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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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der menschlichen Seele verbannen mußte. -- "Aber wo bleiben die Gartenphilo¬
sophen?" wird der Leser fragen. Wir stehen an ihrer Pforte.


2. Meister und Schüler.

Ein ausgedehnter Garten in Athen, rings um eine kleine Villa sich verbrei¬
tend, in üppigem Grün prangend, sinnig einfach geordnet und lanschig abge¬
schlossen -- es ist der einzige und erste Garten in der Stadt: er gehört Epikur.
Edle Männer und Frauen treten durch die Pforte ein, über welcher die In¬
schrift steht:


Fremdling, hier wirds wohl dir sein;
Hier ist das höchste Gut die Lust.

Sie wandeln in lebhaftem Gespräche auf und ab.

"Habt ihr von der neuesten Maßregel des Tyrannen gehört?" sagte Me-
trodor, der Lampsakener. --- "Nun?" lautete die fragende Antwort. -- "Er hat
aus dem Peiräeus alle Leute von zwanzig bis zu fünfzig Jahren durch seine
Schergen auf seine Riesenfahrzeuge schleppen lassen, um sie als Ruderknechte
einzustellen." -- Der "Tyrann" war jener weichliche und grausame König Deme-
trios, der damals, um die Mittel für eine" Eroberungszug nach Asien aufzu¬
bringen, seine Unterthanen mit den raffinirtesten Drangsalen heimsuchte. -- "Da
habt ihrs; wenn das Volk sich alles gefallen läßt, muß es ja so kommen," ent¬
gegnen Timokrates, Metrodors Bruder. -- "Und wir, denke ich, die wir bis jetzt
uns vom Staate fern gehalten, haben offenbar nicht recht gethan, mit diesem
schlechten Beispiel der großen Masse des Volkes voranzugehen, in dessen Adern
doch noch ein paar Tropfen von dem Blute der Helden von Marathon rinnen."

"Fragen wir den Meister," rief da Leontion, die Gattin Metrodors, als
in demselben Augenblick Epikur aus der Villa trat. Seine hochgewölbte, reich¬
lich durchfurchte, von spärlichem Haar umspielte Stirn, seine edlen Gesichtszüge,
seine sanft geschwellten, zum milden Lächeln halb geöffneten Lippen -- alles
das von dem Glänze eines hellen, heiteren Auges umstrahlt und regiert, ver¬
rieth den ausgesprochenen Denker wie den guten Menschen mit der harmonischen
Seele; die Würde des Mannes betonte ein grauer Bart, der bis zur Brust
herabhing, und über die ganze Erscheinung des in ein blendend weißes Ge¬
wand gehüllten Philosophen war ein Zauber ausgegossen, welcher die fast gött¬
liche Verehrung begreifen ließ, mit der ihm seine Jünger und Jüngerinnen an¬
hingen. Alle umringten ihn, um ihm die Rechte oder die Brust oder die Kniee
zu küssen. Als die Begrüßung vorüber war, brachte Leontion ihr von Timo¬
krates beregtes Anliegen vor. Allen" der Meister antwortete: "Zuerst die
Pflicht! Ueber dein politisches Thema will ich gern nachher beim Mahle reden.
Jetzt aber, wißt ihr, gilt es, uns noch einmal das ganze Gebiet des wichtigsten


der menschlichen Seele verbannen mußte. — „Aber wo bleiben die Gartenphilo¬
sophen?" wird der Leser fragen. Wir stehen an ihrer Pforte.


2. Meister und Schüler.

Ein ausgedehnter Garten in Athen, rings um eine kleine Villa sich verbrei¬
tend, in üppigem Grün prangend, sinnig einfach geordnet und lanschig abge¬
schlossen — es ist der einzige und erste Garten in der Stadt: er gehört Epikur.
Edle Männer und Frauen treten durch die Pforte ein, über welcher die In¬
schrift steht:


Fremdling, hier wirds wohl dir sein;
Hier ist das höchste Gut die Lust.

Sie wandeln in lebhaftem Gespräche auf und ab.

„Habt ihr von der neuesten Maßregel des Tyrannen gehört?" sagte Me-
trodor, der Lampsakener. —- „Nun?" lautete die fragende Antwort. — „Er hat
aus dem Peiräeus alle Leute von zwanzig bis zu fünfzig Jahren durch seine
Schergen auf seine Riesenfahrzeuge schleppen lassen, um sie als Ruderknechte
einzustellen." — Der „Tyrann" war jener weichliche und grausame König Deme-
trios, der damals, um die Mittel für eine» Eroberungszug nach Asien aufzu¬
bringen, seine Unterthanen mit den raffinirtesten Drangsalen heimsuchte. — „Da
habt ihrs; wenn das Volk sich alles gefallen läßt, muß es ja so kommen," ent¬
gegnen Timokrates, Metrodors Bruder. — „Und wir, denke ich, die wir bis jetzt
uns vom Staate fern gehalten, haben offenbar nicht recht gethan, mit diesem
schlechten Beispiel der großen Masse des Volkes voranzugehen, in dessen Adern
doch noch ein paar Tropfen von dem Blute der Helden von Marathon rinnen."

„Fragen wir den Meister," rief da Leontion, die Gattin Metrodors, als
in demselben Augenblick Epikur aus der Villa trat. Seine hochgewölbte, reich¬
lich durchfurchte, von spärlichem Haar umspielte Stirn, seine edlen Gesichtszüge,
seine sanft geschwellten, zum milden Lächeln halb geöffneten Lippen — alles
das von dem Glänze eines hellen, heiteren Auges umstrahlt und regiert, ver¬
rieth den ausgesprochenen Denker wie den guten Menschen mit der harmonischen
Seele; die Würde des Mannes betonte ein grauer Bart, der bis zur Brust
herabhing, und über die ganze Erscheinung des in ein blendend weißes Ge¬
wand gehüllten Philosophen war ein Zauber ausgegossen, welcher die fast gött¬
liche Verehrung begreifen ließ, mit der ihm seine Jünger und Jüngerinnen an¬
hingen. Alle umringten ihn, um ihm die Rechte oder die Brust oder die Kniee
zu küssen. Als die Begrüßung vorüber war, brachte Leontion ihr von Timo¬
krates beregtes Anliegen vor. Allen» der Meister antwortete: „Zuerst die
Pflicht! Ueber dein politisches Thema will ich gern nachher beim Mahle reden.
Jetzt aber, wißt ihr, gilt es, uns noch einmal das ganze Gebiet des wichtigsten


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[0021] der menschlichen Seele verbannen mußte. — „Aber wo bleiben die Gartenphilo¬ sophen?" wird der Leser fragen. Wir stehen an ihrer Pforte. 2. Meister und Schüler. Ein ausgedehnter Garten in Athen, rings um eine kleine Villa sich verbrei¬ tend, in üppigem Grün prangend, sinnig einfach geordnet und lanschig abge¬ schlossen — es ist der einzige und erste Garten in der Stadt: er gehört Epikur. Edle Männer und Frauen treten durch die Pforte ein, über welcher die In¬ schrift steht: Fremdling, hier wirds wohl dir sein; Hier ist das höchste Gut die Lust. Sie wandeln in lebhaftem Gespräche auf und ab. „Habt ihr von der neuesten Maßregel des Tyrannen gehört?" sagte Me- trodor, der Lampsakener. —- „Nun?" lautete die fragende Antwort. — „Er hat aus dem Peiräeus alle Leute von zwanzig bis zu fünfzig Jahren durch seine Schergen auf seine Riesenfahrzeuge schleppen lassen, um sie als Ruderknechte einzustellen." — Der „Tyrann" war jener weichliche und grausame König Deme- trios, der damals, um die Mittel für eine» Eroberungszug nach Asien aufzu¬ bringen, seine Unterthanen mit den raffinirtesten Drangsalen heimsuchte. — „Da habt ihrs; wenn das Volk sich alles gefallen läßt, muß es ja so kommen," ent¬ gegnen Timokrates, Metrodors Bruder. — „Und wir, denke ich, die wir bis jetzt uns vom Staate fern gehalten, haben offenbar nicht recht gethan, mit diesem schlechten Beispiel der großen Masse des Volkes voranzugehen, in dessen Adern doch noch ein paar Tropfen von dem Blute der Helden von Marathon rinnen." „Fragen wir den Meister," rief da Leontion, die Gattin Metrodors, als in demselben Augenblick Epikur aus der Villa trat. Seine hochgewölbte, reich¬ lich durchfurchte, von spärlichem Haar umspielte Stirn, seine edlen Gesichtszüge, seine sanft geschwellten, zum milden Lächeln halb geöffneten Lippen — alles das von dem Glänze eines hellen, heiteren Auges umstrahlt und regiert, ver¬ rieth den ausgesprochenen Denker wie den guten Menschen mit der harmonischen Seele; die Würde des Mannes betonte ein grauer Bart, der bis zur Brust herabhing, und über die ganze Erscheinung des in ein blendend weißes Ge¬ wand gehüllten Philosophen war ein Zauber ausgegossen, welcher die fast gött¬ liche Verehrung begreifen ließ, mit der ihm seine Jünger und Jüngerinnen an¬ hingen. Alle umringten ihn, um ihm die Rechte oder die Brust oder die Kniee zu küssen. Als die Begrüßung vorüber war, brachte Leontion ihr von Timo¬ krates beregtes Anliegen vor. Allen» der Meister antwortete: „Zuerst die Pflicht! Ueber dein politisches Thema will ich gern nachher beim Mahle reden. Jetzt aber, wißt ihr, gilt es, uns noch einmal das ganze Gebiet des wichtigsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/21>, abgerufen am 30.04.2024.