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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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und Frankreich werden sie auch nicht eher vollenden; für Deutschland ist die
Arbeit ebenfalls auf mindestens 25 bis 30 Jahre berechnet, und es ist gegrün¬
dete Aussicht vorhanden, daß wir damit ebensogut das Ziel, Herabminderung
des Verbrecherthums und der Verbrecher, erreichen werden, wie jene Länder.
Wollte man uns jetzt die Deportation empfehlen als ein Mittel, welches uns
rascher und billiger zum Ziele führen würde, es wäre genau so, als wenn man
einem treuen und fleißigen Menschen, der durch Arbeit und Sparsamkeit seine
materielle Lage verbessern will, den Rath gäbe, in der Lotterie zu spielen, weil
--e. das ihn rascher und bequemer zum Ziele führe.




<Lin Kencontre
des Augsburger Aathes mit Iriedrich dem Kroßen.*)

Im Jahre 1754 in den letzten Tagen des Februar langte eine kleine
italienische Sängergesellschaft, aus ihrer Heimat kommend, auf dem Wege nach
Potsdam in der altehrwürdigen Reichsstadt Augsburg an. Es war eine
Signora Paganini, ihr Gemahl, außerdem noch zwei Sänger, endlich als Reise¬
marschall ein gewisser Pietro Antonio Callabria, der als Kommissär und im
Auftrage Friedrich's II. die erstgenannten vier Personen in die Residenz des
Königs geleiten sollte. Sie stiegen in der Schäfflerherberge ab, einer auf dem
Predigerberge gelegenen Bierbrauerei, die von Alters her das Recht besaß,
Fremde aller Art aufzunehmen. Freilich war dies ein nichts weniger als
vornehmes Absteigequartier, nach unserer Art zu reden kaum ein Wirthshaus
dritten oder vierten Ranges; indessen Schauspieler und Sänger waren zu jenen
Zeiten weniger verwöhnt als heutzutage, und auch eine Sängerin von viel
größerem Rufe als Signora Paganini würde es damals wahrscheinlich nicht für
unter ihrer Würde gehalten haben, mit einem verhältnißmäßig so bescheidenen
Unterkommen vorlieb zu nehmen. Zudem war Friedrich der Große nicht ge¬
neigt, sür dergleichen Dinge großen Aufwand zu machen. Wer sich bei solchen
Gelegenheiten bei ihm beliebt machen wollte, der mußte es verstehen, Sänger
und Sängerinnen zu liefern, auch ohne dabei tief in die königliche Kasse zu
greifen.



') Nach Quellen aus dem städtischen Archiv zu Augsburg, namentlich einem Faszike
der Aufschrift: "Begangene Frevel und Exzesse auf dem Rathhause 1657--1772,"

und Frankreich werden sie auch nicht eher vollenden; für Deutschland ist die
Arbeit ebenfalls auf mindestens 25 bis 30 Jahre berechnet, und es ist gegrün¬
dete Aussicht vorhanden, daß wir damit ebensogut das Ziel, Herabminderung
des Verbrecherthums und der Verbrecher, erreichen werden, wie jene Länder.
Wollte man uns jetzt die Deportation empfehlen als ein Mittel, welches uns
rascher und billiger zum Ziele führen würde, es wäre genau so, als wenn man
einem treuen und fleißigen Menschen, der durch Arbeit und Sparsamkeit seine
materielle Lage verbessern will, den Rath gäbe, in der Lotterie zu spielen, weil
—e. das ihn rascher und bequemer zum Ziele führe.




<Lin Kencontre
des Augsburger Aathes mit Iriedrich dem Kroßen.*)

Im Jahre 1754 in den letzten Tagen des Februar langte eine kleine
italienische Sängergesellschaft, aus ihrer Heimat kommend, auf dem Wege nach
Potsdam in der altehrwürdigen Reichsstadt Augsburg an. Es war eine
Signora Paganini, ihr Gemahl, außerdem noch zwei Sänger, endlich als Reise¬
marschall ein gewisser Pietro Antonio Callabria, der als Kommissär und im
Auftrage Friedrich's II. die erstgenannten vier Personen in die Residenz des
Königs geleiten sollte. Sie stiegen in der Schäfflerherberge ab, einer auf dem
Predigerberge gelegenen Bierbrauerei, die von Alters her das Recht besaß,
Fremde aller Art aufzunehmen. Freilich war dies ein nichts weniger als
vornehmes Absteigequartier, nach unserer Art zu reden kaum ein Wirthshaus
dritten oder vierten Ranges; indessen Schauspieler und Sänger waren zu jenen
Zeiten weniger verwöhnt als heutzutage, und auch eine Sängerin von viel
größerem Rufe als Signora Paganini würde es damals wahrscheinlich nicht für
unter ihrer Würde gehalten haben, mit einem verhältnißmäßig so bescheidenen
Unterkommen vorlieb zu nehmen. Zudem war Friedrich der Große nicht ge¬
neigt, sür dergleichen Dinge großen Aufwand zu machen. Wer sich bei solchen
Gelegenheiten bei ihm beliebt machen wollte, der mußte es verstehen, Sänger
und Sängerinnen zu liefern, auch ohne dabei tief in die königliche Kasse zu
greifen.



') Nach Quellen aus dem städtischen Archiv zu Augsburg, namentlich einem Faszike
der Aufschrift: „Begangene Frevel und Exzesse auf dem Rathhause 1657—1772,"
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/515>, abgerufen am 01.05.2024.