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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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deutsche Literaten zur Zeit des siebenjährigen Krieges.
Julian Schmidt. VonIH.

"Niemand," schreibt Boden er aus Zürich an Gleim im Februar 1759,
"kann den Geist und die Thaten des Königs gehörig entdecken, als der ihm
ähnlich denkt, und in einer kleinern Sphäre ähnlich handelt. Nichts ist weniger
allgemein als diese königliche Denkart in einem Weltalter, wo die weiblichen
Zärtlichkeiten an die Stelle der männlichen Tugenden gesetzt werden, wie noth¬
wendig geschehn mußte, nachdem die Weibspersonen in den Umgang der Manns-
leute alltäglich zugelassen, und ihnen eine solche-Macht zu reden und zu thun
gegeben worden. Dieselbe schwere Weichlichkeit, welche die artige Welt hindert,
sich in der Höhe zu gefallen, in welche Klop stock die Poesie erhoben hat,
ist es, welche Friedrich mit so dummem Erstaunen nachsieht, und so ungereimt
seinen Fall fürchtet."

Hirzel schreibt aus Zürich am 14. März 1759: "Ich verspüre es täglich,
wie die Heldentugenden Ihres Königs auch in Gemüthern, die unfruchtbarer
als eine sibirische Steppe schienen, fruchtbar an edlen Empfindungen werden.
Man darf Wahrheiten predigen, die man vorher als donquixote'sche Phantasien
verlacht hätte; die erhabensten Figuren der Poeten werden dem ungelehrten
Pöbel verständlich, wenn sie dieselben in Handlungen ihres Helden ausgedrückt
sehn-- Die ganze protestantische Schweiz ist preußischer als Brandenburg selbst.
Wenn die Macht der Schweizer so groß wäre als ihr Eifer für die Wohl¬
fahrt des Königs, so müßten schon alle seine Feinde gedemüthigt sein. Es
giebt Leute hier, die vor Verdruß krank werden, wenn die Sachen für den
König nicht so gehn wie sie wünschten."

Aus solchen Aeußerungen gleichzeitiger Schriftsteller versteht man Goethe's
großes Wort: "Der erste wahre, höhere und eigentliche Lebensgehalt kam durch
Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Kriegs in die deutsche
Literatur."

Freilich hatte jeder deutsche Schriftsteller einen Moment, wo er dem König
grollte und sich hart genug aussprach; aber immer kehrten die Gedanken, wie
durch ein magisches Band gezogen, zu dem Räthsel dieses großen Menschen¬
lebens zurück. Durch das Bild dieses Gewaltigen wurde ihre eigene Seele er-


Me
deutsche Literaten zur Zeit des siebenjährigen Krieges.
Julian Schmidt. VonIH.

„Niemand," schreibt Boden er aus Zürich an Gleim im Februar 1759,
„kann den Geist und die Thaten des Königs gehörig entdecken, als der ihm
ähnlich denkt, und in einer kleinern Sphäre ähnlich handelt. Nichts ist weniger
allgemein als diese königliche Denkart in einem Weltalter, wo die weiblichen
Zärtlichkeiten an die Stelle der männlichen Tugenden gesetzt werden, wie noth¬
wendig geschehn mußte, nachdem die Weibspersonen in den Umgang der Manns-
leute alltäglich zugelassen, und ihnen eine solche-Macht zu reden und zu thun
gegeben worden. Dieselbe schwere Weichlichkeit, welche die artige Welt hindert,
sich in der Höhe zu gefallen, in welche Klop stock die Poesie erhoben hat,
ist es, welche Friedrich mit so dummem Erstaunen nachsieht, und so ungereimt
seinen Fall fürchtet."

Hirzel schreibt aus Zürich am 14. März 1759: „Ich verspüre es täglich,
wie die Heldentugenden Ihres Königs auch in Gemüthern, die unfruchtbarer
als eine sibirische Steppe schienen, fruchtbar an edlen Empfindungen werden.
Man darf Wahrheiten predigen, die man vorher als donquixote'sche Phantasien
verlacht hätte; die erhabensten Figuren der Poeten werden dem ungelehrten
Pöbel verständlich, wenn sie dieselben in Handlungen ihres Helden ausgedrückt
sehn— Die ganze protestantische Schweiz ist preußischer als Brandenburg selbst.
Wenn die Macht der Schweizer so groß wäre als ihr Eifer für die Wohl¬
fahrt des Königs, so müßten schon alle seine Feinde gedemüthigt sein. Es
giebt Leute hier, die vor Verdruß krank werden, wenn die Sachen für den
König nicht so gehn wie sie wünschten."

Aus solchen Aeußerungen gleichzeitiger Schriftsteller versteht man Goethe's
großes Wort: „Der erste wahre, höhere und eigentliche Lebensgehalt kam durch
Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Kriegs in die deutsche
Literatur."

Freilich hatte jeder deutsche Schriftsteller einen Moment, wo er dem König
grollte und sich hart genug aussprach; aber immer kehrten die Gedanken, wie
durch ein magisches Band gezogen, zu dem Räthsel dieses großen Menschen¬
lebens zurück. Durch das Bild dieses Gewaltigen wurde ihre eigene Seele er-


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[0378] Me deutsche Literaten zur Zeit des siebenjährigen Krieges. Julian Schmidt. VonIH. „Niemand," schreibt Boden er aus Zürich an Gleim im Februar 1759, „kann den Geist und die Thaten des Königs gehörig entdecken, als der ihm ähnlich denkt, und in einer kleinern Sphäre ähnlich handelt. Nichts ist weniger allgemein als diese königliche Denkart in einem Weltalter, wo die weiblichen Zärtlichkeiten an die Stelle der männlichen Tugenden gesetzt werden, wie noth¬ wendig geschehn mußte, nachdem die Weibspersonen in den Umgang der Manns- leute alltäglich zugelassen, und ihnen eine solche-Macht zu reden und zu thun gegeben worden. Dieselbe schwere Weichlichkeit, welche die artige Welt hindert, sich in der Höhe zu gefallen, in welche Klop stock die Poesie erhoben hat, ist es, welche Friedrich mit so dummem Erstaunen nachsieht, und so ungereimt seinen Fall fürchtet." Hirzel schreibt aus Zürich am 14. März 1759: „Ich verspüre es täglich, wie die Heldentugenden Ihres Königs auch in Gemüthern, die unfruchtbarer als eine sibirische Steppe schienen, fruchtbar an edlen Empfindungen werden. Man darf Wahrheiten predigen, die man vorher als donquixote'sche Phantasien verlacht hätte; die erhabensten Figuren der Poeten werden dem ungelehrten Pöbel verständlich, wenn sie dieselben in Handlungen ihres Helden ausgedrückt sehn— Die ganze protestantische Schweiz ist preußischer als Brandenburg selbst. Wenn die Macht der Schweizer so groß wäre als ihr Eifer für die Wohl¬ fahrt des Königs, so müßten schon alle seine Feinde gedemüthigt sein. Es giebt Leute hier, die vor Verdruß krank werden, wenn die Sachen für den König nicht so gehn wie sie wünschten." Aus solchen Aeußerungen gleichzeitiger Schriftsteller versteht man Goethe's großes Wort: „Der erste wahre, höhere und eigentliche Lebensgehalt kam durch Friedrich den Großen und die Thaten des siebenjährigen Kriegs in die deutsche Literatur." Freilich hatte jeder deutsche Schriftsteller einen Moment, wo er dem König grollte und sich hart genug aussprach; aber immer kehrten die Gedanken, wie durch ein magisches Band gezogen, zu dem Räthsel dieses großen Menschen¬ lebens zurück. Durch das Bild dieses Gewaltigen wurde ihre eigene Seele er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/378>, abgerufen am 01.05.2024.