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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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gegen können sie die ärztliche Praxis und die Advokatur betreiben, in der Stadt
und deren Umgebung Häuser (jeder aber nur eins) sowie auf dem Lande ohne
Beschränkung Feldgüter erwerben, ferner sich als Handelsleute niederlassen,
wenn sie drei Jahre die Handlung ordentlich erlernt und vier Jahre in der
Stadt oder zwei Jahre auswärts als Kommis gedient haben, endlich unbe¬
schränkt Fabriken und Handwerke betreiben. Nur der Handel mit Brennholz,
Fourage, Getreide und Mehl war ihnen untersagt; auch durften jüdische Hand¬
werker keine Waaren, die sie nicht selbst gefertigt, und kein Rohmaterial verkaufen,
auch keine christlichen Gehülfen halten. Die Vertragsfähigkeit der Juden war
unbeschränkt, zur Schließung einer Ehe aber war Staatserlaubniß unumgäng¬
lich, und es sollten im Jahre durchschnittlich nur zwei Verheirathungen mit
fremden Juden oder Jüdinnen gestattet werden.

Die Entwicklung der Judengesetzgebung in Preußen werden wir im nächsten
Artikel im Zusammenhange mit der Emanzipation betrachten, die sich mit dem
Jahre 1848 in ganz Deutschland zu vollziehen begann. Für diesmal nur noch
folgende Bemerkungen.

Die eben dargestellten Beschränkungen des semitischen Elements in den
verschiedenen deutschen Staaten sind uach dem in unseren zweiten und dritten
Artikel Entwickelten und nach den Erfahrungen, die man mit diesem Elemente
noch in den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts fast allenthalben gemacht
hatte, mindestens sehr erklärlich, wogegen manche von den Befreiungen und
Begabungen der Juden, die unsere Uebersicht vorgeführt, schwer oder gar nicht
erklärlich erscheint. Indeß begriff man damals doch noch in den meisten Mini¬
sterien und Ständeversammlungen, daß große Behutsamkeit geboten war, prakti¬
scher Sinn und gesunder Egoismus hatten noch die Oberhand über doetrinäre
"Humanität" und empfindsam angekränkelten Kosmopolitismus, und man wußte
noch, daß uicht blos das Interesse der eingewanderten Fremden, sondern auch
das der Landeskinder, der eingeborenen Bevölkerung, der Nation in Rechnung
zu ziehen, zu schützen und zu fördern war, und zwar letzteres selbstverständlich
in erster Linie.




Die pacificbahnen und der interoceanische (Lanal.

Im Mai d. I. werde,: es elf Jahre, daß die Vollendung der "Union- und
Central-Pacific-Eisenbahn" in den Vereinigten Staaten von Nordamerika mit
ungetheiltem Enthusiasmus gefeiert wurde. Der Bau dieser ersten Eisenbahn¬
linie nach dem Stillen Meere wurde, als sie zuerst in Vorschlag gebracht war,


gegen können sie die ärztliche Praxis und die Advokatur betreiben, in der Stadt
und deren Umgebung Häuser (jeder aber nur eins) sowie auf dem Lande ohne
Beschränkung Feldgüter erwerben, ferner sich als Handelsleute niederlassen,
wenn sie drei Jahre die Handlung ordentlich erlernt und vier Jahre in der
Stadt oder zwei Jahre auswärts als Kommis gedient haben, endlich unbe¬
schränkt Fabriken und Handwerke betreiben. Nur der Handel mit Brennholz,
Fourage, Getreide und Mehl war ihnen untersagt; auch durften jüdische Hand¬
werker keine Waaren, die sie nicht selbst gefertigt, und kein Rohmaterial verkaufen,
auch keine christlichen Gehülfen halten. Die Vertragsfähigkeit der Juden war
unbeschränkt, zur Schließung einer Ehe aber war Staatserlaubniß unumgäng¬
lich, und es sollten im Jahre durchschnittlich nur zwei Verheirathungen mit
fremden Juden oder Jüdinnen gestattet werden.

Die Entwicklung der Judengesetzgebung in Preußen werden wir im nächsten
Artikel im Zusammenhange mit der Emanzipation betrachten, die sich mit dem
Jahre 1848 in ganz Deutschland zu vollziehen begann. Für diesmal nur noch
folgende Bemerkungen.

Die eben dargestellten Beschränkungen des semitischen Elements in den
verschiedenen deutschen Staaten sind uach dem in unseren zweiten und dritten
Artikel Entwickelten und nach den Erfahrungen, die man mit diesem Elemente
noch in den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts fast allenthalben gemacht
hatte, mindestens sehr erklärlich, wogegen manche von den Befreiungen und
Begabungen der Juden, die unsere Uebersicht vorgeführt, schwer oder gar nicht
erklärlich erscheint. Indeß begriff man damals doch noch in den meisten Mini¬
sterien und Ständeversammlungen, daß große Behutsamkeit geboten war, prakti¬
scher Sinn und gesunder Egoismus hatten noch die Oberhand über doetrinäre
„Humanität" und empfindsam angekränkelten Kosmopolitismus, und man wußte
noch, daß uicht blos das Interesse der eingewanderten Fremden, sondern auch
das der Landeskinder, der eingeborenen Bevölkerung, der Nation in Rechnung
zu ziehen, zu schützen und zu fördern war, und zwar letzteres selbstverständlich
in erster Linie.




Die pacificbahnen und der interoceanische (Lanal.

Im Mai d. I. werde,: es elf Jahre, daß die Vollendung der „Union- und
Central-Pacific-Eisenbahn" in den Vereinigten Staaten von Nordamerika mit
ungetheiltem Enthusiasmus gefeiert wurde. Der Bau dieser ersten Eisenbahn¬
linie nach dem Stillen Meere wurde, als sie zuerst in Vorschlag gebracht war,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/565>, abgerufen am 06.05.2024.