kammern der Präsident selbst getroffen worden sein. Angesichts dieser Schwierig¬
keiten verzichtete er durch freiwillige Abdankung auf den Fortbesitz der Gewalt.
Daß er mit Würde von der Bühne abgetreten ist, kann nicht in Abrede ge¬
stellt werden und gibt seiner sonst nichts weniger als ruhmvollen Regierung
mindestens einen guten Abschluß. Seine Stellung in der Geschichte Frank¬
reich's wird keine beneidenswerthe sein. Er blieb zu lange auf einem Posten,
zu dem er mit seinen Neigungen ebenso untauglich war wie mit seinen Fähig¬
keiten. Während sein Vorgänger Thiers allezeit als der Befreier des Vater¬
landes gepriesen werden wird, hat Mac Mahon in den sechs Jahren seiner
Regierung unaufhörlich zulassen müssen, was er im Grunde nicht wollte, ist
er in allen Stücken die personifizirte Impotenz gewesen. Die Republik hat sich
unter ihm stetig mehr befestigt und ausgebildet, aber nicht weil, sondern ob¬
gleich er an der Spitze des Staates stand.

Gute Zeichen für die Zukunft Frankreich's waren die Leichtigkeit, mit der
sich der Umschwung vollzog, den Mac Mahon's Rücktritt bezeichnete, und die
Wahl seines Nachfolgers. Die Republikaner zeigten sich dabei einig und ge¬
mäßigt. Wird in gleichem Sinne, so sagte man sich, die Regierung der Repu¬
blik weitergeführt, so kann der 30. Januar 1879 den Anbruch einer neuen
Aera stetiger und gedeihlicher Entwickelung bedeuten. Grevy ist kein Thiers,
er ist nicht so populär, und er ist kein solches staatsmännisches Talent wie
dieser. Aber er gleicht ihm an gesundem Menschenverstand, und. er ist ein
Mann, von dem zu hoffen steht, daß er die Republik vor der Parteiherrschaft


zu bilden, würde ihm nichts geholfen haben. Denn ein mehr nach links
gehendes hätte die Forderungen der republikanischen Mehrheit noch entschiedener
unterstützt als das damals bestehende, und ein konservatives hätte sich den
Kammern gegenüber noch weniger gehalten als das letztere. Nachgeben aber
konnte der Marschall in jenen drei Fragen nicht. In Bezug auf die
Amnestie hatte er kurz zuvor gethan, was er für möglich hielt, hinsichtlich der
Besetzung der Armeekommandos war er zu sehr Soldat, um dem Verlangen
der Republikaner nachkommen zu können, und was die Minister vom 16. Mai
anging, so wußte man von jeher, daß er sich als solidarisch mit dem, was er,
wenn nicht gethan, doch zugelassen hatte, betrachtete und deshalb die Anklage
nicht gestatten konnte. Dazu kam aber noch eins. Hätte er Letzteres erlaubt,
so würde er sich selbst in eine schlimme Lage versetzt haben. Die Republikaner
getrauten sich den Beweis zu führen, daß unter dem Ministerium Rochebouöt
ein Staatsstreich beabsichtigt worden sei, dieses Uebergangsministerium Hütte
sehr wahrscheinlich versucht, sich hinter Mac Mahon zu verschanzen, und
so würde durch einen Prozeß oder schon durch ein bloßes Tadelsvotum der
Kammern der Präsident selbst getroffen worden sein. Angesichts dieser Schwierig¬
keiten verzichtete er durch freiwillige Abdankung auf den Fortbesitz der Gewalt.
Daß er mit Würde von der Bühne abgetreten ist, kann nicht in Abrede ge¬
stellt werden und gibt seiner sonst nichts weniger als ruhmvollen Regierung
mindestens einen guten Abschluß. Seine Stellung in der Geschichte Frank¬
reich's wird keine beneidenswerthe sein. Er blieb zu lange auf einem Posten,
zu dem er mit seinen Neigungen ebenso untauglich war wie mit seinen Fähig¬
keiten. Während sein Vorgänger Thiers allezeit als der Befreier des Vater¬
landes gepriesen werden wird, hat Mac Mahon in den sechs Jahren seiner
Regierung unaufhörlich zulassen müssen, was er im Grunde nicht wollte, ist
er in allen Stücken die personifizirte Impotenz gewesen. Die Republik hat sich
unter ihm stetig mehr befestigt und ausgebildet, aber nicht weil, sondern ob¬
gleich er an der Spitze des Staates stand.

Gute Zeichen für die Zukunft Frankreich's waren die Leichtigkeit, mit der
sich der Umschwung vollzog, den Mac Mahon's Rücktritt bezeichnete, und die
Wahl seines Nachfolgers. Die Republikaner zeigten sich dabei einig und ge¬
mäßigt. Wird in gleichem Sinne, so sagte man sich, die Regierung der Repu¬
blik weitergeführt, so kann der 30. Januar 1879 den Anbruch einer neuen
Aera stetiger und gedeihlicher Entwickelung bedeuten. Grevy ist kein Thiers,
er ist nicht so populär, und er ist kein solches staatsmännisches Talent wie
dieser. Aber er gleicht ihm an gesundem Menschenverstand, und. er ist ein
Mann, von dem zu hoffen steht, daß er die Republik vor der Parteiherrschaft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/334>, abgerufen am 27.05.2024.