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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal.

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Man denkt sich den Gang unseres auswärtigen Handels also etwa folgen¬
dermaßen. Die deutsche Nation verkauft im Jahre Waaren im Werthe von
-- nehmen wir eine runde Summe -- 2300 Millionen Mark ins Ausland,
und dafür empfängt sie ebendaher den gleichen Betrag in Gold und Silber,
gemünzt oder ungemünzt. Dagegen kauft sie vom Auslande Waaren im Werthe
von -- ebenfalls in runder Summe -- 3000 Millionen Mark und zahlt dafür
in Gold und Silber ebensoviel hinaus. Sie wird also, lautet der Schluß,
jährlich um 700 Millionen ärmer, denn die Waaren sind bald consumirt, das
Geld aber kommt nicht zurück.

Die Sache scheint so klar und einfach, daß die meisten von denen, die sich
überhaupt um dergleichen Dinge kümmern, sie ohne Weiteres als ausgemacht
annehmen. Schon seit Jahrhunderten wird das Wort: "Nur für ausgeführte
Waare" erhalten wir etwas, für die eingeführten müssen wir selber bezahlen",
immer und immer von neuem wiederholt. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert
jammerte man in England, wo man gegenwärtig freilich nicht mehr in dieser
Furcht befangen ist, darüber, daß jahraus jahrein der Werth der Einfuhr größer
sei als derjenige der Ausfuhr, und verkündete den nahen Ruin des Landes als
unausbleibliche Folge. Man liebte damals in Parlamentsreden, in Abhand¬
lungen und Büchern zum Vergleiche einen Ausspruch des alten Cato zu citiren,
welcher besagte, daß ein guter Haushalter stets mehr einnehmen als ausgeben
müsse; gerade so, meinte man, sei es auch mit einem ganzen Volke. Nun ist
dies in der That eine Wahrheit, die sich nicht bestreikn läßt. Einzelne Personen
sowohl wie ganze Volker, die regelmäßig mehr ausgeben als sie einnehmen, werden
unfehlbar immer ärmer und gehen, wenn es lange genug dauert, mögen sie
noch so reich sein, am Ende so gewiß zu Grunde wie zweimal zwei vier ist.
Wenn es sich also wirklich so verhielte, wie man gewöhnlich und schon seit
Jahrhunderten glaubt, wenn in Wahrheit der Werth der ausgeführten Waaren
die Einnahmen, der der eingeführten hingegen die Ausgaben repräsentirte, so
stünde es in der That schlimm mit uns. Wir wären auf dem directen Wege
zum Armenhause.

Indessen liegt doch ein kleiner Trost nahe. Wir sehen, daß gerade die¬
jenigen unter unseren Nachbarn, die wir als die reichsten zu betrachten gewohnt
sind, Engländer, Holländer, Belgier, Franzosen, sich ganz in der nämlichen
fatalen Lage befinden. In England betrug der Mehrwerth der Einfuhr schon
im Jahre 1867 eine Milliarde und ist seitdem noch um ein Bedeutendes ge¬
wachsen. Wenn England bei diesem Zustande sich wohlbefindet und immer
reicher wird, so brauchen wir doch wohl für uns auch nicht das Aergste zu
befürchten. Einen weiteren Trostgrund aber können wir aus folgenden Erwä¬
gungen schöpfen. Jedermann weiß, daß, sowie ein Gegenstand des allgemeinen


Man denkt sich den Gang unseres auswärtigen Handels also etwa folgen¬
dermaßen. Die deutsche Nation verkauft im Jahre Waaren im Werthe von
— nehmen wir eine runde Summe — 2300 Millionen Mark ins Ausland,
und dafür empfängt sie ebendaher den gleichen Betrag in Gold und Silber,
gemünzt oder ungemünzt. Dagegen kauft sie vom Auslande Waaren im Werthe
von — ebenfalls in runder Summe — 3000 Millionen Mark und zahlt dafür
in Gold und Silber ebensoviel hinaus. Sie wird also, lautet der Schluß,
jährlich um 700 Millionen ärmer, denn die Waaren sind bald consumirt, das
Geld aber kommt nicht zurück.

Die Sache scheint so klar und einfach, daß die meisten von denen, die sich
überhaupt um dergleichen Dinge kümmern, sie ohne Weiteres als ausgemacht
annehmen. Schon seit Jahrhunderten wird das Wort: „Nur für ausgeführte
Waare» erhalten wir etwas, für die eingeführten müssen wir selber bezahlen",
immer und immer von neuem wiederholt. Bereits im 16. und 17. Jahrhundert
jammerte man in England, wo man gegenwärtig freilich nicht mehr in dieser
Furcht befangen ist, darüber, daß jahraus jahrein der Werth der Einfuhr größer
sei als derjenige der Ausfuhr, und verkündete den nahen Ruin des Landes als
unausbleibliche Folge. Man liebte damals in Parlamentsreden, in Abhand¬
lungen und Büchern zum Vergleiche einen Ausspruch des alten Cato zu citiren,
welcher besagte, daß ein guter Haushalter stets mehr einnehmen als ausgeben
müsse; gerade so, meinte man, sei es auch mit einem ganzen Volke. Nun ist
dies in der That eine Wahrheit, die sich nicht bestreikn läßt. Einzelne Personen
sowohl wie ganze Volker, die regelmäßig mehr ausgeben als sie einnehmen, werden
unfehlbar immer ärmer und gehen, wenn es lange genug dauert, mögen sie
noch so reich sein, am Ende so gewiß zu Grunde wie zweimal zwei vier ist.
Wenn es sich also wirklich so verhielte, wie man gewöhnlich und schon seit
Jahrhunderten glaubt, wenn in Wahrheit der Werth der ausgeführten Waaren
die Einnahmen, der der eingeführten hingegen die Ausgaben repräsentirte, so
stünde es in der That schlimm mit uns. Wir wären auf dem directen Wege
zum Armenhause.

Indessen liegt doch ein kleiner Trost nahe. Wir sehen, daß gerade die¬
jenigen unter unseren Nachbarn, die wir als die reichsten zu betrachten gewohnt
sind, Engländer, Holländer, Belgier, Franzosen, sich ganz in der nämlichen
fatalen Lage befinden. In England betrug der Mehrwerth der Einfuhr schon
im Jahre 1867 eine Milliarde und ist seitdem noch um ein Bedeutendes ge¬
wachsen. Wenn England bei diesem Zustande sich wohlbefindet und immer
reicher wird, so brauchen wir doch wohl für uns auch nicht das Aergste zu
befürchten. Einen weiteren Trostgrund aber können wir aus folgenden Erwä¬
gungen schöpfen. Jedermann weiß, daß, sowie ein Gegenstand des allgemeinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157679/6>, abgerufen am 18.05.2024.