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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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wettert, sie gewannen für Ideal und Wirklichkeit ganz andere Maße, ganz
andere Perspektiven.

In Zeiten, die das Staatsgefühl verloren haben, thut das Persönliche
Alles. Der ehrbare Rath Goethe in Frankfurt freute sich herzlich, wenn die
Reichsarmee vor dem preußischen Helden sich in eine Reißausarmee verwandelte;
wenn der Reichsfiskal, der ihn durch die Acht den Vögeln des Himmels und
den Thieren des Waldes preisgeben wollte, die Treppe hinuntergeworfen wurde.

"Mankann Friedrich, diesem unzubeschreibenden Geist, Bewunderung und
Ehrfurcht nicht versagen. Er ist der König unter den Helden, er hat Verstand
für mehr als eine Erde, er dreht sich wie die^Sonne in seiner eignen Axe und
glänzt in seinem eignen Licht, er hat ihre Hitze und ihre Flecken. Er hat das
Maß eines großen Geistes, Jahrhunderte nach uns werden seine Natur noch
mit Sorgfalt erforschen. Vielleicht findet sich ein Newton unter den Politikern,
der seinen innern Gehalt ebenso genau zu bestimmen weiß, als dieser Confident
des Schöpfers die Welten abgewogen hat. Ich habe ihn nie ohne hohe und
hinreißende Empfindungen gesehn, seine Thaten sind mein Gedankenfest, ich
schleiche ihm oft nach, um seine geheimen Wege zu errathen. Der Adler schwingt
sich aber in Höhen, die minderen Gefieder unsichtbar bleiben. Ich stehe von
weitem und betrachte seine Größe: sie ruht mit uns auf einer Erde; er stehe
oder falle, er braucht den Raum von Kolossen. Ich weiß mir keinen vorneh¬
mern Menschen zu denken: nur Schade für uns, daß er nicht eine Welt für sich
alleine hat!"

Die Stelle steht in der Schrift "Der Herr und der Diener", die K. Fr.
Moser, damals 36 jährig, in Hanau 1759 herausgab, angeregt von der Prinzeß
Karoline von Hessen-Darmstadt, einer der bedeutendsten Frauen der Zeit,
mit der er seit Jahren in Verbindung stand. Das Buch ist das Programm
für ein künftiges Ministerium; es sind kluge Regeln darin, z. B. daß ein
Minister Feuer und Aktivität haben, aber nicht zu geistreich sein müsse. Die
Hauptsache ist der rücksichtslos freimüthige, ja leidenschaftliche Ton gegen die
Höfe und das Hofgesinde.

"Die Aussicht der mehrsten unsrer jetzigen Landesregierungen ist nichts
weniger als trefflich; fast schäme ich mich aber, ein Deutscher zu sein, wenn ich
beherzige, was viele unsrer künftigen Erbfürsten erst für Leute sein werden!"
... "Die meisten dieser Herrn lernen die Hofstudien, Sprachen, Musik, Reiten,
Tanzen, Fechten und Schäkern, sonst nichts. Mit dieser Vorbereitung rücken
sie endlich in die Regierung ein, nicht als in ein Amt, dessen Pflichten sie
gründlich erlernt hätten, sondern mit der Frende eines Sohns, der seinem^Vater
schon längst ein seliges Ende gewünscht, und sich nun im Besitz eines Vermögens
sieht, mit dem er schalten und walten kann wie er will."... "Das despotische


wettert, sie gewannen für Ideal und Wirklichkeit ganz andere Maße, ganz
andere Perspektiven.

In Zeiten, die das Staatsgefühl verloren haben, thut das Persönliche
Alles. Der ehrbare Rath Goethe in Frankfurt freute sich herzlich, wenn die
Reichsarmee vor dem preußischen Helden sich in eine Reißausarmee verwandelte;
wenn der Reichsfiskal, der ihn durch die Acht den Vögeln des Himmels und
den Thieren des Waldes preisgeben wollte, die Treppe hinuntergeworfen wurde.

„Mankann Friedrich, diesem unzubeschreibenden Geist, Bewunderung und
Ehrfurcht nicht versagen. Er ist der König unter den Helden, er hat Verstand
für mehr als eine Erde, er dreht sich wie die^Sonne in seiner eignen Axe und
glänzt in seinem eignen Licht, er hat ihre Hitze und ihre Flecken. Er hat das
Maß eines großen Geistes, Jahrhunderte nach uns werden seine Natur noch
mit Sorgfalt erforschen. Vielleicht findet sich ein Newton unter den Politikern,
der seinen innern Gehalt ebenso genau zu bestimmen weiß, als dieser Confident
des Schöpfers die Welten abgewogen hat. Ich habe ihn nie ohne hohe und
hinreißende Empfindungen gesehn, seine Thaten sind mein Gedankenfest, ich
schleiche ihm oft nach, um seine geheimen Wege zu errathen. Der Adler schwingt
sich aber in Höhen, die minderen Gefieder unsichtbar bleiben. Ich stehe von
weitem und betrachte seine Größe: sie ruht mit uns auf einer Erde; er stehe
oder falle, er braucht den Raum von Kolossen. Ich weiß mir keinen vorneh¬
mern Menschen zu denken: nur Schade für uns, daß er nicht eine Welt für sich
alleine hat!"

Die Stelle steht in der Schrift „Der Herr und der Diener", die K. Fr.
Moser, damals 36 jährig, in Hanau 1759 herausgab, angeregt von der Prinzeß
Karoline von Hessen-Darmstadt, einer der bedeutendsten Frauen der Zeit,
mit der er seit Jahren in Verbindung stand. Das Buch ist das Programm
für ein künftiges Ministerium; es sind kluge Regeln darin, z. B. daß ein
Minister Feuer und Aktivität haben, aber nicht zu geistreich sein müsse. Die
Hauptsache ist der rücksichtslos freimüthige, ja leidenschaftliche Ton gegen die
Höfe und das Hofgesinde.

„Die Aussicht der mehrsten unsrer jetzigen Landesregierungen ist nichts
weniger als trefflich; fast schäme ich mich aber, ein Deutscher zu sein, wenn ich
beherzige, was viele unsrer künftigen Erbfürsten erst für Leute sein werden!"
... „Die meisten dieser Herrn lernen die Hofstudien, Sprachen, Musik, Reiten,
Tanzen, Fechten und Schäkern, sonst nichts. Mit dieser Vorbereitung rücken
sie endlich in die Regierung ein, nicht als in ein Amt, dessen Pflichten sie
gründlich erlernt hätten, sondern mit der Frende eines Sohns, der seinem^Vater
schon längst ein seliges Ende gewünscht, und sich nun im Besitz eines Vermögens
sieht, mit dem er schalten und walten kann wie er will."... „Das despotische


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[0379] wettert, sie gewannen für Ideal und Wirklichkeit ganz andere Maße, ganz andere Perspektiven. In Zeiten, die das Staatsgefühl verloren haben, thut das Persönliche Alles. Der ehrbare Rath Goethe in Frankfurt freute sich herzlich, wenn die Reichsarmee vor dem preußischen Helden sich in eine Reißausarmee verwandelte; wenn der Reichsfiskal, der ihn durch die Acht den Vögeln des Himmels und den Thieren des Waldes preisgeben wollte, die Treppe hinuntergeworfen wurde. „Mankann Friedrich, diesem unzubeschreibenden Geist, Bewunderung und Ehrfurcht nicht versagen. Er ist der König unter den Helden, er hat Verstand für mehr als eine Erde, er dreht sich wie die^Sonne in seiner eignen Axe und glänzt in seinem eignen Licht, er hat ihre Hitze und ihre Flecken. Er hat das Maß eines großen Geistes, Jahrhunderte nach uns werden seine Natur noch mit Sorgfalt erforschen. Vielleicht findet sich ein Newton unter den Politikern, der seinen innern Gehalt ebenso genau zu bestimmen weiß, als dieser Confident des Schöpfers die Welten abgewogen hat. Ich habe ihn nie ohne hohe und hinreißende Empfindungen gesehn, seine Thaten sind mein Gedankenfest, ich schleiche ihm oft nach, um seine geheimen Wege zu errathen. Der Adler schwingt sich aber in Höhen, die minderen Gefieder unsichtbar bleiben. Ich stehe von weitem und betrachte seine Größe: sie ruht mit uns auf einer Erde; er stehe oder falle, er braucht den Raum von Kolossen. Ich weiß mir keinen vorneh¬ mern Menschen zu denken: nur Schade für uns, daß er nicht eine Welt für sich alleine hat!" Die Stelle steht in der Schrift „Der Herr und der Diener", die K. Fr. Moser, damals 36 jährig, in Hanau 1759 herausgab, angeregt von der Prinzeß Karoline von Hessen-Darmstadt, einer der bedeutendsten Frauen der Zeit, mit der er seit Jahren in Verbindung stand. Das Buch ist das Programm für ein künftiges Ministerium; es sind kluge Regeln darin, z. B. daß ein Minister Feuer und Aktivität haben, aber nicht zu geistreich sein müsse. Die Hauptsache ist der rücksichtslos freimüthige, ja leidenschaftliche Ton gegen die Höfe und das Hofgesinde. „Die Aussicht der mehrsten unsrer jetzigen Landesregierungen ist nichts weniger als trefflich; fast schäme ich mich aber, ein Deutscher zu sein, wenn ich beherzige, was viele unsrer künftigen Erbfürsten erst für Leute sein werden!" ... „Die meisten dieser Herrn lernen die Hofstudien, Sprachen, Musik, Reiten, Tanzen, Fechten und Schäkern, sonst nichts. Mit dieser Vorbereitung rücken sie endlich in die Regierung ein, nicht als in ein Amt, dessen Pflichten sie gründlich erlernt hätten, sondern mit der Frende eines Sohns, der seinem^Vater schon längst ein seliges Ende gewünscht, und sich nun im Besitz eines Vermögens sieht, mit dem er schalten und walten kann wie er will."... „Das despotische

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/379>, abgerufen am 22.05.2024.