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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Wir hören, daß Lob oder Tadel der zuschauenden Jungfrauen den Jüng¬
lingen auf den Uebungsplätzen nicht gleichgiltig gewesen ist, und daß selbst in
Staatsangelegenheiten die Stimmen der Frauen nicht ohne Einfluß waren.
Die Heerverfassung und das Lagerleben in Sparta hob thatsächlich die Familie,
das häusliche Leben, die elterliche Erziehung und damit das natürliche Thätig¬
keitsgebiet des Weibes ans, oder schränkte es wenigstens wesentlich ein. Platon
schrieb die Vorzüge des spartanischen Gemeindelebens dieser Einschränkung zu
und glaubte sie auf den Gipfel zu bringen, wenn er das Familienleben gänzlich
beseitigte und der Frau die ganze Sphäre des Staatslebens öffnete. Die Auf¬
hebung der Ehe mußte nothwendig zur Weiber- und Kindergemeinschaft führen,
und Platon scheute sich nicht, diese Konsequenz zu ziehen und seinen Staat
auf unbegrenzte kommunistische Prinzipien zu gründen. Er weiß sehr wohl,
daß er sich in diesem Punkte am weitesten von der griechischen Sitte entfernt,
und daß er der am schwersten zu vertheidigende ist. Denn wenn auch die
Hellenen nie die hohe ethische Bedeutung der Familie vollständig erkannt haben,
so galten ihnen doch die Gatten-, Eltern- und Kindesliebe als menschliche und
edle Empfindungen. Aber er glaubt, indem er die Ehe auflöst, ihre edlen
Beziehungen von dem Einzelnen auf das Ganze zu übertragen, die enge Familie
zu erweitern und alle ihre Vorzüge dem Staate dienstbar zu machen, während
er in Wahrheit die edelsten Gefühle erstickt und die natürlichsten Bande aus¬
einanderreißt.


Richard Schöner.


Witte's Janke-Iorschungen.

Karl Witte, neben Wegele der hervorragendste Kenner Dante's in Deutsch¬
land, hat den zuerst vor zehn Jahren von ihm veröffentlichten Dante-Studien
vor kurzem eine zweite Sammlung folgen lassen, welche durch die Güte der
Verlagshandlung uns zur Besprechung vorliegt.*) Der größere Theil der nun
in diesen beiden Bänden gesammelten Aufsätze wendet sich freilich an den engeren
Kreis der spezifischen Dante-Forscher und wird dort gewiß mit großem Danke



*) Karl Witte, Dante-Forschungen. Altes und Neues. Erster Band. Halle, 1369.
Neue Ausgabe. Heilbronn, Gebr. Henninger, 1877. Zweiter Band. Heilbronn, Gebr.
Henninger, 1379.

Wir hören, daß Lob oder Tadel der zuschauenden Jungfrauen den Jüng¬
lingen auf den Uebungsplätzen nicht gleichgiltig gewesen ist, und daß selbst in
Staatsangelegenheiten die Stimmen der Frauen nicht ohne Einfluß waren.
Die Heerverfassung und das Lagerleben in Sparta hob thatsächlich die Familie,
das häusliche Leben, die elterliche Erziehung und damit das natürliche Thätig¬
keitsgebiet des Weibes ans, oder schränkte es wenigstens wesentlich ein. Platon
schrieb die Vorzüge des spartanischen Gemeindelebens dieser Einschränkung zu
und glaubte sie auf den Gipfel zu bringen, wenn er das Familienleben gänzlich
beseitigte und der Frau die ganze Sphäre des Staatslebens öffnete. Die Auf¬
hebung der Ehe mußte nothwendig zur Weiber- und Kindergemeinschaft führen,
und Platon scheute sich nicht, diese Konsequenz zu ziehen und seinen Staat
auf unbegrenzte kommunistische Prinzipien zu gründen. Er weiß sehr wohl,
daß er sich in diesem Punkte am weitesten von der griechischen Sitte entfernt,
und daß er der am schwersten zu vertheidigende ist. Denn wenn auch die
Hellenen nie die hohe ethische Bedeutung der Familie vollständig erkannt haben,
so galten ihnen doch die Gatten-, Eltern- und Kindesliebe als menschliche und
edle Empfindungen. Aber er glaubt, indem er die Ehe auflöst, ihre edlen
Beziehungen von dem Einzelnen auf das Ganze zu übertragen, die enge Familie
zu erweitern und alle ihre Vorzüge dem Staate dienstbar zu machen, während
er in Wahrheit die edelsten Gefühle erstickt und die natürlichsten Bande aus¬
einanderreißt.


Richard Schöner.


Witte's Janke-Iorschungen.

Karl Witte, neben Wegele der hervorragendste Kenner Dante's in Deutsch¬
land, hat den zuerst vor zehn Jahren von ihm veröffentlichten Dante-Studien
vor kurzem eine zweite Sammlung folgen lassen, welche durch die Güte der
Verlagshandlung uns zur Besprechung vorliegt.*) Der größere Theil der nun
in diesen beiden Bänden gesammelten Aufsätze wendet sich freilich an den engeren
Kreis der spezifischen Dante-Forscher und wird dort gewiß mit großem Danke



*) Karl Witte, Dante-Forschungen. Altes und Neues. Erster Band. Halle, 1369.
Neue Ausgabe. Heilbronn, Gebr. Henninger, 1877. Zweiter Band. Heilbronn, Gebr.
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[0438] Wir hören, daß Lob oder Tadel der zuschauenden Jungfrauen den Jüng¬ lingen auf den Uebungsplätzen nicht gleichgiltig gewesen ist, und daß selbst in Staatsangelegenheiten die Stimmen der Frauen nicht ohne Einfluß waren. Die Heerverfassung und das Lagerleben in Sparta hob thatsächlich die Familie, das häusliche Leben, die elterliche Erziehung und damit das natürliche Thätig¬ keitsgebiet des Weibes ans, oder schränkte es wenigstens wesentlich ein. Platon schrieb die Vorzüge des spartanischen Gemeindelebens dieser Einschränkung zu und glaubte sie auf den Gipfel zu bringen, wenn er das Familienleben gänzlich beseitigte und der Frau die ganze Sphäre des Staatslebens öffnete. Die Auf¬ hebung der Ehe mußte nothwendig zur Weiber- und Kindergemeinschaft führen, und Platon scheute sich nicht, diese Konsequenz zu ziehen und seinen Staat auf unbegrenzte kommunistische Prinzipien zu gründen. Er weiß sehr wohl, daß er sich in diesem Punkte am weitesten von der griechischen Sitte entfernt, und daß er der am schwersten zu vertheidigende ist. Denn wenn auch die Hellenen nie die hohe ethische Bedeutung der Familie vollständig erkannt haben, so galten ihnen doch die Gatten-, Eltern- und Kindesliebe als menschliche und edle Empfindungen. Aber er glaubt, indem er die Ehe auflöst, ihre edlen Beziehungen von dem Einzelnen auf das Ganze zu übertragen, die enge Familie zu erweitern und alle ihre Vorzüge dem Staate dienstbar zu machen, während er in Wahrheit die edelsten Gefühle erstickt und die natürlichsten Bande aus¬ einanderreißt. Richard Schöner. Witte's Janke-Iorschungen. Karl Witte, neben Wegele der hervorragendste Kenner Dante's in Deutsch¬ land, hat den zuerst vor zehn Jahren von ihm veröffentlichten Dante-Studien vor kurzem eine zweite Sammlung folgen lassen, welche durch die Güte der Verlagshandlung uns zur Besprechung vorliegt.*) Der größere Theil der nun in diesen beiden Bänden gesammelten Aufsätze wendet sich freilich an den engeren Kreis der spezifischen Dante-Forscher und wird dort gewiß mit großem Danke *) Karl Witte, Dante-Forschungen. Altes und Neues. Erster Band. Halle, 1369. Neue Ausgabe. Heilbronn, Gebr. Henninger, 1877. Zweiter Band. Heilbronn, Gebr. Henninger, 1379.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/438>, abgerufen am 01.05.2024.