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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Arei Sensattonsmaler.
i.
Arnold Böcklin.

In dem kühn über alle Traditionen hinwegstürmenden Zeitalter der Refor¬
mation findet man zahlreiche und treffende Analogieen zu den Ideen und Be¬
strebungen unserer heutigen unruhevollen Zeit. Die Reformation ist eine Frucht
desselben Baumes wie die Renaissance. In beiden spricht sich die Proklamirnng
des Rechtes des Individuums, die Jsolirung des Individuums aus der Menge
als Grundgedanke aus. Aber wie beschränkt waren die Mittel, wie unbeholfen
die Vehikel, welche den Menschen der Renaissance zur Verwirklichung dieses sie
fieberhaft erregenden, sie von That zu That treibenden Gedankens zu Gebote
standen! Die Reformatoren wirkten durch Flugschriften, die Maler wurden
durch den Kupferstich und den Holzschnitt zu Herolden ihres Ruhmes, und die
Humanisten wurden nicht müde, sich durch einen ausgedehnten Briefwechsel bei
Freunden und Gönnern in Erinnerung zu bringen. Doch wie gering ist die
Anzahl derer, denen es durch unerhörte Anstrengungen gelang, aus dem Strom
ihrer Zeit emporzutanchen und ihre Ruhmsucht zu befriedigen. Beschwerlich
wie die Kommunikation zwischen den einzelnen Ländern waren auch die Mittel
der Publikation. Eine Nachricht wie die, daß Dürer und Raffael Zeichnungen
mit einander austauschten, um "sich ihre Hand zu weisen", steht vereinzelt da,
und nur großen, welterschütternden Ideen war es wirklich beschieden, mit der
Schnelligkeit des Blitzes die Welt zu durcheilen.

Seitdem der Dampf und die Elektrizität als Motoren und Vermittler dem
Willen des Menschen folgen, sind die Mittel, das Individuum zur Geltung zu
bringen, ohne Vergleich umfangreicher und durchgreifender geworden, und damit
hat sich auch die Ruhmbegierde des Individuums bis zur krankhaften Sucht
gesteigert. Um jeden Preis Sensation zu machen, ist die Parole unserer Zeit
auch in den sonst für heilig und ehrwürdig gehaltenen Bezirken der Kunst Und
der Literatur. Je leichter die Mittel sind, diese sucht zu befriedigen, in desto
größerem Umfange werden sie angewandt. Nur die Konkurrenz, die auch auf
diesen Gebieten unserer Kultur, welche ebensogut wie viele andere unter der
Ueberproduktion leiden, täglich wächst, fordert allmählich zu ungewöhnlichen
Mitteln heraus. Es braucht nicht ausführlich begründet zu werden, wie gerade
die Interessen der Kunst unter der Sucht, um jeden Preis Aufsehen zu erregen,
zu glänzen, zu blenden, auf das Empfindlichste leiden. Unsere gesammte Kunst¬
entwickelung läuft Gefahr, unter dem Einfluß meteorartig auftretender und


Arei Sensattonsmaler.
i.
Arnold Böcklin.

In dem kühn über alle Traditionen hinwegstürmenden Zeitalter der Refor¬
mation findet man zahlreiche und treffende Analogieen zu den Ideen und Be¬
strebungen unserer heutigen unruhevollen Zeit. Die Reformation ist eine Frucht
desselben Baumes wie die Renaissance. In beiden spricht sich die Proklamirnng
des Rechtes des Individuums, die Jsolirung des Individuums aus der Menge
als Grundgedanke aus. Aber wie beschränkt waren die Mittel, wie unbeholfen
die Vehikel, welche den Menschen der Renaissance zur Verwirklichung dieses sie
fieberhaft erregenden, sie von That zu That treibenden Gedankens zu Gebote
standen! Die Reformatoren wirkten durch Flugschriften, die Maler wurden
durch den Kupferstich und den Holzschnitt zu Herolden ihres Ruhmes, und die
Humanisten wurden nicht müde, sich durch einen ausgedehnten Briefwechsel bei
Freunden und Gönnern in Erinnerung zu bringen. Doch wie gering ist die
Anzahl derer, denen es durch unerhörte Anstrengungen gelang, aus dem Strom
ihrer Zeit emporzutanchen und ihre Ruhmsucht zu befriedigen. Beschwerlich
wie die Kommunikation zwischen den einzelnen Ländern waren auch die Mittel
der Publikation. Eine Nachricht wie die, daß Dürer und Raffael Zeichnungen
mit einander austauschten, um „sich ihre Hand zu weisen", steht vereinzelt da,
und nur großen, welterschütternden Ideen war es wirklich beschieden, mit der
Schnelligkeit des Blitzes die Welt zu durcheilen.

Seitdem der Dampf und die Elektrizität als Motoren und Vermittler dem
Willen des Menschen folgen, sind die Mittel, das Individuum zur Geltung zu
bringen, ohne Vergleich umfangreicher und durchgreifender geworden, und damit
hat sich auch die Ruhmbegierde des Individuums bis zur krankhaften Sucht
gesteigert. Um jeden Preis Sensation zu machen, ist die Parole unserer Zeit
auch in den sonst für heilig und ehrwürdig gehaltenen Bezirken der Kunst Und
der Literatur. Je leichter die Mittel sind, diese sucht zu befriedigen, in desto
größerem Umfange werden sie angewandt. Nur die Konkurrenz, die auch auf
diesen Gebieten unserer Kultur, welche ebensogut wie viele andere unter der
Ueberproduktion leiden, täglich wächst, fordert allmählich zu ungewöhnlichen
Mitteln heraus. Es braucht nicht ausführlich begründet zu werden, wie gerade
die Interessen der Kunst unter der Sucht, um jeden Preis Aufsehen zu erregen,
zu glänzen, zu blenden, auf das Empfindlichste leiden. Unsere gesammte Kunst¬
entwickelung läuft Gefahr, unter dem Einfluß meteorartig auftretender und


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[0395] Arei Sensattonsmaler. i. Arnold Böcklin. In dem kühn über alle Traditionen hinwegstürmenden Zeitalter der Refor¬ mation findet man zahlreiche und treffende Analogieen zu den Ideen und Be¬ strebungen unserer heutigen unruhevollen Zeit. Die Reformation ist eine Frucht desselben Baumes wie die Renaissance. In beiden spricht sich die Proklamirnng des Rechtes des Individuums, die Jsolirung des Individuums aus der Menge als Grundgedanke aus. Aber wie beschränkt waren die Mittel, wie unbeholfen die Vehikel, welche den Menschen der Renaissance zur Verwirklichung dieses sie fieberhaft erregenden, sie von That zu That treibenden Gedankens zu Gebote standen! Die Reformatoren wirkten durch Flugschriften, die Maler wurden durch den Kupferstich und den Holzschnitt zu Herolden ihres Ruhmes, und die Humanisten wurden nicht müde, sich durch einen ausgedehnten Briefwechsel bei Freunden und Gönnern in Erinnerung zu bringen. Doch wie gering ist die Anzahl derer, denen es durch unerhörte Anstrengungen gelang, aus dem Strom ihrer Zeit emporzutanchen und ihre Ruhmsucht zu befriedigen. Beschwerlich wie die Kommunikation zwischen den einzelnen Ländern waren auch die Mittel der Publikation. Eine Nachricht wie die, daß Dürer und Raffael Zeichnungen mit einander austauschten, um „sich ihre Hand zu weisen", steht vereinzelt da, und nur großen, welterschütternden Ideen war es wirklich beschieden, mit der Schnelligkeit des Blitzes die Welt zu durcheilen. Seitdem der Dampf und die Elektrizität als Motoren und Vermittler dem Willen des Menschen folgen, sind die Mittel, das Individuum zur Geltung zu bringen, ohne Vergleich umfangreicher und durchgreifender geworden, und damit hat sich auch die Ruhmbegierde des Individuums bis zur krankhaften Sucht gesteigert. Um jeden Preis Sensation zu machen, ist die Parole unserer Zeit auch in den sonst für heilig und ehrwürdig gehaltenen Bezirken der Kunst Und der Literatur. Je leichter die Mittel sind, diese sucht zu befriedigen, in desto größerem Umfange werden sie angewandt. Nur die Konkurrenz, die auch auf diesen Gebieten unserer Kultur, welche ebensogut wie viele andere unter der Ueberproduktion leiden, täglich wächst, fordert allmählich zu ungewöhnlichen Mitteln heraus. Es braucht nicht ausführlich begründet zu werden, wie gerade die Interessen der Kunst unter der Sucht, um jeden Preis Aufsehen zu erregen, zu glänzen, zu blenden, auf das Empfindlichste leiden. Unsere gesammte Kunst¬ entwickelung läuft Gefahr, unter dem Einfluß meteorartig auftretender und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/395>, abgerufen am 06.05.2024.