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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Ungünstige Handelsbilanzen.

Es giebt eine Menge wackerer Leute, deren Gemüther jedesmal von patrioti¬
schen Schmerzen gequält werden, wenn sich beim jährlichen Abschlüsse der Bilanz
unseres auswärtigen Handels herausstellt, daß der Werth der eingeführten
Waaren*) den Werth der ausgeführten wieder um so und so viel Hunderte von
Millionen übersteigt. An und für sich läge ja nichts Bedenkliches darin, daß
das deutsche Reich z. B. im Jahre 1878 nach Neumann-Spallart für Waaren
im Werthe von 1430 Millionen Gulden Oe. W. vom Auslande Waaren im
Werthe von 1861 Millionen empfangen hat. Es wäre das ja sogar ein Ge¬
winn von über 400 Millionen Gulden. Aber so ist es auch gar nicht gemeint.
Mau interpretirt die Ziffern. Man nimmt nicht an, daß man für Waaren von
geringerem Werthe solche von höherem Werthe eingetauscht habe, sondern man
glaubt vielmehr, daß der Ueberschuß der Einfuhr mit Gold und Silber in ge¬
münzten oder ungemünztem Zustande bezahlt werden müsse, daß also speciell
im Jahre 1878 ans Deutschland über 400 Millionen Gulden Oe. W. in Gold
oder Edelmetallen hinausgewandert seien.

In unsern Exportlisten steht nichts von einer solchen Ausfuhr, und wir
fügen sogleich noch hinzu, daß in den Import- und Expvrtlisten des deutschen
Reiches ebenso wie in denen der andern europäischen Länder der Werth der
ein- und ausgeführten Edelmetalle im Verhältniß zu den übrigen Waaren für
gewöhnlich überhaupt nicht sehr erheblich erscheint. Allein Gold und Silber
läßt sich ja, ohne daß jemand etwas davon merkt, so leicht von Ort zu Ort
und über die Grenzen transportiren, zumal in unsern Zeiten, wo jeder ohne in
Strafe zu verfalle" soviel davon fortschaffen darf wie er mag, daß es aller¬
dings nichts Auffallendes wäre, wenn selbst beträchtliche Summen der Wach¬
samkeit der Behörden, die jene Listen anzufertigen haben, entgingen..



*) Wir brauchen das Wort "Waare", wenn nicht ausdrücklich das Gegentheil bemerkt
wird, stets in dem landläufigen Sinne, wonach also Gold und Silber in rohem und un¬
gemünztem Zustande nicht darunter begriffen ist.
Grenzboten II, 1880. 1
Ungünstige Handelsbilanzen.

Es giebt eine Menge wackerer Leute, deren Gemüther jedesmal von patrioti¬
schen Schmerzen gequält werden, wenn sich beim jährlichen Abschlüsse der Bilanz
unseres auswärtigen Handels herausstellt, daß der Werth der eingeführten
Waaren*) den Werth der ausgeführten wieder um so und so viel Hunderte von
Millionen übersteigt. An und für sich läge ja nichts Bedenkliches darin, daß
das deutsche Reich z. B. im Jahre 1878 nach Neumann-Spallart für Waaren
im Werthe von 1430 Millionen Gulden Oe. W. vom Auslande Waaren im
Werthe von 1861 Millionen empfangen hat. Es wäre das ja sogar ein Ge¬
winn von über 400 Millionen Gulden. Aber so ist es auch gar nicht gemeint.
Mau interpretirt die Ziffern. Man nimmt nicht an, daß man für Waaren von
geringerem Werthe solche von höherem Werthe eingetauscht habe, sondern man
glaubt vielmehr, daß der Ueberschuß der Einfuhr mit Gold und Silber in ge¬
münzten oder ungemünztem Zustande bezahlt werden müsse, daß also speciell
im Jahre 1878 ans Deutschland über 400 Millionen Gulden Oe. W. in Gold
oder Edelmetallen hinausgewandert seien.

In unsern Exportlisten steht nichts von einer solchen Ausfuhr, und wir
fügen sogleich noch hinzu, daß in den Import- und Expvrtlisten des deutschen
Reiches ebenso wie in denen der andern europäischen Länder der Werth der
ein- und ausgeführten Edelmetalle im Verhältniß zu den übrigen Waaren für
gewöhnlich überhaupt nicht sehr erheblich erscheint. Allein Gold und Silber
läßt sich ja, ohne daß jemand etwas davon merkt, so leicht von Ort zu Ort
und über die Grenzen transportiren, zumal in unsern Zeiten, wo jeder ohne in
Strafe zu verfalle» soviel davon fortschaffen darf wie er mag, daß es aller¬
dings nichts Auffallendes wäre, wenn selbst beträchtliche Summen der Wach¬
samkeit der Behörden, die jene Listen anzufertigen haben, entgingen..



*) Wir brauchen das Wort „Waare", wenn nicht ausdrücklich das Gegentheil bemerkt
wird, stets in dem landläufigen Sinne, wonach also Gold und Silber in rohem und un¬
gemünztem Zustande nicht darunter begriffen ist.
Grenzboten II, 1880. 1
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[0005] Ungünstige Handelsbilanzen. Es giebt eine Menge wackerer Leute, deren Gemüther jedesmal von patrioti¬ schen Schmerzen gequält werden, wenn sich beim jährlichen Abschlüsse der Bilanz unseres auswärtigen Handels herausstellt, daß der Werth der eingeführten Waaren*) den Werth der ausgeführten wieder um so und so viel Hunderte von Millionen übersteigt. An und für sich läge ja nichts Bedenkliches darin, daß das deutsche Reich z. B. im Jahre 1878 nach Neumann-Spallart für Waaren im Werthe von 1430 Millionen Gulden Oe. W. vom Auslande Waaren im Werthe von 1861 Millionen empfangen hat. Es wäre das ja sogar ein Ge¬ winn von über 400 Millionen Gulden. Aber so ist es auch gar nicht gemeint. Mau interpretirt die Ziffern. Man nimmt nicht an, daß man für Waaren von geringerem Werthe solche von höherem Werthe eingetauscht habe, sondern man glaubt vielmehr, daß der Ueberschuß der Einfuhr mit Gold und Silber in ge¬ münzten oder ungemünztem Zustande bezahlt werden müsse, daß also speciell im Jahre 1878 ans Deutschland über 400 Millionen Gulden Oe. W. in Gold oder Edelmetallen hinausgewandert seien. In unsern Exportlisten steht nichts von einer solchen Ausfuhr, und wir fügen sogleich noch hinzu, daß in den Import- und Expvrtlisten des deutschen Reiches ebenso wie in denen der andern europäischen Länder der Werth der ein- und ausgeführten Edelmetalle im Verhältniß zu den übrigen Waaren für gewöhnlich überhaupt nicht sehr erheblich erscheint. Allein Gold und Silber läßt sich ja, ohne daß jemand etwas davon merkt, so leicht von Ort zu Ort und über die Grenzen transportiren, zumal in unsern Zeiten, wo jeder ohne in Strafe zu verfalle» soviel davon fortschaffen darf wie er mag, daß es aller¬ dings nichts Auffallendes wäre, wenn selbst beträchtliche Summen der Wach¬ samkeit der Behörden, die jene Listen anzufertigen haben, entgingen.. *) Wir brauchen das Wort „Waare", wenn nicht ausdrücklich das Gegentheil bemerkt wird, stets in dem landläufigen Sinne, wonach also Gold und Silber in rohem und un¬ gemünztem Zustande nicht darunter begriffen ist. Grenzboten II, 1880. 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/5>, abgerufen am 05.05.2024.