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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Remchingen und die anderen Bösewichter gelinder behandelt wurden. Am
4. Februar 1738 hing man den Delinquenten in seinem rothen Galakleide an
einen eisernen Galgen, der früher zur Hinrichtung von betrügerischen Gold¬
köchen gedient hatte. Die Verfassung war diesmal gerettet, aber später kamen
andere Fürsten, die sich ebensowenig an sie kehrten als Karl Alexander, wenn
(D auch der evangelische Glaube fortan unangetastet blieb.




AevölKerungs-Derdoppel'ung und UebervötKerung.

Noch vor wenigen Jahren konnte man die Behauptung hören und lesen,
daß die auffallende Abnahme der Bevölkerung Frankreich's ein Beweis dafür
sei, daß dieses Land ebenso wie einige andere Staaten der romanischen Rasse
in sein Greisenalter eingetreten sei, daß es unproduktiv geworden und Gefahr
laufe, sich abzuwirtschaften, während die von Jahr zu Jahr zunehmende
Seelenzahl der Staaten des deutschen Reiches darauf hinweise, daß unsere
Nation in voller Jugendblüthe stehe und eine erfreuliche Lebenskraft verrathe.
Mancher rechnete in seiner Begeisterung für die Kriegsthaten der letzten Jahre
schon aus, wie viel Hunderttausende von Soldaten einem Znkunftsfeldherrn in
etwa vierzig oder fünfzig Jahren zu Gebote stehen würden, und gelangte zu
dem Schlüsse, daß unsere militärische Macht dann erst recht unüberwindlich
sein werde. Und wie haben die Anschauungen hierüber binnen wenigen Jahren
sich geändert! Heute, wo der wirtschaftliche Nothstand immer drückender wird,
preist man Frankreich wegen seiner nahezu stabilen Bevölkerungsverhältnisse
glücklich, während man sich im Hinblick ans die mehr und mehr steigende
Volkszahl des Vaterlandes ängstlicher Besorgnisse nicht erwehren kann. Hat
sich doch gezeigt, daß seit der letzten statistischen Erhebung der Ueberschuß der
Geborenen über die Gestorbenen auf 650000 gestiegen ist, und damit die Be¬
fürchtung sich verknüpft, Deutschland möchte immer mehr die Fähigkeit verlieren,
seine Bevölkerung in angemessener Weise zu erhalten, die Armuth immer
größere Dimensionen annehmen. Welche Erscheinungen diese aber im Gefolge
zu haben pflegt, weiß jeder. Wenn man mit Rücksicht auf die ebengenannte
Zahl sogar zu dem Schlüsse hat gelangen wollen, daß Deutschland nur noch
dreißig Jahre zu seiner Bevölkerungs-Verdoppelung bedürfe, und wenn dies
wirklich zu befürchten wäre, dann möchten wir bei unseren heutigen Verhält¬
nissen unseren Nachkommen zurufen: "Weh dir, daß du ein Enkel bist!"


Remchingen und die anderen Bösewichter gelinder behandelt wurden. Am
4. Februar 1738 hing man den Delinquenten in seinem rothen Galakleide an
einen eisernen Galgen, der früher zur Hinrichtung von betrügerischen Gold¬
köchen gedient hatte. Die Verfassung war diesmal gerettet, aber später kamen
andere Fürsten, die sich ebensowenig an sie kehrten als Karl Alexander, wenn
(D auch der evangelische Glaube fortan unangetastet blieb.




AevölKerungs-Derdoppel'ung und UebervötKerung.

Noch vor wenigen Jahren konnte man die Behauptung hören und lesen,
daß die auffallende Abnahme der Bevölkerung Frankreich's ein Beweis dafür
sei, daß dieses Land ebenso wie einige andere Staaten der romanischen Rasse
in sein Greisenalter eingetreten sei, daß es unproduktiv geworden und Gefahr
laufe, sich abzuwirtschaften, während die von Jahr zu Jahr zunehmende
Seelenzahl der Staaten des deutschen Reiches darauf hinweise, daß unsere
Nation in voller Jugendblüthe stehe und eine erfreuliche Lebenskraft verrathe.
Mancher rechnete in seiner Begeisterung für die Kriegsthaten der letzten Jahre
schon aus, wie viel Hunderttausende von Soldaten einem Znkunftsfeldherrn in
etwa vierzig oder fünfzig Jahren zu Gebote stehen würden, und gelangte zu
dem Schlüsse, daß unsere militärische Macht dann erst recht unüberwindlich
sein werde. Und wie haben die Anschauungen hierüber binnen wenigen Jahren
sich geändert! Heute, wo der wirtschaftliche Nothstand immer drückender wird,
preist man Frankreich wegen seiner nahezu stabilen Bevölkerungsverhältnisse
glücklich, während man sich im Hinblick ans die mehr und mehr steigende
Volkszahl des Vaterlandes ängstlicher Besorgnisse nicht erwehren kann. Hat
sich doch gezeigt, daß seit der letzten statistischen Erhebung der Ueberschuß der
Geborenen über die Gestorbenen auf 650000 gestiegen ist, und damit die Be¬
fürchtung sich verknüpft, Deutschland möchte immer mehr die Fähigkeit verlieren,
seine Bevölkerung in angemessener Weise zu erhalten, die Armuth immer
größere Dimensionen annehmen. Welche Erscheinungen diese aber im Gefolge
zu haben pflegt, weiß jeder. Wenn man mit Rücksicht auf die ebengenannte
Zahl sogar zu dem Schlüsse hat gelangen wollen, daß Deutschland nur noch
dreißig Jahre zu seiner Bevölkerungs-Verdoppelung bedürfe, und wenn dies
wirklich zu befürchten wäre, dann möchten wir bei unseren heutigen Verhält¬
nissen unseren Nachkommen zurufen: „Weh dir, daß du ein Enkel bist!"


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[0402] Remchingen und die anderen Bösewichter gelinder behandelt wurden. Am 4. Februar 1738 hing man den Delinquenten in seinem rothen Galakleide an einen eisernen Galgen, der früher zur Hinrichtung von betrügerischen Gold¬ köchen gedient hatte. Die Verfassung war diesmal gerettet, aber später kamen andere Fürsten, die sich ebensowenig an sie kehrten als Karl Alexander, wenn (D auch der evangelische Glaube fortan unangetastet blieb. AevölKerungs-Derdoppel'ung und UebervötKerung. Noch vor wenigen Jahren konnte man die Behauptung hören und lesen, daß die auffallende Abnahme der Bevölkerung Frankreich's ein Beweis dafür sei, daß dieses Land ebenso wie einige andere Staaten der romanischen Rasse in sein Greisenalter eingetreten sei, daß es unproduktiv geworden und Gefahr laufe, sich abzuwirtschaften, während die von Jahr zu Jahr zunehmende Seelenzahl der Staaten des deutschen Reiches darauf hinweise, daß unsere Nation in voller Jugendblüthe stehe und eine erfreuliche Lebenskraft verrathe. Mancher rechnete in seiner Begeisterung für die Kriegsthaten der letzten Jahre schon aus, wie viel Hunderttausende von Soldaten einem Znkunftsfeldherrn in etwa vierzig oder fünfzig Jahren zu Gebote stehen würden, und gelangte zu dem Schlüsse, daß unsere militärische Macht dann erst recht unüberwindlich sein werde. Und wie haben die Anschauungen hierüber binnen wenigen Jahren sich geändert! Heute, wo der wirtschaftliche Nothstand immer drückender wird, preist man Frankreich wegen seiner nahezu stabilen Bevölkerungsverhältnisse glücklich, während man sich im Hinblick ans die mehr und mehr steigende Volkszahl des Vaterlandes ängstlicher Besorgnisse nicht erwehren kann. Hat sich doch gezeigt, daß seit der letzten statistischen Erhebung der Ueberschuß der Geborenen über die Gestorbenen auf 650000 gestiegen ist, und damit die Be¬ fürchtung sich verknüpft, Deutschland möchte immer mehr die Fähigkeit verlieren, seine Bevölkerung in angemessener Weise zu erhalten, die Armuth immer größere Dimensionen annehmen. Welche Erscheinungen diese aber im Gefolge zu haben pflegt, weiß jeder. Wenn man mit Rücksicht auf die ebengenannte Zahl sogar zu dem Schlüsse hat gelangen wollen, daß Deutschland nur noch dreißig Jahre zu seiner Bevölkerungs-Verdoppelung bedürfe, und wenn dies wirklich zu befürchten wäre, dann möchten wir bei unseren heutigen Verhält¬ nissen unseren Nachkommen zurufen: „Weh dir, daß du ein Enkel bist!"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/402>, abgerufen am 01.05.2024.