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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Korrektur erfahren und die Freude am Erwerb vor dem Aufstapeln unnützer,
die Begriffe nur verwirrender Kenntnisse bewahren.

Aber selbst die Strafkolonieen können, in richtiger Weise angelegt, gute Er¬
folge erzielen und dem Mutterlande wichtige Dienste leisten, wie denn z. B.
Sibirien durch die dahin Verbannten wohnlicher geworden ist, und die jetzt
blühenden australischen Kolonieen englischen Verbrechern ihre Anlegung ver¬
danken. Nur darf man sich nicht den Vorgang Napoleon's zum Beispiel
nehmen, der die Verurteilten an die Fieberküste von Cayenne deportiren ließ,
denn das bedeutete doch nichts anderes, als sie einem gewissen Tode zu über¬
liefern. Ohne irgendwie die Anlegung solcher Kolonieen für das Deutsche
Reich empfehlen zu wollen, sei doch auf den einen Umstand hingewiesen, daß
mit Vermehrung der Bevölkerung und der in ihrem Gefolge sich ausbreitenden
Armuth leider auch die Zahl derjenigen Vergehen und Verbrechen sich steigert,
die mehr oder weniger in der Noth und dem Elend ihre Ursachen haben. Die
Beobachtungen der letzten Jahre gewähren auch dafür einen gewissen Anhalt.
Die Zahl der in den acht älteren Provinzen Preußen's wegen Vergehen und Ver¬
brechen neu eingeleiteten Untersuchungen stieg von 88 233 (1871) auf 145587
(1877), und in ganz Preußen belief sich die Anzahl der in Haft befindlichen
Personen 1871 auf 68 006, wogegen sie 1876 schon die bedenkliche Ziffer von
101952 erreicht hatte. Schritte auch diese Progression entsprechend weiter, so
ist es einleuchtend, daß die Unterbringung der Gefangenen dem Staate endlich
erhebliche Schwierigkeiten und Kosten bereiten würde.

Der dritte Hauptpunkt, die Frage nach dem Wie und Wo der Kolonieen,
ist bei weitem der schwierigste und bildet auch den schwächsten Theil von
E. Fabri's Erörterungen. Selbst wenn wir es unterlassen, die Frage zu stellen,
ob sich unsere Regierungen zu solchen ihnen bisher ganz ungewohnten Aufgaben
bereit zeigen werden*), bleibt es noch ein gewaltig schwieriges Werk, diejenigen
Theile der Erde ausfindig zu machen, welche die für Kolonialanlagen günstigen
Verhältnisse noch besitzen; die besten Gebiete -- das kann und darf nicht ver¬
schwiegen werden -- sind bereits mit Beschlag belegt. Jedenfalls bedarf dieser



*) Fürst Bismarck will entschieden keine Kolonieen, Der "Reichsanzeiger" hat dies
deutlich gesagt, und in dem bekannten Buche Moritz Busch's wird (S. 369) ebenfalls erzählt:
"Zuletzt äußerte er mit Beziehung auf die Fabel, wir trachteten nach dem Besitz von Pon-
dichery, nachdem er andere Gründe für die Ungeschicktheit der Erfindung angeführt hatte:
.Ich will auch gar keine Kolonieen. Die sind blos zu Versorgungsposten gut.'-----
.Für uns in Deutschland -- diese Kolonialgeschichte wäre für uns genau so wie der seidene
Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien, die keine Hemden haben' --, was er dann weiter
ausführte." Man darf wohl annehmen, daß Bismarck seitdem seine Ansicht nicht geändert
haben wird, und die "öffentliche Meinung" wird ihn schwerlich auf andere Gedanken bringen-
Anm. d. Red.

Korrektur erfahren und die Freude am Erwerb vor dem Aufstapeln unnützer,
die Begriffe nur verwirrender Kenntnisse bewahren.

Aber selbst die Strafkolonieen können, in richtiger Weise angelegt, gute Er¬
folge erzielen und dem Mutterlande wichtige Dienste leisten, wie denn z. B.
Sibirien durch die dahin Verbannten wohnlicher geworden ist, und die jetzt
blühenden australischen Kolonieen englischen Verbrechern ihre Anlegung ver¬
danken. Nur darf man sich nicht den Vorgang Napoleon's zum Beispiel
nehmen, der die Verurteilten an die Fieberküste von Cayenne deportiren ließ,
denn das bedeutete doch nichts anderes, als sie einem gewissen Tode zu über¬
liefern. Ohne irgendwie die Anlegung solcher Kolonieen für das Deutsche
Reich empfehlen zu wollen, sei doch auf den einen Umstand hingewiesen, daß
mit Vermehrung der Bevölkerung und der in ihrem Gefolge sich ausbreitenden
Armuth leider auch die Zahl derjenigen Vergehen und Verbrechen sich steigert,
die mehr oder weniger in der Noth und dem Elend ihre Ursachen haben. Die
Beobachtungen der letzten Jahre gewähren auch dafür einen gewissen Anhalt.
Die Zahl der in den acht älteren Provinzen Preußen's wegen Vergehen und Ver¬
brechen neu eingeleiteten Untersuchungen stieg von 88 233 (1871) auf 145587
(1877), und in ganz Preußen belief sich die Anzahl der in Haft befindlichen
Personen 1871 auf 68 006, wogegen sie 1876 schon die bedenkliche Ziffer von
101952 erreicht hatte. Schritte auch diese Progression entsprechend weiter, so
ist es einleuchtend, daß die Unterbringung der Gefangenen dem Staate endlich
erhebliche Schwierigkeiten und Kosten bereiten würde.

Der dritte Hauptpunkt, die Frage nach dem Wie und Wo der Kolonieen,
ist bei weitem der schwierigste und bildet auch den schwächsten Theil von
E. Fabri's Erörterungen. Selbst wenn wir es unterlassen, die Frage zu stellen,
ob sich unsere Regierungen zu solchen ihnen bisher ganz ungewohnten Aufgaben
bereit zeigen werden*), bleibt es noch ein gewaltig schwieriges Werk, diejenigen
Theile der Erde ausfindig zu machen, welche die für Kolonialanlagen günstigen
Verhältnisse noch besitzen; die besten Gebiete — das kann und darf nicht ver¬
schwiegen werden — sind bereits mit Beschlag belegt. Jedenfalls bedarf dieser



*) Fürst Bismarck will entschieden keine Kolonieen, Der „Reichsanzeiger" hat dies
deutlich gesagt, und in dem bekannten Buche Moritz Busch's wird (S. 369) ebenfalls erzählt:
„Zuletzt äußerte er mit Beziehung auf die Fabel, wir trachteten nach dem Besitz von Pon-
dichery, nachdem er andere Gründe für die Ungeschicktheit der Erfindung angeführt hatte:
.Ich will auch gar keine Kolonieen. Die sind blos zu Versorgungsposten gut.'-----
.Für uns in Deutschland — diese Kolonialgeschichte wäre für uns genau so wie der seidene
Zobelpelz in polnischen Adelsfamilien, die keine Hemden haben' —, was er dann weiter
ausführte." Man darf wohl annehmen, daß Bismarck seitdem seine Ansicht nicht geändert
haben wird, und die „öffentliche Meinung" wird ihn schwerlich auf andere Gedanken bringen-
Anm. d. Red.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/176>, abgerufen am 21.05.2024.