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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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geschehen in der Ueberzeugung, daß ein starker Staat lokale Eigenthümlichkeiten
dieser Art ohne Schaden ertragen könne. Und wann fiele es einer deutschen
Regierung ein, etwa einer städtischen Gemeinde gegenüber dem mit der Ober¬
aufsicht über dieselbe betrauten Regierungsbeamten die Verwaltung der Stadt
selbst und die freie Verfiigung über deren Eigenthum zu übertragen, außer im
äußersten Nothfall? So aber ist das Ministerium Tisza mit der sächsischen
nations-Universität verfahren! Und doch war das sächsische Territorium kein
erobertes Land, doch waren ihm seine Rechte wiederholt feierlich gewährleistet,
doch verlangten die Sachsen selbst auf dieser Grundlage nichts weiter für sich,
als was jedem ungarischen Komitat an Selbstverwaltungsrechten zuerkannt
worden war!

Selbst nach diesen niederdrückenden Erfahrungen ist den Sachsen der Muth
nicht gebrochen, denn er beruht auf dem Bewußtsein ihres guten Rechts. Ihre
Abgeordneten konnten deshalb den Rechenschaftsbericht über die Verhandlungen
von 1877 und 1878") vollberechtigt mit dem Satze schließen: "Das Urtheil
über unser Verhalten stellen wir mit ruhigem Gewissen unseren Wählern an¬
heim." Wir sind deshalb überzeugt, daß die Magyaren auch in Zukunft
jene Erfahrung an den Sachsen machen werden, welche Graf Egmont dem
Herzog Alba bei seinen niederländischen Landsleuten warnend voraussagt:
"Zu drücken sind sie, nicht zu unterdrücken."


Otto Kaemmel.


Sozialpolitisches aus dem hellenischen Alterthum.
i.

Wenn man sich anschickt, über eine so viel und heiß umstrittene Frage zu
reden, wie es der Sozialismus ist, so bedarf es, obwohl im Folgenden nur
ein historischer Beitrag dazu geliefert werden soll, vor allem einer Verständi-
ung über den Begriff desselben. Es ist bekannt, daß über ihn seine Vertreter
selbst nicht einig sind, und daß es so viele Definitionen desselben als Richtungen
und Parteischattirungen gibt. Dies gibt uns ein Recht, den Umfang des Be¬
griffes für unsern Zweck nach eignem Ermessen zu bestimmen. Im Interesse
der Ausführlichkeit und Deutlichkeit unserer Darstellung geben wir ihm die



*) Rechenschaftsbericht der sächsischen Universität-Abgeordneten 1873. Hermannstadt,
Druck von Josef Drotleff K Comp, 1873.
Grenzboten II. 1379. 64

geschehen in der Ueberzeugung, daß ein starker Staat lokale Eigenthümlichkeiten
dieser Art ohne Schaden ertragen könne. Und wann fiele es einer deutschen
Regierung ein, etwa einer städtischen Gemeinde gegenüber dem mit der Ober¬
aufsicht über dieselbe betrauten Regierungsbeamten die Verwaltung der Stadt
selbst und die freie Verfiigung über deren Eigenthum zu übertragen, außer im
äußersten Nothfall? So aber ist das Ministerium Tisza mit der sächsischen
nations-Universität verfahren! Und doch war das sächsische Territorium kein
erobertes Land, doch waren ihm seine Rechte wiederholt feierlich gewährleistet,
doch verlangten die Sachsen selbst auf dieser Grundlage nichts weiter für sich,
als was jedem ungarischen Komitat an Selbstverwaltungsrechten zuerkannt
worden war!

Selbst nach diesen niederdrückenden Erfahrungen ist den Sachsen der Muth
nicht gebrochen, denn er beruht auf dem Bewußtsein ihres guten Rechts. Ihre
Abgeordneten konnten deshalb den Rechenschaftsbericht über die Verhandlungen
von 1877 und 1878") vollberechtigt mit dem Satze schließen: „Das Urtheil
über unser Verhalten stellen wir mit ruhigem Gewissen unseren Wählern an¬
heim." Wir sind deshalb überzeugt, daß die Magyaren auch in Zukunft
jene Erfahrung an den Sachsen machen werden, welche Graf Egmont dem
Herzog Alba bei seinen niederländischen Landsleuten warnend voraussagt:
„Zu drücken sind sie, nicht zu unterdrücken."


Otto Kaemmel.


Sozialpolitisches aus dem hellenischen Alterthum.
i.

Wenn man sich anschickt, über eine so viel und heiß umstrittene Frage zu
reden, wie es der Sozialismus ist, so bedarf es, obwohl im Folgenden nur
ein historischer Beitrag dazu geliefert werden soll, vor allem einer Verständi-
ung über den Begriff desselben. Es ist bekannt, daß über ihn seine Vertreter
selbst nicht einig sind, und daß es so viele Definitionen desselben als Richtungen
und Parteischattirungen gibt. Dies gibt uns ein Recht, den Umfang des Be¬
griffes für unsern Zweck nach eignem Ermessen zu bestimmen. Im Interesse
der Ausführlichkeit und Deutlichkeit unserer Darstellung geben wir ihm die



*) Rechenschaftsbericht der sächsischen Universität-Abgeordneten 1873. Hermannstadt,
Druck von Josef Drotleff K Comp, 1873.
Grenzboten II. 1379. 64
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[0425] geschehen in der Ueberzeugung, daß ein starker Staat lokale Eigenthümlichkeiten dieser Art ohne Schaden ertragen könne. Und wann fiele es einer deutschen Regierung ein, etwa einer städtischen Gemeinde gegenüber dem mit der Ober¬ aufsicht über dieselbe betrauten Regierungsbeamten die Verwaltung der Stadt selbst und die freie Verfiigung über deren Eigenthum zu übertragen, außer im äußersten Nothfall? So aber ist das Ministerium Tisza mit der sächsischen nations-Universität verfahren! Und doch war das sächsische Territorium kein erobertes Land, doch waren ihm seine Rechte wiederholt feierlich gewährleistet, doch verlangten die Sachsen selbst auf dieser Grundlage nichts weiter für sich, als was jedem ungarischen Komitat an Selbstverwaltungsrechten zuerkannt worden war! Selbst nach diesen niederdrückenden Erfahrungen ist den Sachsen der Muth nicht gebrochen, denn er beruht auf dem Bewußtsein ihres guten Rechts. Ihre Abgeordneten konnten deshalb den Rechenschaftsbericht über die Verhandlungen von 1877 und 1878") vollberechtigt mit dem Satze schließen: „Das Urtheil über unser Verhalten stellen wir mit ruhigem Gewissen unseren Wählern an¬ heim." Wir sind deshalb überzeugt, daß die Magyaren auch in Zukunft jene Erfahrung an den Sachsen machen werden, welche Graf Egmont dem Herzog Alba bei seinen niederländischen Landsleuten warnend voraussagt: „Zu drücken sind sie, nicht zu unterdrücken." Otto Kaemmel. Sozialpolitisches aus dem hellenischen Alterthum. i. Wenn man sich anschickt, über eine so viel und heiß umstrittene Frage zu reden, wie es der Sozialismus ist, so bedarf es, obwohl im Folgenden nur ein historischer Beitrag dazu geliefert werden soll, vor allem einer Verständi- ung über den Begriff desselben. Es ist bekannt, daß über ihn seine Vertreter selbst nicht einig sind, und daß es so viele Definitionen desselben als Richtungen und Parteischattirungen gibt. Dies gibt uns ein Recht, den Umfang des Be¬ griffes für unsern Zweck nach eignem Ermessen zu bestimmen. Im Interesse der Ausführlichkeit und Deutlichkeit unserer Darstellung geben wir ihm die *) Rechenschaftsbericht der sächsischen Universität-Abgeordneten 1873. Hermannstadt, Druck von Josef Drotleff K Comp, 1873. Grenzboten II. 1379. 64

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/425>, abgerufen am 30.04.2024.