Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

am 15. Juli 1870 von Paris abging, und daß am folgenden Tage die Ordre
zur Mobilisirung der zum Norddeutschen Bunde gehörigen Armeen von Berlin
versandt wurde. Vierzehn Tage nachher standen zwischen drei- und viermal-
hunderttausend deutsche Krieger an der Grenze des Elsaß, und am 4. August
wurde von der Vorhut des Heeres des Kronprinzen die Schlacht bei Weißen¬
burg geschlagen und gewonnen. Dies war eine Leistung auf dem Gebiete der
Mobilisirung und Beförderung, die bis dahin der militärischen Erfahrung noch
nicht vorgekommen war, und die bei jedem Berufssoldaten in Europa Staunen
und Bewunderung erweckte. Wenige Offiziere außerhalb des geschlossenen
Kreises des preußischen Generalstabes glaubten, daß sie in einem zukünftigen
Kriege noch überboten werden könne. Trotzdem theilt man uns mit, daß die
jetzt beinahe vollendeten Einrichtungen das deutsche Kriegsministerium in den
Stand setzen werden, eine Streitmacht von mehr als einer halben Million
wohlgeübter und disziplinirter Soldaten binnen zehn Tagen nach Erlaß des
Mobilistrungs-Befehls zu mobilisiren und an die östliche oder westliche Grenze
zu versetzen.

Es ist ein Glück für seine nächsten Nachbarn, daß Deutschland so fried¬
fertig gestimmt ist, wie wir im jetzigen Augenblick anzunehmen alle Ursache
haben" -- und wie man, fügen wir hinzu, immer wird annehmen dürfen, so
lange jene Nachbarn ebenso friedfertig denken und dies in ihrem Verhalten
erkennen lassen.




politische Ariese.
XII.
Die Neichstagsparteien und die Finanzzölle.

Während dem neuen Zolltarif in seinen schutzzöllnerischen Theilen die
Annahme durch die Reichstagsmehrheit gesichert ist, erscheint die Annahme der
Finanzzölle zur Zeit noch fraglich. Und doch weiß Jedermann, daß der Zweck,
dem Reiche eigene Einnahmen mindestens bis zum Betrage der Matrikularbei-
träge, wenn jedoch möglich, weit über diesen Betrag hinaus zu verschaffen, den
Anstoß zur Zollreform gegeben hat. Schutzzölle allein ohne Finanzzölle würde
die Reichsregierung nie gefordert haben, denn neben dem Anspruch der Klassen,
welchen die Schutzzölle zu gute kommen sollen, steht der noch weit höher
berechtigte Anspruch derjenigen Klassen, welche einer gerechteren Vertheilnng


am 15. Juli 1870 von Paris abging, und daß am folgenden Tage die Ordre
zur Mobilisirung der zum Norddeutschen Bunde gehörigen Armeen von Berlin
versandt wurde. Vierzehn Tage nachher standen zwischen drei- und viermal-
hunderttausend deutsche Krieger an der Grenze des Elsaß, und am 4. August
wurde von der Vorhut des Heeres des Kronprinzen die Schlacht bei Weißen¬
burg geschlagen und gewonnen. Dies war eine Leistung auf dem Gebiete der
Mobilisirung und Beförderung, die bis dahin der militärischen Erfahrung noch
nicht vorgekommen war, und die bei jedem Berufssoldaten in Europa Staunen
und Bewunderung erweckte. Wenige Offiziere außerhalb des geschlossenen
Kreises des preußischen Generalstabes glaubten, daß sie in einem zukünftigen
Kriege noch überboten werden könne. Trotzdem theilt man uns mit, daß die
jetzt beinahe vollendeten Einrichtungen das deutsche Kriegsministerium in den
Stand setzen werden, eine Streitmacht von mehr als einer halben Million
wohlgeübter und disziplinirter Soldaten binnen zehn Tagen nach Erlaß des
Mobilistrungs-Befehls zu mobilisiren und an die östliche oder westliche Grenze
zu versetzen.

Es ist ein Glück für seine nächsten Nachbarn, daß Deutschland so fried¬
fertig gestimmt ist, wie wir im jetzigen Augenblick anzunehmen alle Ursache
haben" — und wie man, fügen wir hinzu, immer wird annehmen dürfen, so
lange jene Nachbarn ebenso friedfertig denken und dies in ihrem Verhalten
erkennen lassen.




politische Ariese.
XII.
Die Neichstagsparteien und die Finanzzölle.

Während dem neuen Zolltarif in seinen schutzzöllnerischen Theilen die
Annahme durch die Reichstagsmehrheit gesichert ist, erscheint die Annahme der
Finanzzölle zur Zeit noch fraglich. Und doch weiß Jedermann, daß der Zweck,
dem Reiche eigene Einnahmen mindestens bis zum Betrage der Matrikularbei-
träge, wenn jedoch möglich, weit über diesen Betrag hinaus zu verschaffen, den
Anstoß zur Zollreform gegeben hat. Schutzzölle allein ohne Finanzzölle würde
die Reichsregierung nie gefordert haben, denn neben dem Anspruch der Klassen,
welchen die Schutzzölle zu gute kommen sollen, steht der noch weit höher
berechtigte Anspruch derjenigen Klassen, welche einer gerechteren Vertheilnng


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0482" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/142437"/>
          <p xml:id="ID_1464" prev="#ID_1463"> am 15. Juli 1870 von Paris abging, und daß am folgenden Tage die Ordre<lb/>
zur Mobilisirung der zum Norddeutschen Bunde gehörigen Armeen von Berlin<lb/>
versandt wurde. Vierzehn Tage nachher standen zwischen drei- und viermal-<lb/>
hunderttausend deutsche Krieger an der Grenze des Elsaß, und am 4. August<lb/>
wurde von der Vorhut des Heeres des Kronprinzen die Schlacht bei Weißen¬<lb/>
burg geschlagen und gewonnen. Dies war eine Leistung auf dem Gebiete der<lb/>
Mobilisirung und Beförderung, die bis dahin der militärischen Erfahrung noch<lb/>
nicht vorgekommen war, und die bei jedem Berufssoldaten in Europa Staunen<lb/>
und Bewunderung erweckte. Wenige Offiziere außerhalb des geschlossenen<lb/>
Kreises des preußischen Generalstabes glaubten, daß sie in einem zukünftigen<lb/>
Kriege noch überboten werden könne. Trotzdem theilt man uns mit, daß die<lb/>
jetzt beinahe vollendeten Einrichtungen das deutsche Kriegsministerium in den<lb/>
Stand setzen werden, eine Streitmacht von mehr als einer halben Million<lb/>
wohlgeübter und disziplinirter Soldaten binnen zehn Tagen nach Erlaß des<lb/>
Mobilistrungs-Befehls zu mobilisiren und an die östliche oder westliche Grenze<lb/>
zu versetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1465"> Es ist ein Glück für seine nächsten Nachbarn, daß Deutschland so fried¬<lb/>
fertig gestimmt ist, wie wir im jetzigen Augenblick anzunehmen alle Ursache<lb/>
haben" &#x2014; und wie man, fügen wir hinzu, immer wird annehmen dürfen, so<lb/>
lange jene Nachbarn ebenso friedfertig denken und dies in ihrem Verhalten<lb/>
erkennen lassen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> politische Ariese.<lb/>
XII.<lb/>
Die Neichstagsparteien und die Finanzzölle. </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1466" next="#ID_1467"> Während dem neuen Zolltarif in seinen schutzzöllnerischen Theilen die<lb/>
Annahme durch die Reichstagsmehrheit gesichert ist, erscheint die Annahme der<lb/>
Finanzzölle zur Zeit noch fraglich. Und doch weiß Jedermann, daß der Zweck,<lb/>
dem Reiche eigene Einnahmen mindestens bis zum Betrage der Matrikularbei-<lb/>
träge, wenn jedoch möglich, weit über diesen Betrag hinaus zu verschaffen, den<lb/>
Anstoß zur Zollreform gegeben hat. Schutzzölle allein ohne Finanzzölle würde<lb/>
die Reichsregierung nie gefordert haben, denn neben dem Anspruch der Klassen,<lb/>
welchen die Schutzzölle zu gute kommen sollen, steht der noch weit höher<lb/>
berechtigte Anspruch derjenigen Klassen, welche einer gerechteren Vertheilnng</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0482] am 15. Juli 1870 von Paris abging, und daß am folgenden Tage die Ordre zur Mobilisirung der zum Norddeutschen Bunde gehörigen Armeen von Berlin versandt wurde. Vierzehn Tage nachher standen zwischen drei- und viermal- hunderttausend deutsche Krieger an der Grenze des Elsaß, und am 4. August wurde von der Vorhut des Heeres des Kronprinzen die Schlacht bei Weißen¬ burg geschlagen und gewonnen. Dies war eine Leistung auf dem Gebiete der Mobilisirung und Beförderung, die bis dahin der militärischen Erfahrung noch nicht vorgekommen war, und die bei jedem Berufssoldaten in Europa Staunen und Bewunderung erweckte. Wenige Offiziere außerhalb des geschlossenen Kreises des preußischen Generalstabes glaubten, daß sie in einem zukünftigen Kriege noch überboten werden könne. Trotzdem theilt man uns mit, daß die jetzt beinahe vollendeten Einrichtungen das deutsche Kriegsministerium in den Stand setzen werden, eine Streitmacht von mehr als einer halben Million wohlgeübter und disziplinirter Soldaten binnen zehn Tagen nach Erlaß des Mobilistrungs-Befehls zu mobilisiren und an die östliche oder westliche Grenze zu versetzen. Es ist ein Glück für seine nächsten Nachbarn, daß Deutschland so fried¬ fertig gestimmt ist, wie wir im jetzigen Augenblick anzunehmen alle Ursache haben" — und wie man, fügen wir hinzu, immer wird annehmen dürfen, so lange jene Nachbarn ebenso friedfertig denken und dies in ihrem Verhalten erkennen lassen. politische Ariese. XII. Die Neichstagsparteien und die Finanzzölle. Während dem neuen Zolltarif in seinen schutzzöllnerischen Theilen die Annahme durch die Reichstagsmehrheit gesichert ist, erscheint die Annahme der Finanzzölle zur Zeit noch fraglich. Und doch weiß Jedermann, daß der Zweck, dem Reiche eigene Einnahmen mindestens bis zum Betrage der Matrikularbei- träge, wenn jedoch möglich, weit über diesen Betrag hinaus zu verschaffen, den Anstoß zur Zollreform gegeben hat. Schutzzölle allein ohne Finanzzölle würde die Reichsregierung nie gefordert haben, denn neben dem Anspruch der Klassen, welchen die Schutzzölle zu gute kommen sollen, steht der noch weit höher berechtigte Anspruch derjenigen Klassen, welche einer gerechteren Vertheilnng

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/482
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/482>, abgerufen am 30.04.2024.