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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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von Girischk entfernt, sah im April 1879 einen Trupp der Alizais einen Zug
englischer Trainsoldaten überfallen und die Vorräthe, die diese ihrer Armee
uachsührteu, erbeuten. Chuschk i Nachud ist in den Angen der Afghanen der
Schlüssel von Kandahar; denn obwohl es eben keine starke Position ist, war es
doch zweimal das letzte Hinderniß für Feldherren, die von Herat her gegen
jene Stadt heranrückten, für Nadir Schah und für Kochundil Chan. Die Eng¬
länder legten 1842 Befestigungen hier an, da sie den Ort, für günstig gelegen
zur Vertheidigung der großen Metropole des Südens hielten, und hier wurde
1879 General Biddulph auf dem Rückzüge von Girischk von 2000 Alizai Du¬
ranis angegriffen, Leuten eines der tapfersten und bösartigsten Stämme des be¬
rüchtigten Bezirks von Zamindawar. Der Feind focht hier mit verzweifeltem
Ungestüm, aber obwohl er sich zu den Truppen Biddulphs wie zehn zu eins
verhielt, wurde er doch zersprengt und von dem 3. Seind-Cavallerie-Regiment
bis zum Anbruche der Nacht verfolgt.

Ueber das Treffen vom 26. Juli waren Anfangs sehr ungünstige Nach¬
richten verbreitet. Die kleine Armee des Generals Burrvws sollte bis auf
wenige Flüchtlinge vernichtet worden sein, und sein in Kandahar eommcmdi-
render Vorgesetzter, General Primrose, sich aus der Stadt in die Citadelle zurück¬
gezogen haben. Die später, bis zum 3. August uach England gelangten Berichte
lauteten weniger unerfreulich. Dieselben stimmten dahin überein, daß die englische
Ccwallerie und reitende Artillerie von den Führern der Heratis durch eiuen
scheinbaren Rückzug in einen .Hinterhalt gelockt worden seien, und daß Ajub
dann eiuen allgemeinen Angriff unternommen habe, der nach tapferer Gegen¬
wehr der Engländer, die nur 2700 Maun stark gewesen, schließlich mit einem
Rückzüge der letzteren nach Kandahar geendigt habe, wobei sie große Verluste
an Leuten und Offizieren erlitten und zwei Geschütze eingebüßt hätten. Die
Trümmer der Burrowsschen Brigade sammelten sich, wie es weiter hieß, und
wieder ein anderes Telegramm versicherte uns sogar, daß "Burrows Streitmacht
in Kandahar angekommen sei, während Ajubs Truppen gelähmt und erschüttert
auf dem Schlachtfelde stehen geblieben seien."

Das letztere erscheint wenig glaublich. Natürlich ist es nicht unmöglich,
vielleicht wahrscheinlich, daß die Heratis in dem Augenblicke, wo die Vernichtung
der englischen Brigade unausbleiblich erschien, plötzlich Halt gemacht, die Ver¬
folgung aufgegeben und Kehrt gemacht haben, um an der Beute auf der Wahl¬
statt theilzunehmen, und daß in Folge dessen nicht bloß die Cavallerie, sondern
auch ein Theil der Infanterie der Engländer entkommen ist. Aber schwer wird
uns die Annahme, daß ein geordneter Rückzug stattgefunden habe, und daß die
dem Gemetzel entgangenen, welche Kandahar erreichten, als "Burrows' Streit¬
kraft" bezeichnet werden durften.


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von Girischk entfernt, sah im April 1879 einen Trupp der Alizais einen Zug
englischer Trainsoldaten überfallen und die Vorräthe, die diese ihrer Armee
uachsührteu, erbeuten. Chuschk i Nachud ist in den Angen der Afghanen der
Schlüssel von Kandahar; denn obwohl es eben keine starke Position ist, war es
doch zweimal das letzte Hinderniß für Feldherren, die von Herat her gegen
jene Stadt heranrückten, für Nadir Schah und für Kochundil Chan. Die Eng¬
länder legten 1842 Befestigungen hier an, da sie den Ort, für günstig gelegen
zur Vertheidigung der großen Metropole des Südens hielten, und hier wurde
1879 General Biddulph auf dem Rückzüge von Girischk von 2000 Alizai Du¬
ranis angegriffen, Leuten eines der tapfersten und bösartigsten Stämme des be¬
rüchtigten Bezirks von Zamindawar. Der Feind focht hier mit verzweifeltem
Ungestüm, aber obwohl er sich zu den Truppen Biddulphs wie zehn zu eins
verhielt, wurde er doch zersprengt und von dem 3. Seind-Cavallerie-Regiment
bis zum Anbruche der Nacht verfolgt.

Ueber das Treffen vom 26. Juli waren Anfangs sehr ungünstige Nach¬
richten verbreitet. Die kleine Armee des Generals Burrvws sollte bis auf
wenige Flüchtlinge vernichtet worden sein, und sein in Kandahar eommcmdi-
render Vorgesetzter, General Primrose, sich aus der Stadt in die Citadelle zurück¬
gezogen haben. Die später, bis zum 3. August uach England gelangten Berichte
lauteten weniger unerfreulich. Dieselben stimmten dahin überein, daß die englische
Ccwallerie und reitende Artillerie von den Führern der Heratis durch eiuen
scheinbaren Rückzug in einen .Hinterhalt gelockt worden seien, und daß Ajub
dann eiuen allgemeinen Angriff unternommen habe, der nach tapferer Gegen¬
wehr der Engländer, die nur 2700 Maun stark gewesen, schließlich mit einem
Rückzüge der letzteren nach Kandahar geendigt habe, wobei sie große Verluste
an Leuten und Offizieren erlitten und zwei Geschütze eingebüßt hätten. Die
Trümmer der Burrowsschen Brigade sammelten sich, wie es weiter hieß, und
wieder ein anderes Telegramm versicherte uns sogar, daß „Burrows Streitmacht
in Kandahar angekommen sei, während Ajubs Truppen gelähmt und erschüttert
auf dem Schlachtfelde stehen geblieben seien."

Das letztere erscheint wenig glaublich. Natürlich ist es nicht unmöglich,
vielleicht wahrscheinlich, daß die Heratis in dem Augenblicke, wo die Vernichtung
der englischen Brigade unausbleiblich erschien, plötzlich Halt gemacht, die Ver¬
folgung aufgegeben und Kehrt gemacht haben, um an der Beute auf der Wahl¬
statt theilzunehmen, und daß in Folge dessen nicht bloß die Cavallerie, sondern
auch ein Theil der Infanterie der Engländer entkommen ist. Aber schwer wird
uns die Annahme, daß ein geordneter Rückzug stattgefunden habe, und daß die
dem Gemetzel entgangenen, welche Kandahar erreichten, als „Burrows' Streit¬
kraft" bezeichnet werden durften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/265>, abgerufen am 30.04.2024.