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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal.

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Lin Studentenstammbuch aus Lessings Zeit.

Jedermann kennt die köstliche Szene im "Faust", wo der "Schüler", nachdem
ihn Mephistopheles, in Fausts Mantel gehüllt, mit beißendem Spott über die vier
Fakultäten belehrt und zuletzt bei der Medizin seine Sinnlichkeit angestachelt hat,
zum Schlüsse den vermeintlichen Professor demüthiglich bittet, sich in sein Stamm¬
buch einzuschreiben:


Ich kann unmöglich wieder gehn.

Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen.
'

Gour Eure Gunst mir dieses Zeichen I


und dann mit stummem Entzücken die Worte der Schlange aus Heu Paradiese
hinnimmt: üritis Siout Opus, seiWies domiin se rag-turn.

Goethe hat, wie im "Faust" überhaupt, so auch in der Schilderung des
Universitälslcbens selbstverständlich das 16. Jahrhundert im Auge. Aber wie er im
"Götz", der ihn gleichzeitig mit dem "Faust" beschäftigte, die Farben, die er dort
zu dem Bilde des 16. Jahrhunderts mischte, theilweise auch der eigenen Zeit entnahm,
so auch in der Schilderung des Studentenlebens im "Faust". In "Auerbachs
Keller" spielen sicher die Studenten seiner eigenen, eben erst hinter ihm liegenden
Univcrsitätsjahre in seine Vorstellung hinein, wenn auch -- trotz des gewählten
Lokals -- weniger die feinen Kleinpariser als die rüden Jenenser, die schon in
Zachariae's "Renommisten" (1744) den galanten Leipzigern gegenübergestellt worden
waren. Von dem Stammbuchmotiv kann man zweifeln, ob der Dichter damit
einen echten Zug aus dem 16. Jahrhundert oder einen aus seiner eigenen Zeit
gegeben zu haben meinte. Der Zug ist ohne Zweifel völlig echt, es fragt sich
nur, ob Goethe darum wußte. Als die Blüthezeit der Stammbücher ist freilich
das 17. Jahrhundert zu betrachten. In denselben Jahrzehnten, wo in den höfischen, den
Adels- und Gclehrtenkreisen die Sprachgcsellschaften mit ihrer Namen- und Wappen-,
Devisen- und Motto-Spielerei florirtcn, da circulirten auch die Stammbücher am
fleißigsten. Noch heute sind nicht wenige von jenen unförmlichen kleinen, dicken
Bänden erhalten, auf deren abwechselnden Papier- und Pergamentblättern zwischen
allerhand schönen Devisen bunte Wappen, ausgeschnittene Kupferstichportraits,
Landschafts- und Städtebilder, allegorische Darstellungen und galante Schäferszenen
in Aquarell oder Federzeichnung ausgestreut wurden. Aber schon im 16. Jahr¬
hundert war der Gebrauch der Stammbücher in Gelehrtenkreisen ganz verbreitet.
Doch hätte Goethe das Motiv recht gut auch seiner eigenen Zeit entlehnen können,
denn die Sitte, die jetzt, wo selbst in den Kreisen der Jugend mit aller Empfind¬
samkeit gründlich aufgeräumt ist, antiquirt, übrigens zum Theil durch das moderne


Lin Studentenstammbuch aus Lessings Zeit.

Jedermann kennt die köstliche Szene im „Faust", wo der „Schüler", nachdem
ihn Mephistopheles, in Fausts Mantel gehüllt, mit beißendem Spott über die vier
Fakultäten belehrt und zuletzt bei der Medizin seine Sinnlichkeit angestachelt hat,
zum Schlüsse den vermeintlichen Professor demüthiglich bittet, sich in sein Stamm¬
buch einzuschreiben:


Ich kann unmöglich wieder gehn.

Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen.
'

Gour Eure Gunst mir dieses Zeichen I


und dann mit stummem Entzücken die Worte der Schlange aus Heu Paradiese
hinnimmt: üritis Siout Opus, seiWies domiin se rag-turn.

Goethe hat, wie im „Faust" überhaupt, so auch in der Schilderung des
Universitälslcbens selbstverständlich das 16. Jahrhundert im Auge. Aber wie er im
„Götz", der ihn gleichzeitig mit dem „Faust" beschäftigte, die Farben, die er dort
zu dem Bilde des 16. Jahrhunderts mischte, theilweise auch der eigenen Zeit entnahm,
so auch in der Schilderung des Studentenlebens im „Faust". In „Auerbachs
Keller" spielen sicher die Studenten seiner eigenen, eben erst hinter ihm liegenden
Univcrsitätsjahre in seine Vorstellung hinein, wenn auch — trotz des gewählten
Lokals — weniger die feinen Kleinpariser als die rüden Jenenser, die schon in
Zachariae's „Renommisten" (1744) den galanten Leipzigern gegenübergestellt worden
waren. Von dem Stammbuchmotiv kann man zweifeln, ob der Dichter damit
einen echten Zug aus dem 16. Jahrhundert oder einen aus seiner eigenen Zeit
gegeben zu haben meinte. Der Zug ist ohne Zweifel völlig echt, es fragt sich
nur, ob Goethe darum wußte. Als die Blüthezeit der Stammbücher ist freilich
das 17. Jahrhundert zu betrachten. In denselben Jahrzehnten, wo in den höfischen, den
Adels- und Gclehrtenkreisen die Sprachgcsellschaften mit ihrer Namen- und Wappen-,
Devisen- und Motto-Spielerei florirtcn, da circulirten auch die Stammbücher am
fleißigsten. Noch heute sind nicht wenige von jenen unförmlichen kleinen, dicken
Bänden erhalten, auf deren abwechselnden Papier- und Pergamentblättern zwischen
allerhand schönen Devisen bunte Wappen, ausgeschnittene Kupferstichportraits,
Landschafts- und Städtebilder, allegorische Darstellungen und galante Schäferszenen
in Aquarell oder Federzeichnung ausgestreut wurden. Aber schon im 16. Jahr¬
hundert war der Gebrauch der Stammbücher in Gelehrtenkreisen ganz verbreitet.
Doch hätte Goethe das Motiv recht gut auch seiner eigenen Zeit entlehnen können,
denn die Sitte, die jetzt, wo selbst in den Kreisen der Jugend mit aller Empfind¬
samkeit gründlich aufgeräumt ist, antiquirt, übrigens zum Theil durch das moderne


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[0330] Lin Studentenstammbuch aus Lessings Zeit. Jedermann kennt die köstliche Szene im „Faust", wo der „Schüler", nachdem ihn Mephistopheles, in Fausts Mantel gehüllt, mit beißendem Spott über die vier Fakultäten belehrt und zuletzt bei der Medizin seine Sinnlichkeit angestachelt hat, zum Schlüsse den vermeintlichen Professor demüthiglich bittet, sich in sein Stamm¬ buch einzuschreiben: Ich kann unmöglich wieder gehn. Ich muß Euch noch mein Stammbuch überreichen. ' Gour Eure Gunst mir dieses Zeichen I und dann mit stummem Entzücken die Worte der Schlange aus Heu Paradiese hinnimmt: üritis Siout Opus, seiWies domiin se rag-turn. Goethe hat, wie im „Faust" überhaupt, so auch in der Schilderung des Universitälslcbens selbstverständlich das 16. Jahrhundert im Auge. Aber wie er im „Götz", der ihn gleichzeitig mit dem „Faust" beschäftigte, die Farben, die er dort zu dem Bilde des 16. Jahrhunderts mischte, theilweise auch der eigenen Zeit entnahm, so auch in der Schilderung des Studentenlebens im „Faust". In „Auerbachs Keller" spielen sicher die Studenten seiner eigenen, eben erst hinter ihm liegenden Univcrsitätsjahre in seine Vorstellung hinein, wenn auch — trotz des gewählten Lokals — weniger die feinen Kleinpariser als die rüden Jenenser, die schon in Zachariae's „Renommisten" (1744) den galanten Leipzigern gegenübergestellt worden waren. Von dem Stammbuchmotiv kann man zweifeln, ob der Dichter damit einen echten Zug aus dem 16. Jahrhundert oder einen aus seiner eigenen Zeit gegeben zu haben meinte. Der Zug ist ohne Zweifel völlig echt, es fragt sich nur, ob Goethe darum wußte. Als die Blüthezeit der Stammbücher ist freilich das 17. Jahrhundert zu betrachten. In denselben Jahrzehnten, wo in den höfischen, den Adels- und Gclehrtenkreisen die Sprachgcsellschaften mit ihrer Namen- und Wappen-, Devisen- und Motto-Spielerei florirtcn, da circulirten auch die Stammbücher am fleißigsten. Noch heute sind nicht wenige von jenen unförmlichen kleinen, dicken Bänden erhalten, auf deren abwechselnden Papier- und Pergamentblättern zwischen allerhand schönen Devisen bunte Wappen, ausgeschnittene Kupferstichportraits, Landschafts- und Städtebilder, allegorische Darstellungen und galante Schäferszenen in Aquarell oder Federzeichnung ausgestreut wurden. Aber schon im 16. Jahr¬ hundert war der Gebrauch der Stammbücher in Gelehrtenkreisen ganz verbreitet. Doch hätte Goethe das Motiv recht gut auch seiner eigenen Zeit entlehnen können, denn die Sitte, die jetzt, wo selbst in den Kreisen der Jugend mit aller Empfind¬ samkeit gründlich aufgeräumt ist, antiquirt, übrigens zum Theil durch das moderne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157675/330>, abgerufen am 05.05.2024.