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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Punkt noch einer sehr sorgfältigen Prüfung. Auch müssen die Stimmen der¬
jenigen gehört werden, welche verlangen, daß erst die Sumpf- und Moor¬
gegenden Deutschland's kulturfähig gemacht werden, wodurch ein nicht unbe¬
trächtliches Areal für den Landbau gewonnen werden könne. Aber einmal ist
ja damit nicht gesagt, daß mit der Anlegung von auswärtigen Kolonieen die
Besserung des Mutterlandes unterbleiben solle, im Gegentheil: das soll erst recht
geschehen, da erst dann die nöthigen Kapitalien flüssig werden würden, anderer¬
seits würde das ja immer nur ein Nothbehelf für die nächste Zukunft sein
und der Ruf nach Kolonieen später um so kräftiger erschallen, und dann viel¬
leicht in einer Zeit, wo die Bedingungen dafür noch ungünstiger liegen würden
als jetzt. Gänzlich frei für Kolonisation sind eben gegenwärtig nur noch
einige der Südsee-Inselgruppen, sowie die neu erschlossenen Theile von Süd¬
afrika. Wenn aber einmal die Reichsregierung für den Gedanken der Koloni¬
sation erwärmt wäre, dann würde auch die Schwierigkeit der Aufsuchung des
geeigneten Terrains sich mindern, denn eine politisch einflußreiche Macht würde
rasch diejenigen Hindernisse aus dem Wege räumen, die dem Privaten unter
den gegenwärtigen Verhältnissen unübersteiglich sind. Was aber etwa unsere
Nachbarn jenseits des Rheines und des Kanales zu solchen Unternehmungen
sagen würden, darüber brauchen wir uns kein graues Haar wachsen zu lassen.
Hat man sich bei der straffen Durchführung politischer Ideen nicht um ihre
Scheelsucht gekümmert, so braucht man sich erst recht keine Skrupel zu machen,
wo es sich darum handelt, eine Lebensfrage des deutschen Volkes und der
deutschen Nationalität zu entscheiden. Vielleicht könnte ihnen die kolonisatorische
Thätigkeit mehr als alles andere die Ueberzeugung nahelegen, daß die deutsche
Regierung durchaus friedliche Zwecke verfolgt.




Die sittliche Ireiheit und das Problem des Assen.

Keine Weltanschauung hat gegenwärtig in den Kreisen wissenschaftlich
Gebildeter, die mit dem Christenthum gebrochen haben, in einem solchen Maße
Eingang gefunden, wie der Pantheismus. Die Ursachen dieser Thatsache sind
nicht schwer aufzufinden. Der Pantheismus hat, oberflächlich betrachtet, etwas
Bestrickendes. Das Weltbild, das er zeichnet, ist einheitlich und geschlossen;
eine unabänderliche Nothwendigkeit verkettet durch den Zusammenhang von
Ursache und Wirkung die Dinge mit einander; alles Einzelne ist im Ganzen


Grenzboten II. 1879. 23

Punkt noch einer sehr sorgfältigen Prüfung. Auch müssen die Stimmen der¬
jenigen gehört werden, welche verlangen, daß erst die Sumpf- und Moor¬
gegenden Deutschland's kulturfähig gemacht werden, wodurch ein nicht unbe¬
trächtliches Areal für den Landbau gewonnen werden könne. Aber einmal ist
ja damit nicht gesagt, daß mit der Anlegung von auswärtigen Kolonieen die
Besserung des Mutterlandes unterbleiben solle, im Gegentheil: das soll erst recht
geschehen, da erst dann die nöthigen Kapitalien flüssig werden würden, anderer¬
seits würde das ja immer nur ein Nothbehelf für die nächste Zukunft sein
und der Ruf nach Kolonieen später um so kräftiger erschallen, und dann viel¬
leicht in einer Zeit, wo die Bedingungen dafür noch ungünstiger liegen würden
als jetzt. Gänzlich frei für Kolonisation sind eben gegenwärtig nur noch
einige der Südsee-Inselgruppen, sowie die neu erschlossenen Theile von Süd¬
afrika. Wenn aber einmal die Reichsregierung für den Gedanken der Koloni¬
sation erwärmt wäre, dann würde auch die Schwierigkeit der Aufsuchung des
geeigneten Terrains sich mindern, denn eine politisch einflußreiche Macht würde
rasch diejenigen Hindernisse aus dem Wege räumen, die dem Privaten unter
den gegenwärtigen Verhältnissen unübersteiglich sind. Was aber etwa unsere
Nachbarn jenseits des Rheines und des Kanales zu solchen Unternehmungen
sagen würden, darüber brauchen wir uns kein graues Haar wachsen zu lassen.
Hat man sich bei der straffen Durchführung politischer Ideen nicht um ihre
Scheelsucht gekümmert, so braucht man sich erst recht keine Skrupel zu machen,
wo es sich darum handelt, eine Lebensfrage des deutschen Volkes und der
deutschen Nationalität zu entscheiden. Vielleicht könnte ihnen die kolonisatorische
Thätigkeit mehr als alles andere die Ueberzeugung nahelegen, daß die deutsche
Regierung durchaus friedliche Zwecke verfolgt.




Die sittliche Ireiheit und das Problem des Assen.

Keine Weltanschauung hat gegenwärtig in den Kreisen wissenschaftlich
Gebildeter, die mit dem Christenthum gebrochen haben, in einem solchen Maße
Eingang gefunden, wie der Pantheismus. Die Ursachen dieser Thatsache sind
nicht schwer aufzufinden. Der Pantheismus hat, oberflächlich betrachtet, etwas
Bestrickendes. Das Weltbild, das er zeichnet, ist einheitlich und geschlossen;
eine unabänderliche Nothwendigkeit verkettet durch den Zusammenhang von
Ursache und Wirkung die Dinge mit einander; alles Einzelne ist im Ganzen


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[0177] Punkt noch einer sehr sorgfältigen Prüfung. Auch müssen die Stimmen der¬ jenigen gehört werden, welche verlangen, daß erst die Sumpf- und Moor¬ gegenden Deutschland's kulturfähig gemacht werden, wodurch ein nicht unbe¬ trächtliches Areal für den Landbau gewonnen werden könne. Aber einmal ist ja damit nicht gesagt, daß mit der Anlegung von auswärtigen Kolonieen die Besserung des Mutterlandes unterbleiben solle, im Gegentheil: das soll erst recht geschehen, da erst dann die nöthigen Kapitalien flüssig werden würden, anderer¬ seits würde das ja immer nur ein Nothbehelf für die nächste Zukunft sein und der Ruf nach Kolonieen später um so kräftiger erschallen, und dann viel¬ leicht in einer Zeit, wo die Bedingungen dafür noch ungünstiger liegen würden als jetzt. Gänzlich frei für Kolonisation sind eben gegenwärtig nur noch einige der Südsee-Inselgruppen, sowie die neu erschlossenen Theile von Süd¬ afrika. Wenn aber einmal die Reichsregierung für den Gedanken der Koloni¬ sation erwärmt wäre, dann würde auch die Schwierigkeit der Aufsuchung des geeigneten Terrains sich mindern, denn eine politisch einflußreiche Macht würde rasch diejenigen Hindernisse aus dem Wege räumen, die dem Privaten unter den gegenwärtigen Verhältnissen unübersteiglich sind. Was aber etwa unsere Nachbarn jenseits des Rheines und des Kanales zu solchen Unternehmungen sagen würden, darüber brauchen wir uns kein graues Haar wachsen zu lassen. Hat man sich bei der straffen Durchführung politischer Ideen nicht um ihre Scheelsucht gekümmert, so braucht man sich erst recht keine Skrupel zu machen, wo es sich darum handelt, eine Lebensfrage des deutschen Volkes und der deutschen Nationalität zu entscheiden. Vielleicht könnte ihnen die kolonisatorische Thätigkeit mehr als alles andere die Ueberzeugung nahelegen, daß die deutsche Regierung durchaus friedliche Zwecke verfolgt. Die sittliche Ireiheit und das Problem des Assen. Keine Weltanschauung hat gegenwärtig in den Kreisen wissenschaftlich Gebildeter, die mit dem Christenthum gebrochen haben, in einem solchen Maße Eingang gefunden, wie der Pantheismus. Die Ursachen dieser Thatsache sind nicht schwer aufzufinden. Der Pantheismus hat, oberflächlich betrachtet, etwas Bestrickendes. Das Weltbild, das er zeichnet, ist einheitlich und geschlossen; eine unabänderliche Nothwendigkeit verkettet durch den Zusammenhang von Ursache und Wirkung die Dinge mit einander; alles Einzelne ist im Ganzen Grenzboten II. 1879. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/177>, abgerufen am 01.05.2024.