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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal.

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innern die gedrückten Formate, denen man das Herausgerechnete etwas ansieht, und
die sich zu keinen? recht entschiedenen und vornehmen Folio entfalten zu können
scheinen, noch an das frühere Gesicht. Und nun vergleiche man damit die
deutschen Classikerausgaben des Hempelschen Verlags in Berlin, sachlich un¬
zweifelhaft das Beste, was geboten werden kann -- aber welch eine beschämende
Ausstattung! -- Wer steht uns näher? Mendelssohn oder Schiller? Chopin
oder Goethe? Wer zehn Mark hingiebt für eine Gesammtausgabe von Chopins
Clavierwerken -- und für diesen relativ ja wahrhaft lächerlichen Preis sind
die drei starken Bände der Petersschen Ausgabe zu haben -- sollte der nicht
vierzig oder fünfzig Mark für eine anständig gedruckte Goethe-Ausgabe übrig
haben? keine "illustrirte" -- damit verschone man uns! --, sondern eine mit
feinem typographischen Geschmack hergestellte correcte Textausgabe, die man
wirklich mit Freuden in die Hand nehmen kann? Ist kein deutscher Verlags-
buchhündler da, der den Muth hätte, uus solch eine Ausgabe zu bescheren?




Der Ministerrvechsel in Frankreich.

Vielleicht zufällig, sicher aber auffällig ist es, wie Frankreichs politische Ent¬
wicklung in den letzten Jahren fast immer einen andern und meist den entgegen¬
gesetzten Weg gegangen ist wie die Entwicklung Deutschlands und Oesterreichs
in Dingen der Politik. Während in Preußen und andern Theilen des Reiches
der Culturkampf den höchsten Grad der Erbitterung erreichte, herrschte jenseits
der Vogesen der tiefste Friede zwischen Staat und Kirche, und jener räumte
dieser in verschiedenen Beziehungen gutwillig das Feld. Als dagegen Deutsch¬
land sich mit dem neuen Papst auseinanderzusetzen begann und ein Vergleich
kein Ding der Unmöglichkeit mehr zu sein schien, trat man französischerseits
sofort entschieden gegen die ultramontane Anmaßung auf; die Ferryschen Gesetze
wurden gegen dieselbe vorgeschlagen, und die Regierung machte wiederholt über¬
eifriger Bischöfen den Standpunkt klar. Als bei uns die Freihandelsideen einen
Theil ihrer Eroberungen aufgeben mußten, fanden sie bei französischen Mini¬
stern wenigstens platonische Gönnerschaft. Als die öffentliche Meinung im Ein¬
klang mit unserm leitenden Staatsmann auch in anderer Hinsicht ans den Wegen
des Liberalismus Halt machte und in conservative Bahnen einlenkte, und als
in Oesterreich ähnliches sich vorbereitete und theilweise vollzog, sah man Frank-


innern die gedrückten Formate, denen man das Herausgerechnete etwas ansieht, und
die sich zu keinen? recht entschiedenen und vornehmen Folio entfalten zu können
scheinen, noch an das frühere Gesicht. Und nun vergleiche man damit die
deutschen Classikerausgaben des Hempelschen Verlags in Berlin, sachlich un¬
zweifelhaft das Beste, was geboten werden kann — aber welch eine beschämende
Ausstattung! — Wer steht uns näher? Mendelssohn oder Schiller? Chopin
oder Goethe? Wer zehn Mark hingiebt für eine Gesammtausgabe von Chopins
Clavierwerken — und für diesen relativ ja wahrhaft lächerlichen Preis sind
die drei starken Bände der Petersschen Ausgabe zu haben — sollte der nicht
vierzig oder fünfzig Mark für eine anständig gedruckte Goethe-Ausgabe übrig
haben? keine „illustrirte" — damit verschone man uns! —, sondern eine mit
feinem typographischen Geschmack hergestellte correcte Textausgabe, die man
wirklich mit Freuden in die Hand nehmen kann? Ist kein deutscher Verlags-
buchhündler da, der den Muth hätte, uus solch eine Ausgabe zu bescheren?




Der Ministerrvechsel in Frankreich.

Vielleicht zufällig, sicher aber auffällig ist es, wie Frankreichs politische Ent¬
wicklung in den letzten Jahren fast immer einen andern und meist den entgegen¬
gesetzten Weg gegangen ist wie die Entwicklung Deutschlands und Oesterreichs
in Dingen der Politik. Während in Preußen und andern Theilen des Reiches
der Culturkampf den höchsten Grad der Erbitterung erreichte, herrschte jenseits
der Vogesen der tiefste Friede zwischen Staat und Kirche, und jener räumte
dieser in verschiedenen Beziehungen gutwillig das Feld. Als dagegen Deutsch¬
land sich mit dem neuen Papst auseinanderzusetzen begann und ein Vergleich
kein Ding der Unmöglichkeit mehr zu sein schien, trat man französischerseits
sofort entschieden gegen die ultramontane Anmaßung auf; die Ferryschen Gesetze
wurden gegen dieselbe vorgeschlagen, und die Regierung machte wiederholt über¬
eifriger Bischöfen den Standpunkt klar. Als bei uns die Freihandelsideen einen
Theil ihrer Eroberungen aufgeben mußten, fanden sie bei französischen Mini¬
stern wenigstens platonische Gönnerschaft. Als die öffentliche Meinung im Ein¬
klang mit unserm leitenden Staatsmann auch in anderer Hinsicht ans den Wegen
des Liberalismus Halt machte und in conservative Bahnen einlenkte, und als
in Oesterreich ähnliches sich vorbereitete und theilweise vollzog, sah man Frank-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157681/88>, abgerufen am 06.05.2024.