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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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licher Thätigkeit, welche dieser Klasse der Bevölkerung in England immer zu¬
gewiesen war, erhielt derselben doch immer ein nicht verächtliches Maß prakti¬
scher Einsicht, und immerhin wurde durch die Bischofssitze, die einheimischen
Seebäder und die regelmäßigen Ausflüge der reicheren Edelleute nach London
oder Bath einiges geistige Leben in diese Volksschicht gebracht. Was für Fehler
aber auch die englische Gentry hatte (die Trunksucht war ihr ärgster), der
Ackerbau und die Landwirthschaft überhaupt hatte unter ihrer Leitung in dieser
Periode unstreitig eine höhere Stufe als in Frankreich und Deutschland er¬
reicht, und wie engherzig und vorurtheilsvoll sie auch sein, wie fanatisch sie
der steifen Hofkirche das Wort reden, wie sehr sie Dissenters und Ausländer
Haffen mochte, so bildete sie doch ein geradsinniges, thatkräftiges und patrioti¬
sches Element im öffentlichen Leben Englands.




Zur Geschichte des ZMenaljmens.

Es ist merkwürdig, daß in unserer Zeit, wo die monographische Darstel¬
lungsweise in der Literatur blüht, ein so alltägliches und selbstverständliches
Möbel wie der Bilderrahmen noch nicht seinen Historiker gefunden hat. Ich
wurde durch die Berliner GeWerbeausstellung und die Kunstausstellung der
Akademie veranlaßt, der Entwickelungsgeschichte des Bilderrahmens nachzu¬
spüren, und fand zu meinem Erstaunen, daß dieser Zweig der kunstindustriellen
Thätigkeit, welcher seit Jahrhunderten so viele Köpfe und Hände beschäftigt hat,
von unseren Kunsthistorikern so gut wie gar nicht berücksichtigt worden ist.

Verleitet durch die Sucht unserer Künstler, um jeden Preis Aufsehen zu
erregen, haben die Rahmenfabrikanten allmählich einen geradezu unsinnigen
Luxus entfaltet, der sich in allen Phasen stillosester Willkür ergeht. Der reich¬
liche Gebrauch jener schmiegsamen, sich schnell verhärtenden Masse, die aus
Gallipott, einem japanischen Fichtenharze, und Schlemmkreide bereitet wird, und
die sich deshalb auch der gewagtesten Form anpaßt, erleichtert den Mißbrauch
einer sinnverwirrenden Ornamentik, eines betäubenden Schwulstes von Zier¬
formen, welche die Aufmerksamkeit des Beschauers von dem Bilde ablenken und
auf den schreienden Rahmen konzentriren. Es ist heutzutage eine ganz ge¬
wöhnliche Erscheinung, daß ein bescheidener Studienkopf in einen Barock- oder
Rokokorahmen gespannt wird, dessen phantastisch durchbrochene, aus allerhand
Pflanzengebilden komponirte Leiste die Fläche der bemalten Leinwand in der


Grenzboten IV. 1879. L1

licher Thätigkeit, welche dieser Klasse der Bevölkerung in England immer zu¬
gewiesen war, erhielt derselben doch immer ein nicht verächtliches Maß prakti¬
scher Einsicht, und immerhin wurde durch die Bischofssitze, die einheimischen
Seebäder und die regelmäßigen Ausflüge der reicheren Edelleute nach London
oder Bath einiges geistige Leben in diese Volksschicht gebracht. Was für Fehler
aber auch die englische Gentry hatte (die Trunksucht war ihr ärgster), der
Ackerbau und die Landwirthschaft überhaupt hatte unter ihrer Leitung in dieser
Periode unstreitig eine höhere Stufe als in Frankreich und Deutschland er¬
reicht, und wie engherzig und vorurtheilsvoll sie auch sein, wie fanatisch sie
der steifen Hofkirche das Wort reden, wie sehr sie Dissenters und Ausländer
Haffen mochte, so bildete sie doch ein geradsinniges, thatkräftiges und patrioti¬
sches Element im öffentlichen Leben Englands.




Zur Geschichte des ZMenaljmens.

Es ist merkwürdig, daß in unserer Zeit, wo die monographische Darstel¬
lungsweise in der Literatur blüht, ein so alltägliches und selbstverständliches
Möbel wie der Bilderrahmen noch nicht seinen Historiker gefunden hat. Ich
wurde durch die Berliner GeWerbeausstellung und die Kunstausstellung der
Akademie veranlaßt, der Entwickelungsgeschichte des Bilderrahmens nachzu¬
spüren, und fand zu meinem Erstaunen, daß dieser Zweig der kunstindustriellen
Thätigkeit, welcher seit Jahrhunderten so viele Köpfe und Hände beschäftigt hat,
von unseren Kunsthistorikern so gut wie gar nicht berücksichtigt worden ist.

Verleitet durch die Sucht unserer Künstler, um jeden Preis Aufsehen zu
erregen, haben die Rahmenfabrikanten allmählich einen geradezu unsinnigen
Luxus entfaltet, der sich in allen Phasen stillosester Willkür ergeht. Der reich¬
liche Gebrauch jener schmiegsamen, sich schnell verhärtenden Masse, die aus
Gallipott, einem japanischen Fichtenharze, und Schlemmkreide bereitet wird, und
die sich deshalb auch der gewagtesten Form anpaßt, erleichtert den Mißbrauch
einer sinnverwirrenden Ornamentik, eines betäubenden Schwulstes von Zier¬
formen, welche die Aufmerksamkeit des Beschauers von dem Bilde ablenken und
auf den schreienden Rahmen konzentriren. Es ist heutzutage eine ganz ge¬
wöhnliche Erscheinung, daß ein bescheidener Studienkopf in einen Barock- oder
Rokokorahmen gespannt wird, dessen phantastisch durchbrochene, aus allerhand
Pflanzengebilden komponirte Leiste die Fläche der bemalten Leinwand in der


Grenzboten IV. 1879. L1
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[0161] licher Thätigkeit, welche dieser Klasse der Bevölkerung in England immer zu¬ gewiesen war, erhielt derselben doch immer ein nicht verächtliches Maß prakti¬ scher Einsicht, und immerhin wurde durch die Bischofssitze, die einheimischen Seebäder und die regelmäßigen Ausflüge der reicheren Edelleute nach London oder Bath einiges geistige Leben in diese Volksschicht gebracht. Was für Fehler aber auch die englische Gentry hatte (die Trunksucht war ihr ärgster), der Ackerbau und die Landwirthschaft überhaupt hatte unter ihrer Leitung in dieser Periode unstreitig eine höhere Stufe als in Frankreich und Deutschland er¬ reicht, und wie engherzig und vorurtheilsvoll sie auch sein, wie fanatisch sie der steifen Hofkirche das Wort reden, wie sehr sie Dissenters und Ausländer Haffen mochte, so bildete sie doch ein geradsinniges, thatkräftiges und patrioti¬ sches Element im öffentlichen Leben Englands. Zur Geschichte des ZMenaljmens. Es ist merkwürdig, daß in unserer Zeit, wo die monographische Darstel¬ lungsweise in der Literatur blüht, ein so alltägliches und selbstverständliches Möbel wie der Bilderrahmen noch nicht seinen Historiker gefunden hat. Ich wurde durch die Berliner GeWerbeausstellung und die Kunstausstellung der Akademie veranlaßt, der Entwickelungsgeschichte des Bilderrahmens nachzu¬ spüren, und fand zu meinem Erstaunen, daß dieser Zweig der kunstindustriellen Thätigkeit, welcher seit Jahrhunderten so viele Köpfe und Hände beschäftigt hat, von unseren Kunsthistorikern so gut wie gar nicht berücksichtigt worden ist. Verleitet durch die Sucht unserer Künstler, um jeden Preis Aufsehen zu erregen, haben die Rahmenfabrikanten allmählich einen geradezu unsinnigen Luxus entfaltet, der sich in allen Phasen stillosester Willkür ergeht. Der reich¬ liche Gebrauch jener schmiegsamen, sich schnell verhärtenden Masse, die aus Gallipott, einem japanischen Fichtenharze, und Schlemmkreide bereitet wird, und die sich deshalb auch der gewagtesten Form anpaßt, erleichtert den Mißbrauch einer sinnverwirrenden Ornamentik, eines betäubenden Schwulstes von Zier¬ formen, welche die Aufmerksamkeit des Beschauers von dem Bilde ablenken und auf den schreienden Rahmen konzentriren. Es ist heutzutage eine ganz ge¬ wöhnliche Erscheinung, daß ein bescheidener Studienkopf in einen Barock- oder Rokokorahmen gespannt wird, dessen phantastisch durchbrochene, aus allerhand Pflanzengebilden komponirte Leiste die Fläche der bemalten Leinwand in der Grenzboten IV. 1879. L1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/161>, abgerufen am 06.05.2024.