Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Gefahren der Eisenbahn-Centralisation und ihre
Verhütung.

Durch die Beschlüsse des Hauses der Abgeordneten und des Herrenhauses
vom December 1879 ist, wie von allen Seiten zugegeben wird, der Uebergang
der gesammten Eisenbahnen der preußischen Monarchie in die Verwaltung des
Staates angebahnt worden. Daß das Eisenbahnwesen aus den Händen der
Privaten genommen und der unmittelbaren Einwirkung der Staatsgewalt unter¬
stellt werde, halten wir für eine mit Nothwendigkeit herannahende Stufe der
Entwicklung für das gesummte Eisenbahnwesen des europäischen Continentes.
Man beobachtet allerwärts, daß, sobald die Geld- und Unternehmergeschäste,
welche mit dein Neubau von Eisenbahnen verbunden find, gemacht worden sind
und die wirklichen Interessen des Betriebes und der Bewirthschaftung der vor¬
handenen Bahnlinien in den Vordergrund treten, das Bestreben bemerkbar wird,
sich zu größeren Komplexen oder Netzen zu erweitern oder sich zu solchen zu
vereinigen; es entstehen also Gruppen von Eisenbahnstrecken, welche eine oder
mehrere Hauptlinien und sodann eine Anzahl untergeordneter Linien enthalten;
die letzteren sind vielfach als Aufhänger des Verkehrs für die Hauptlinien von
besonderer Wichtigkeit. Eine solche Bahngruppe von einiger Größe bietet eine
gewisse Sicherheit gegen Schädigungen durch die Concurrenz von neuen oder
Nachbarlinien und gewährleistet also eine gewisse Stabilität des Ertrages. Im
weiteren Gange der Entwicklung werden die Gruppen oder Einzelnetze immer
größer, und ihre Anzahl wird kleiner. In der sogenannten Gründerzeit, in
welcher die Entwicklung eine beschleunigte war, hat sich dieses Drängen zu
Fusionirungen besonders lebhaft gezeigt, und es würde durch die darauffolgenden
Jahre des Niederganges noch intensiver geworden sein, da die "verkrachten" oder
'.nothleidenden" Bahnen ohne Zweifel von den benachbarten älteren Privatbahnen
um billigen Preis erworben worden wären, wenn der Staat nicht dem allge¬
meinen Entwicklungsgange vorausgeeilt wäre und die fraglichen Bahnen selbst
angekauft hätte. Inzwischen aber ist das Streben nach Vereinigung zu größeren


Grenzboten I> 1S80. 60
Die Gefahren der Eisenbahn-Centralisation und ihre
Verhütung.

Durch die Beschlüsse des Hauses der Abgeordneten und des Herrenhauses
vom December 1879 ist, wie von allen Seiten zugegeben wird, der Uebergang
der gesammten Eisenbahnen der preußischen Monarchie in die Verwaltung des
Staates angebahnt worden. Daß das Eisenbahnwesen aus den Händen der
Privaten genommen und der unmittelbaren Einwirkung der Staatsgewalt unter¬
stellt werde, halten wir für eine mit Nothwendigkeit herannahende Stufe der
Entwicklung für das gesummte Eisenbahnwesen des europäischen Continentes.
Man beobachtet allerwärts, daß, sobald die Geld- und Unternehmergeschäste,
welche mit dein Neubau von Eisenbahnen verbunden find, gemacht worden sind
und die wirklichen Interessen des Betriebes und der Bewirthschaftung der vor¬
handenen Bahnlinien in den Vordergrund treten, das Bestreben bemerkbar wird,
sich zu größeren Komplexen oder Netzen zu erweitern oder sich zu solchen zu
vereinigen; es entstehen also Gruppen von Eisenbahnstrecken, welche eine oder
mehrere Hauptlinien und sodann eine Anzahl untergeordneter Linien enthalten;
die letzteren sind vielfach als Aufhänger des Verkehrs für die Hauptlinien von
besonderer Wichtigkeit. Eine solche Bahngruppe von einiger Größe bietet eine
gewisse Sicherheit gegen Schädigungen durch die Concurrenz von neuen oder
Nachbarlinien und gewährleistet also eine gewisse Stabilität des Ertrages. Im
weiteren Gange der Entwicklung werden die Gruppen oder Einzelnetze immer
größer, und ihre Anzahl wird kleiner. In der sogenannten Gründerzeit, in
welcher die Entwicklung eine beschleunigte war, hat sich dieses Drängen zu
Fusionirungen besonders lebhaft gezeigt, und es würde durch die darauffolgenden
Jahre des Niederganges noch intensiver geworden sein, da die „verkrachten" oder
'.nothleidenden" Bahnen ohne Zweifel von den benachbarten älteren Privatbahnen
um billigen Preis erworben worden wären, wenn der Staat nicht dem allge¬
meinen Entwicklungsgange vorausgeeilt wäre und die fraglichen Bahnen selbst
angekauft hätte. Inzwischen aber ist das Streben nach Vereinigung zu größeren


Grenzboten I> 1S80. 60
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/146330"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Gefahren der Eisenbahn-Centralisation und ihre<lb/>
Verhütung.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1145" next="#ID_1146"> Durch die Beschlüsse des Hauses der Abgeordneten und des Herrenhauses<lb/>
vom December 1879 ist, wie von allen Seiten zugegeben wird, der Uebergang<lb/>
der gesammten Eisenbahnen der preußischen Monarchie in die Verwaltung des<lb/>
Staates angebahnt worden. Daß das Eisenbahnwesen aus den Händen der<lb/>
Privaten genommen und der unmittelbaren Einwirkung der Staatsgewalt unter¬<lb/>
stellt werde, halten wir für eine mit Nothwendigkeit herannahende Stufe der<lb/>
Entwicklung für das gesummte Eisenbahnwesen des europäischen Continentes.<lb/>
Man beobachtet allerwärts, daß, sobald die Geld- und Unternehmergeschäste,<lb/>
welche mit dein Neubau von Eisenbahnen verbunden find, gemacht worden sind<lb/>
und die wirklichen Interessen des Betriebes und der Bewirthschaftung der vor¬<lb/>
handenen Bahnlinien in den Vordergrund treten, das Bestreben bemerkbar wird,<lb/>
sich zu größeren Komplexen oder Netzen zu erweitern oder sich zu solchen zu<lb/>
vereinigen; es entstehen also Gruppen von Eisenbahnstrecken, welche eine oder<lb/>
mehrere Hauptlinien und sodann eine Anzahl untergeordneter Linien enthalten;<lb/>
die letzteren sind vielfach als Aufhänger des Verkehrs für die Hauptlinien von<lb/>
besonderer Wichtigkeit. Eine solche Bahngruppe von einiger Größe bietet eine<lb/>
gewisse Sicherheit gegen Schädigungen durch die Concurrenz von neuen oder<lb/>
Nachbarlinien und gewährleistet also eine gewisse Stabilität des Ertrages. Im<lb/>
weiteren Gange der Entwicklung werden die Gruppen oder Einzelnetze immer<lb/>
größer, und ihre Anzahl wird kleiner. In der sogenannten Gründerzeit, in<lb/>
welcher die Entwicklung eine beschleunigte war, hat sich dieses Drängen zu<lb/>
Fusionirungen besonders lebhaft gezeigt, und es würde durch die darauffolgenden<lb/>
Jahre des Niederganges noch intensiver geworden sein, da die &#x201E;verkrachten" oder<lb/>
'.nothleidenden" Bahnen ohne Zweifel von den benachbarten älteren Privatbahnen<lb/>
um billigen Preis erworben worden wären, wenn der Staat nicht dem allge¬<lb/>
meinen Entwicklungsgange vorausgeeilt wäre und die fraglichen Bahnen selbst<lb/>
angekauft hätte. Inzwischen aber ist das Streben nach Vereinigung zu größeren</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I&gt; 1S80. 60</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] Die Gefahren der Eisenbahn-Centralisation und ihre Verhütung. Durch die Beschlüsse des Hauses der Abgeordneten und des Herrenhauses vom December 1879 ist, wie von allen Seiten zugegeben wird, der Uebergang der gesammten Eisenbahnen der preußischen Monarchie in die Verwaltung des Staates angebahnt worden. Daß das Eisenbahnwesen aus den Händen der Privaten genommen und der unmittelbaren Einwirkung der Staatsgewalt unter¬ stellt werde, halten wir für eine mit Nothwendigkeit herannahende Stufe der Entwicklung für das gesummte Eisenbahnwesen des europäischen Continentes. Man beobachtet allerwärts, daß, sobald die Geld- und Unternehmergeschäste, welche mit dein Neubau von Eisenbahnen verbunden find, gemacht worden sind und die wirklichen Interessen des Betriebes und der Bewirthschaftung der vor¬ handenen Bahnlinien in den Vordergrund treten, das Bestreben bemerkbar wird, sich zu größeren Komplexen oder Netzen zu erweitern oder sich zu solchen zu vereinigen; es entstehen also Gruppen von Eisenbahnstrecken, welche eine oder mehrere Hauptlinien und sodann eine Anzahl untergeordneter Linien enthalten; die letzteren sind vielfach als Aufhänger des Verkehrs für die Hauptlinien von besonderer Wichtigkeit. Eine solche Bahngruppe von einiger Größe bietet eine gewisse Sicherheit gegen Schädigungen durch die Concurrenz von neuen oder Nachbarlinien und gewährleistet also eine gewisse Stabilität des Ertrages. Im weiteren Gange der Entwicklung werden die Gruppen oder Einzelnetze immer größer, und ihre Anzahl wird kleiner. In der sogenannten Gründerzeit, in welcher die Entwicklung eine beschleunigte war, hat sich dieses Drängen zu Fusionirungen besonders lebhaft gezeigt, und es würde durch die darauffolgenden Jahre des Niederganges noch intensiver geworden sein, da die „verkrachten" oder '.nothleidenden" Bahnen ohne Zweifel von den benachbarten älteren Privatbahnen um billigen Preis erworben worden wären, wenn der Staat nicht dem allge¬ meinen Entwicklungsgange vorausgeeilt wäre und die fraglichen Bahnen selbst angekauft hätte. Inzwischen aber ist das Streben nach Vereinigung zu größeren Grenzboten I> 1S80. 60

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/401>, abgerufen am 06.05.2024.