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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Der Herr Kommissär Callabria, der den Unterhalt der Gesellschaft während
der Reise zu bestreiten hatte, mußte also wohl, wenn er nicht zu Schaden
kommen wollte, mit den ihm zur Verfügung stehenden Geldmitteln haushälte¬
risch umgehen. Dafür zeigte er sich um so anmaßender in seinem Benehmen.
Er hatte früher einmal, wahrscheinlich in Preußen, in Militärdiensten gestanden,
und als ehemaliger Soldat und Diener eines so großen Herrn und Kriegs¬
obersten dünkte er sich hoch erhaben über das gewöhnliche bürgerliche Gelichter.
Die Reichsstädter mit ihrem gespreizten Wesen, hinter dem auch nicht mehr
der Schatten einer wirklichen Macht stand, mochten ihm vollends verächtlich
vorkommen, und aus diesen seinen Gedanken machte er nirgends im Geringsten
ein Hehl. Schon bei seinem Eintritt in die Stadt, unter dem Thore, hatte er
sich, um größer dazustehen, sür einen Kriegskommissär seiner preußischen Majestät
ausgegeben, und als solcher trat er überall auf: kurz angebunden, soldatisch,
befehlshaberisch.

Die Gesellschaft war in dem Gefährt eines Augsburger Lohukutschers
Namens Konrad Birzle aus Italien befördert worden. Als dieser aber kam,
um seine Zahlung zu verlangen, zog ihm Callabria nicht nur eine beträchtliche
Summe ab, sondern schnäuzte ihn auch, als er sich dabei nicht beruhigen wollte,
grimmig an: er werde ihm eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn er ihn
noch weiter belästige, und dergleichen mehr.

Birzle entfernte sich erschrocken ohne sein Geld, lief aber in seiner Angst
am andern Morgen -- es war Samstag, den 2. März -- in aller Frühe auf
das Rathhaus, wo gerade der kleine Rath tagte, um diesem seine Noth zu
klagen. Der Bürgermeister v. Langenmantel kam aus dem Sitzungssaale,
hörte seine Erzählung an, und da schon von anderer Seite über das Gebühren
des gewaltthätigen Herrn geklagt worden war, auch Gefahr im Verzüge war,
weil die Italiener schon wieder auf dem Punkte standen abzureisen, so schickte
er sofort einen Amtsdiener ab, um den Angeklagten auf das Rathhaus zu zitiren.

Ohne Zweifel wäre der Bürgermeister behutsamer zu Wege gegangen,
wenn er den Fremden wirklich für einen Kommissär des Königs von Preußen
gehalten hätte. Die reichsstädtischen Behörden waren im vorigen Jahrhundert
berühmt ob ihrer langsamen Bedächtigkeit, ob ihrer ewigen Bedenklichkeiten
und ihrer beständigen, freilich nothgedrungenen Rücksichtnahme auf größere
Nachbarn und überhaupt auf alle mächtigeren Reichsfürsten. Zudem war
Langenmantel nicht im Amte, die Sache ging ihn also unmittelbar recht
wenig an.*)



*) Die Augsburger "Bürgermeister" waren seit der Verfassungsänderung von 1648
nicht mehr die obersten Behörden der Stadt. Wenn mau den sehr weiten Kreis ihrer Ge-

Der Herr Kommissär Callabria, der den Unterhalt der Gesellschaft während
der Reise zu bestreiten hatte, mußte also wohl, wenn er nicht zu Schaden
kommen wollte, mit den ihm zur Verfügung stehenden Geldmitteln haushälte¬
risch umgehen. Dafür zeigte er sich um so anmaßender in seinem Benehmen.
Er hatte früher einmal, wahrscheinlich in Preußen, in Militärdiensten gestanden,
und als ehemaliger Soldat und Diener eines so großen Herrn und Kriegs¬
obersten dünkte er sich hoch erhaben über das gewöhnliche bürgerliche Gelichter.
Die Reichsstädter mit ihrem gespreizten Wesen, hinter dem auch nicht mehr
der Schatten einer wirklichen Macht stand, mochten ihm vollends verächtlich
vorkommen, und aus diesen seinen Gedanken machte er nirgends im Geringsten
ein Hehl. Schon bei seinem Eintritt in die Stadt, unter dem Thore, hatte er
sich, um größer dazustehen, sür einen Kriegskommissär seiner preußischen Majestät
ausgegeben, und als solcher trat er überall auf: kurz angebunden, soldatisch,
befehlshaberisch.

Die Gesellschaft war in dem Gefährt eines Augsburger Lohukutschers
Namens Konrad Birzle aus Italien befördert worden. Als dieser aber kam,
um seine Zahlung zu verlangen, zog ihm Callabria nicht nur eine beträchtliche
Summe ab, sondern schnäuzte ihn auch, als er sich dabei nicht beruhigen wollte,
grimmig an: er werde ihm eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn er ihn
noch weiter belästige, und dergleichen mehr.

Birzle entfernte sich erschrocken ohne sein Geld, lief aber in seiner Angst
am andern Morgen — es war Samstag, den 2. März — in aller Frühe auf
das Rathhaus, wo gerade der kleine Rath tagte, um diesem seine Noth zu
klagen. Der Bürgermeister v. Langenmantel kam aus dem Sitzungssaale,
hörte seine Erzählung an, und da schon von anderer Seite über das Gebühren
des gewaltthätigen Herrn geklagt worden war, auch Gefahr im Verzüge war,
weil die Italiener schon wieder auf dem Punkte standen abzureisen, so schickte
er sofort einen Amtsdiener ab, um den Angeklagten auf das Rathhaus zu zitiren.

Ohne Zweifel wäre der Bürgermeister behutsamer zu Wege gegangen,
wenn er den Fremden wirklich für einen Kommissär des Königs von Preußen
gehalten hätte. Die reichsstädtischen Behörden waren im vorigen Jahrhundert
berühmt ob ihrer langsamen Bedächtigkeit, ob ihrer ewigen Bedenklichkeiten
und ihrer beständigen, freilich nothgedrungenen Rücksichtnahme auf größere
Nachbarn und überhaupt auf alle mächtigeren Reichsfürsten. Zudem war
Langenmantel nicht im Amte, die Sache ging ihn also unmittelbar recht
wenig an.*)



*) Die Augsburger „Bürgermeister" waren seit der Verfassungsänderung von 1648
nicht mehr die obersten Behörden der Stadt. Wenn mau den sehr weiten Kreis ihrer Ge-
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[0516] Der Herr Kommissär Callabria, der den Unterhalt der Gesellschaft während der Reise zu bestreiten hatte, mußte also wohl, wenn er nicht zu Schaden kommen wollte, mit den ihm zur Verfügung stehenden Geldmitteln haushälte¬ risch umgehen. Dafür zeigte er sich um so anmaßender in seinem Benehmen. Er hatte früher einmal, wahrscheinlich in Preußen, in Militärdiensten gestanden, und als ehemaliger Soldat und Diener eines so großen Herrn und Kriegs¬ obersten dünkte er sich hoch erhaben über das gewöhnliche bürgerliche Gelichter. Die Reichsstädter mit ihrem gespreizten Wesen, hinter dem auch nicht mehr der Schatten einer wirklichen Macht stand, mochten ihm vollends verächtlich vorkommen, und aus diesen seinen Gedanken machte er nirgends im Geringsten ein Hehl. Schon bei seinem Eintritt in die Stadt, unter dem Thore, hatte er sich, um größer dazustehen, sür einen Kriegskommissär seiner preußischen Majestät ausgegeben, und als solcher trat er überall auf: kurz angebunden, soldatisch, befehlshaberisch. Die Gesellschaft war in dem Gefährt eines Augsburger Lohukutschers Namens Konrad Birzle aus Italien befördert worden. Als dieser aber kam, um seine Zahlung zu verlangen, zog ihm Callabria nicht nur eine beträchtliche Summe ab, sondern schnäuzte ihn auch, als er sich dabei nicht beruhigen wollte, grimmig an: er werde ihm eine Kugel durch den Kopf jagen, wenn er ihn noch weiter belästige, und dergleichen mehr. Birzle entfernte sich erschrocken ohne sein Geld, lief aber in seiner Angst am andern Morgen — es war Samstag, den 2. März — in aller Frühe auf das Rathhaus, wo gerade der kleine Rath tagte, um diesem seine Noth zu klagen. Der Bürgermeister v. Langenmantel kam aus dem Sitzungssaale, hörte seine Erzählung an, und da schon von anderer Seite über das Gebühren des gewaltthätigen Herrn geklagt worden war, auch Gefahr im Verzüge war, weil die Italiener schon wieder auf dem Punkte standen abzureisen, so schickte er sofort einen Amtsdiener ab, um den Angeklagten auf das Rathhaus zu zitiren. Ohne Zweifel wäre der Bürgermeister behutsamer zu Wege gegangen, wenn er den Fremden wirklich für einen Kommissär des Königs von Preußen gehalten hätte. Die reichsstädtischen Behörden waren im vorigen Jahrhundert berühmt ob ihrer langsamen Bedächtigkeit, ob ihrer ewigen Bedenklichkeiten und ihrer beständigen, freilich nothgedrungenen Rücksichtnahme auf größere Nachbarn und überhaupt auf alle mächtigeren Reichsfürsten. Zudem war Langenmantel nicht im Amte, die Sache ging ihn also unmittelbar recht wenig an.*) *) Die Augsburger „Bürgermeister" waren seit der Verfassungsänderung von 1648 nicht mehr die obersten Behörden der Stadt. Wenn mau den sehr weiten Kreis ihrer Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/516>, abgerufen am 21.05.2024.