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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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aufgenommen sein und noch aufgenommen werden.*) Haben doch alle irgend¬
wie beachtenswerten Erscheinungen auf dem betreffenden Gebiete vom zweiten
Dezennium unseres Jahrhunderts an bis in die Gegenwart herein hier eine
sorgfältige und eindringende Besprechung gefunden. Ueber den Gesammtinhalt
dieser Studien hier Bericht zu erstatten, kann daher nicht die Aufgabe dieser
Blätter sein. Wir halten uns an diejenigen Untersuchungen, die entweder
direkt an ein größeres Publikum gerichtet sind, oder wenigstens für ein solches
von Interesse sein können. Und daß wir uns dabei begnügen, wiederzugeben,
was wir gelernt haben, und darauf verzichten, dem Altmeister des Dante-Studiums
gegenüber etwa eine kritische Stellung einzunehmen, wird man einem bloßen
Bewunderer und Verehrer des großen Dichters, der keinen Anspruch darauf
erheben kann, sich zu den kompetenten Kennern zu rechnen, nicht verargen.

Unter den Aufsätzen, die hier in Betracht kommen, haben wir zwei Gruppen
zu unterscheiden. Die einen sind geschichtlicher Natur und beziehen sich theils
auf die Zeitverhältnisse, theils auf die Lebensumstände des Dichters; die anderen
find der Erläuterung seiner Dichtungen, besonders der göttlichen Komödie, ge¬
widmet. Was die ersteren betrifft, fo sind es drei Abhandlungen, die zunächst
unsere Aufmerksamkeit erregen: "Dante's Familienname", "Dante's Geburtstag"
"Dante's Gebeine in Ravenna".

- Den Familiennamen Dante's ist Witte geneigt auf "Aldighieri" als die
ursprüngliche Form zurückzuführen und diese als der germanischen Sprache
angehörig zu bezeichnen, in Uebereinstimmung mit H. Leo, Diez, Zacher, Pott.
Die Bedeutung dieses althochdeutsch "Alt-Ger" zu schreibenden Namens würde
dann entweder mit "Altspeer" wiederzugeben, oder, wie H. Leo will, durch
"Glanz des Zeitalters" zu erklären sein, wobei "Alt" als Zeitalter und "Ger"
als Geschoß im Sinne von Strahl zu verstehen wäre.

Das Geburtsjahr Dante's steht fest, es ist das Jahr 1265; ebenso das
Himmelszeiehen, unter dem er geboren wurde, nach seinem eignen Zeugniß das
der Zwillinge. In dieses Zeichen trat die Sonne im genannten Jahre am
18. Mai und verließ es am 17. Juni. Der von den Italienern gefeierte
14. Mai kann also auf keinen Fall der Geburtstag des Dichters gewesen sein.
Daß derselbe aber in den Mai fiel, soll nach Boccaccio's Bericht der Dichter selbst
erklärt haben. Um das richtige Datum des Tages zu finden, erinnert Witte daran,
daß Dante in der göttlichen Komödie einer Lucia, deren Getreuer er sei, als
himmlischen Helferin Erwähnung thut. Wie kam er dazu? In Florenz existirte
der Lokalkultus einer seliggesprochenen Lucia Ubaldini, und der ihrem Andenken



Daß Witte seine Leser in erster Linie unter den "Dantisten" im engeren Sinne
gesucht hat, dafür spricht schon der Umstand, daß er kein Bedenken getragen hat, in italie¬
nischer und lateinischer Sprache verfaßte Abhandlungen in seine Sammlung mit aufzunehmen.

aufgenommen sein und noch aufgenommen werden.*) Haben doch alle irgend¬
wie beachtenswerten Erscheinungen auf dem betreffenden Gebiete vom zweiten
Dezennium unseres Jahrhunderts an bis in die Gegenwart herein hier eine
sorgfältige und eindringende Besprechung gefunden. Ueber den Gesammtinhalt
dieser Studien hier Bericht zu erstatten, kann daher nicht die Aufgabe dieser
Blätter sein. Wir halten uns an diejenigen Untersuchungen, die entweder
direkt an ein größeres Publikum gerichtet sind, oder wenigstens für ein solches
von Interesse sein können. Und daß wir uns dabei begnügen, wiederzugeben,
was wir gelernt haben, und darauf verzichten, dem Altmeister des Dante-Studiums
gegenüber etwa eine kritische Stellung einzunehmen, wird man einem bloßen
Bewunderer und Verehrer des großen Dichters, der keinen Anspruch darauf
erheben kann, sich zu den kompetenten Kennern zu rechnen, nicht verargen.

Unter den Aufsätzen, die hier in Betracht kommen, haben wir zwei Gruppen
zu unterscheiden. Die einen sind geschichtlicher Natur und beziehen sich theils
auf die Zeitverhältnisse, theils auf die Lebensumstände des Dichters; die anderen
find der Erläuterung seiner Dichtungen, besonders der göttlichen Komödie, ge¬
widmet. Was die ersteren betrifft, fo sind es drei Abhandlungen, die zunächst
unsere Aufmerksamkeit erregen: „Dante's Familienname", „Dante's Geburtstag"
„Dante's Gebeine in Ravenna".

- Den Familiennamen Dante's ist Witte geneigt auf „Aldighieri" als die
ursprüngliche Form zurückzuführen und diese als der germanischen Sprache
angehörig zu bezeichnen, in Uebereinstimmung mit H. Leo, Diez, Zacher, Pott.
Die Bedeutung dieses althochdeutsch „Alt-Ger" zu schreibenden Namens würde
dann entweder mit „Altspeer" wiederzugeben, oder, wie H. Leo will, durch
„Glanz des Zeitalters" zu erklären sein, wobei „Alt" als Zeitalter und „Ger"
als Geschoß im Sinne von Strahl zu verstehen wäre.

Das Geburtsjahr Dante's steht fest, es ist das Jahr 1265; ebenso das
Himmelszeiehen, unter dem er geboren wurde, nach seinem eignen Zeugniß das
der Zwillinge. In dieses Zeichen trat die Sonne im genannten Jahre am
18. Mai und verließ es am 17. Juni. Der von den Italienern gefeierte
14. Mai kann also auf keinen Fall der Geburtstag des Dichters gewesen sein.
Daß derselbe aber in den Mai fiel, soll nach Boccaccio's Bericht der Dichter selbst
erklärt haben. Um das richtige Datum des Tages zu finden, erinnert Witte daran,
daß Dante in der göttlichen Komödie einer Lucia, deren Getreuer er sei, als
himmlischen Helferin Erwähnung thut. Wie kam er dazu? In Florenz existirte
der Lokalkultus einer seliggesprochenen Lucia Ubaldini, und der ihrem Andenken



Daß Witte seine Leser in erster Linie unter den „Dantisten" im engeren Sinne
gesucht hat, dafür spricht schon der Umstand, daß er kein Bedenken getragen hat, in italie¬
nischer und lateinischer Sprache verfaßte Abhandlungen in seine Sammlung mit aufzunehmen.
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[0439] aufgenommen sein und noch aufgenommen werden.*) Haben doch alle irgend¬ wie beachtenswerten Erscheinungen auf dem betreffenden Gebiete vom zweiten Dezennium unseres Jahrhunderts an bis in die Gegenwart herein hier eine sorgfältige und eindringende Besprechung gefunden. Ueber den Gesammtinhalt dieser Studien hier Bericht zu erstatten, kann daher nicht die Aufgabe dieser Blätter sein. Wir halten uns an diejenigen Untersuchungen, die entweder direkt an ein größeres Publikum gerichtet sind, oder wenigstens für ein solches von Interesse sein können. Und daß wir uns dabei begnügen, wiederzugeben, was wir gelernt haben, und darauf verzichten, dem Altmeister des Dante-Studiums gegenüber etwa eine kritische Stellung einzunehmen, wird man einem bloßen Bewunderer und Verehrer des großen Dichters, der keinen Anspruch darauf erheben kann, sich zu den kompetenten Kennern zu rechnen, nicht verargen. Unter den Aufsätzen, die hier in Betracht kommen, haben wir zwei Gruppen zu unterscheiden. Die einen sind geschichtlicher Natur und beziehen sich theils auf die Zeitverhältnisse, theils auf die Lebensumstände des Dichters; die anderen find der Erläuterung seiner Dichtungen, besonders der göttlichen Komödie, ge¬ widmet. Was die ersteren betrifft, fo sind es drei Abhandlungen, die zunächst unsere Aufmerksamkeit erregen: „Dante's Familienname", „Dante's Geburtstag" „Dante's Gebeine in Ravenna". - Den Familiennamen Dante's ist Witte geneigt auf „Aldighieri" als die ursprüngliche Form zurückzuführen und diese als der germanischen Sprache angehörig zu bezeichnen, in Uebereinstimmung mit H. Leo, Diez, Zacher, Pott. Die Bedeutung dieses althochdeutsch „Alt-Ger" zu schreibenden Namens würde dann entweder mit „Altspeer" wiederzugeben, oder, wie H. Leo will, durch „Glanz des Zeitalters" zu erklären sein, wobei „Alt" als Zeitalter und „Ger" als Geschoß im Sinne von Strahl zu verstehen wäre. Das Geburtsjahr Dante's steht fest, es ist das Jahr 1265; ebenso das Himmelszeiehen, unter dem er geboren wurde, nach seinem eignen Zeugniß das der Zwillinge. In dieses Zeichen trat die Sonne im genannten Jahre am 18. Mai und verließ es am 17. Juni. Der von den Italienern gefeierte 14. Mai kann also auf keinen Fall der Geburtstag des Dichters gewesen sein. Daß derselbe aber in den Mai fiel, soll nach Boccaccio's Bericht der Dichter selbst erklärt haben. Um das richtige Datum des Tages zu finden, erinnert Witte daran, daß Dante in der göttlichen Komödie einer Lucia, deren Getreuer er sei, als himmlischen Helferin Erwähnung thut. Wie kam er dazu? In Florenz existirte der Lokalkultus einer seliggesprochenen Lucia Ubaldini, und der ihrem Andenken Daß Witte seine Leser in erster Linie unter den „Dantisten" im engeren Sinne gesucht hat, dafür spricht schon der Umstand, daß er kein Bedenken getragen hat, in italie¬ nischer und lateinischer Sprache verfaßte Abhandlungen in seine Sammlung mit aufzunehmen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/439>, abgerufen am 21.05.2024.