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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Wie anders sind in analogen Fällen deutsche Regierungen verfahren! Als
die sächsische Verfassung vom 4. September 1831 mit den auf ihr beruhenden
Organisationsgesetzen das gesammte bis dahin sehr verschiedenartig verwaltete
Gebiet des Königreichs unter ein Grundgesetz stellte und den einheitlichen
Landtag schuf, da blieb laut förmlichen Vertrags (9. Dezember 1834) der
Oberlausitz sächsischen Antheils ihr altständisch gegliederter Sonderlandtag mit
dem freien Verfügungsrechte über das beträchtliche landständische Vermögen
unter eigener Verwaltung vollkommen ungeschmälert, und niemals hat die
königlich sächsische Regierung ihr Oberaufsichtsrecht zu Eingriffen in das Recht
der Stände gemißbraucht. Ebenso ließ Preußen in dem 1815 erworbenen
Antheil an der Oberlausitz und in der Niederlausitz die alten Stände bestehen,
obwohl jener mit der Provinz Schlesien, diese mit Brandenburg vereinigt
wurde, und so in jeder dieser Provinzen nach der Provinzialstände-Verfassung
von 1824 mehrere altständische Vertretungen nebeneinander bestanden. Und
bekanntlich hat seitdem die preußische Regierung, weit davon entfernt, die Selbst¬
verwaltungsrechte ihrer Provinzen einzuschränken, vielmehr den provinzialen
Körperschaften große Kapitalien aus den französischen Kriegsgeldern über¬
wiesen, so gut wie die sächsische dies den neugeschaffenen Bezirks-Vertretungen
gegenüber that. Als ferner im Jahre 1876 das Herzogthum Lauenburg dem
preußischen Staate förmlich einverleibt wurde, da verblieb kraft des zwischen
beiden Kontrahenten abgeschlossenen Vertrages dem kleinen Ländchen von 20
Quadratmeilen und 49000 Einwohnern sein Landes-Kommunalverband als
besonderer kreisständischer Verband mit dem Rechte einer Korporation und in
seiner bisherigen Zusammensetzung, sogar mit dem Rechte seiner Ritter- und
Landschaft, bei Gesetzen, welche den Kreis allein betreffen, ein Gutachten abzu¬
geben und Petitionen und Beschwerden an die Staatsregierung zu richten.
Dieselbe preußische Regierung hat in den 1866 durch Eroberung (!) gewon¬
nenen Provinzen nicht nur die alte mit der altpreußischen gar nicht überein¬
stimmende Eintheilung zum großen Theile beibehalten (in Hannover die Land-
drosteien, in Nassau die Amtsbezirke, obwohl dies mit dem wiederum verschieden
organisirten ehemaligen Kurhessen zu einer Provinz verbunden ist), sondern
auch in Hessen-Nassau die beiden alten Landtage als "Kommunal-Landtage"
belassen und dem hessischen Lande Eigenthum und Verfügungsrecht über den
großen kurhessischeu Staatsschatz niemals bestritten.

Deutsche Regierungen haben es also mit der Wahrung der Staatseinheit
und ihrer Autorität sür vollkommen verträglich erachtet, sehr verschiedenartige
Verwaltungsformen nebeneinander bestehen zu lassen, altständische Körperschaften
zu erhalten, ihnen ein weitgehendes Verfügungsrecht über ihr Eigenthum zu
gewährleisten. Selbst auf dem Boden eroberter Landschaften ist dies geschehen,


Wie anders sind in analogen Fällen deutsche Regierungen verfahren! Als
die sächsische Verfassung vom 4. September 1831 mit den auf ihr beruhenden
Organisationsgesetzen das gesammte bis dahin sehr verschiedenartig verwaltete
Gebiet des Königreichs unter ein Grundgesetz stellte und den einheitlichen
Landtag schuf, da blieb laut förmlichen Vertrags (9. Dezember 1834) der
Oberlausitz sächsischen Antheils ihr altständisch gegliederter Sonderlandtag mit
dem freien Verfügungsrechte über das beträchtliche landständische Vermögen
unter eigener Verwaltung vollkommen ungeschmälert, und niemals hat die
königlich sächsische Regierung ihr Oberaufsichtsrecht zu Eingriffen in das Recht
der Stände gemißbraucht. Ebenso ließ Preußen in dem 1815 erworbenen
Antheil an der Oberlausitz und in der Niederlausitz die alten Stände bestehen,
obwohl jener mit der Provinz Schlesien, diese mit Brandenburg vereinigt
wurde, und so in jeder dieser Provinzen nach der Provinzialstände-Verfassung
von 1824 mehrere altständische Vertretungen nebeneinander bestanden. Und
bekanntlich hat seitdem die preußische Regierung, weit davon entfernt, die Selbst¬
verwaltungsrechte ihrer Provinzen einzuschränken, vielmehr den provinzialen
Körperschaften große Kapitalien aus den französischen Kriegsgeldern über¬
wiesen, so gut wie die sächsische dies den neugeschaffenen Bezirks-Vertretungen
gegenüber that. Als ferner im Jahre 1876 das Herzogthum Lauenburg dem
preußischen Staate förmlich einverleibt wurde, da verblieb kraft des zwischen
beiden Kontrahenten abgeschlossenen Vertrages dem kleinen Ländchen von 20
Quadratmeilen und 49000 Einwohnern sein Landes-Kommunalverband als
besonderer kreisständischer Verband mit dem Rechte einer Korporation und in
seiner bisherigen Zusammensetzung, sogar mit dem Rechte seiner Ritter- und
Landschaft, bei Gesetzen, welche den Kreis allein betreffen, ein Gutachten abzu¬
geben und Petitionen und Beschwerden an die Staatsregierung zu richten.
Dieselbe preußische Regierung hat in den 1866 durch Eroberung (!) gewon¬
nenen Provinzen nicht nur die alte mit der altpreußischen gar nicht überein¬
stimmende Eintheilung zum großen Theile beibehalten (in Hannover die Land-
drosteien, in Nassau die Amtsbezirke, obwohl dies mit dem wiederum verschieden
organisirten ehemaligen Kurhessen zu einer Provinz verbunden ist), sondern
auch in Hessen-Nassau die beiden alten Landtage als „Kommunal-Landtage"
belassen und dem hessischen Lande Eigenthum und Verfügungsrecht über den
großen kurhessischeu Staatsschatz niemals bestritten.

Deutsche Regierungen haben es also mit der Wahrung der Staatseinheit
und ihrer Autorität sür vollkommen verträglich erachtet, sehr verschiedenartige
Verwaltungsformen nebeneinander bestehen zu lassen, altständische Körperschaften
zu erhalten, ihnen ein weitgehendes Verfügungsrecht über ihr Eigenthum zu
gewährleisten. Selbst auf dem Boden eroberter Landschaften ist dies geschehen,


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[0424] Wie anders sind in analogen Fällen deutsche Regierungen verfahren! Als die sächsische Verfassung vom 4. September 1831 mit den auf ihr beruhenden Organisationsgesetzen das gesammte bis dahin sehr verschiedenartig verwaltete Gebiet des Königreichs unter ein Grundgesetz stellte und den einheitlichen Landtag schuf, da blieb laut förmlichen Vertrags (9. Dezember 1834) der Oberlausitz sächsischen Antheils ihr altständisch gegliederter Sonderlandtag mit dem freien Verfügungsrechte über das beträchtliche landständische Vermögen unter eigener Verwaltung vollkommen ungeschmälert, und niemals hat die königlich sächsische Regierung ihr Oberaufsichtsrecht zu Eingriffen in das Recht der Stände gemißbraucht. Ebenso ließ Preußen in dem 1815 erworbenen Antheil an der Oberlausitz und in der Niederlausitz die alten Stände bestehen, obwohl jener mit der Provinz Schlesien, diese mit Brandenburg vereinigt wurde, und so in jeder dieser Provinzen nach der Provinzialstände-Verfassung von 1824 mehrere altständische Vertretungen nebeneinander bestanden. Und bekanntlich hat seitdem die preußische Regierung, weit davon entfernt, die Selbst¬ verwaltungsrechte ihrer Provinzen einzuschränken, vielmehr den provinzialen Körperschaften große Kapitalien aus den französischen Kriegsgeldern über¬ wiesen, so gut wie die sächsische dies den neugeschaffenen Bezirks-Vertretungen gegenüber that. Als ferner im Jahre 1876 das Herzogthum Lauenburg dem preußischen Staate förmlich einverleibt wurde, da verblieb kraft des zwischen beiden Kontrahenten abgeschlossenen Vertrages dem kleinen Ländchen von 20 Quadratmeilen und 49000 Einwohnern sein Landes-Kommunalverband als besonderer kreisständischer Verband mit dem Rechte einer Korporation und in seiner bisherigen Zusammensetzung, sogar mit dem Rechte seiner Ritter- und Landschaft, bei Gesetzen, welche den Kreis allein betreffen, ein Gutachten abzu¬ geben und Petitionen und Beschwerden an die Staatsregierung zu richten. Dieselbe preußische Regierung hat in den 1866 durch Eroberung (!) gewon¬ nenen Provinzen nicht nur die alte mit der altpreußischen gar nicht überein¬ stimmende Eintheilung zum großen Theile beibehalten (in Hannover die Land- drosteien, in Nassau die Amtsbezirke, obwohl dies mit dem wiederum verschieden organisirten ehemaligen Kurhessen zu einer Provinz verbunden ist), sondern auch in Hessen-Nassau die beiden alten Landtage als „Kommunal-Landtage" belassen und dem hessischen Lande Eigenthum und Verfügungsrecht über den großen kurhessischeu Staatsschatz niemals bestritten. Deutsche Regierungen haben es also mit der Wahrung der Staatseinheit und ihrer Autorität sür vollkommen verträglich erachtet, sehr verschiedenartige Verwaltungsformen nebeneinander bestehen zu lassen, altständische Körperschaften zu erhalten, ihnen ein weitgehendes Verfügungsrecht über ihr Eigenthum zu gewährleisten. Selbst auf dem Boden eroberter Landschaften ist dies geschehen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/424>, abgerufen am 21.05.2024.