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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Ein Wort zur Beruhigung in dem Orthographie-
Streite.

Als zu Beginn des Jahres 1876 auf den Ruf des Ministers Falk eine
Anzahl Germanisten, Schulmänner und Vertreter des Buchhandels und Druck-
gewerbes in Berlin zu eiuer Konferenz zusammentraten, um über eine Regelung
unserer so zerfahrenen Rechtschreibung zu beraten, da wurden sie von dem
ganzen Volke mit wahrer Begeisterung begrüßt. Man hoffte, daß nach der
Politischen Einigung Deutschlands nun auch auf diesem Gebiete die Einheit er¬
zielt werden würde, die von allen so dringend ersehnt wurde. Als aber vor
kurzer Zeit jene so sehr erwünschte Regelung in Bayern und Preußen, zunächst
nur für die Schulen erfolgte, was fand sie für eine Aufnahme? Auf allen
Seiten hörte man laute Stimmen des Tadels und der Unzufriedenheit. Die
Mißstimmung drückte sich vernehmlich im deutschen Reichstage aus, ja bis in
die hohen und höchsten Regionen verbreitete sie sich: ich erinnere nur an den
bekannten Erlaß des Reichskanzlers und an die Korrektur, welche ein amtliches
Schriftstück in dem Kabinett eines gekrönten Hauptes erfuhr. Während früher
überall der Ruf ertönte, der Zustand unserer Rechtschreibung sei unerträglich,
es könne so nicht länger fortgehen, es müsse eine Einheit geschaffen werden,
wird jetzt auf der Rednerbühne des Reichstags und in der Presse immer und
immer wieder gepredigt, unsere Orthographie sei ganz gut, es sei gar kein Be¬
dürfnis zur Änderung vorhanden, nur die Germanisten und Schulmeister hätten
die Orthographie-Frage künstlich erzeugt; ja ein Redner verstieg sich sogar zu
der eigentümlichen Behauptung, vor allem sei die Bequemlichkeit des Lehrer¬
standes an der ganzen Sache schuld, indem sich die Herren den orthographi¬
schen Unterricht möglichst erleichtern und abkürzen wollten.

Gegenüber dieser Strömung der öffentlichen Meinung, die allerdings zum
Teil auf politische Gründe zurückzuführen ist -- bekanntlich spricht man immer
nur von der Putttamerschen Orthographie, nicht von der Lutzischeu, obgleich
ver Minister Puttkamer an der ganzen Sache ziemlich unschuldig ist --,
gegenüber dieser Tagesstimmung scheint es wirklich an der Zeit zu sein darauf
hinzuweisen, daß diejenigen Kreise, welche bei der Frage am meisten interessiert
sind, ich meine die Schule und den Buchhandel, von der Nothwendigkeit
einer Regelung unserer Schreibweise nach wie vor durchdrungen sind, und daß
gerade sie zum allergrößten Teile die soviel geschmähte sogenannte neue Ortho¬
graphie freudig begrüßt haben.


Greiizbowl III, 1380. 47
Ein Wort zur Beruhigung in dem Orthographie-
Streite.

Als zu Beginn des Jahres 1876 auf den Ruf des Ministers Falk eine
Anzahl Germanisten, Schulmänner und Vertreter des Buchhandels und Druck-
gewerbes in Berlin zu eiuer Konferenz zusammentraten, um über eine Regelung
unserer so zerfahrenen Rechtschreibung zu beraten, da wurden sie von dem
ganzen Volke mit wahrer Begeisterung begrüßt. Man hoffte, daß nach der
Politischen Einigung Deutschlands nun auch auf diesem Gebiete die Einheit er¬
zielt werden würde, die von allen so dringend ersehnt wurde. Als aber vor
kurzer Zeit jene so sehr erwünschte Regelung in Bayern und Preußen, zunächst
nur für die Schulen erfolgte, was fand sie für eine Aufnahme? Auf allen
Seiten hörte man laute Stimmen des Tadels und der Unzufriedenheit. Die
Mißstimmung drückte sich vernehmlich im deutschen Reichstage aus, ja bis in
die hohen und höchsten Regionen verbreitete sie sich: ich erinnere nur an den
bekannten Erlaß des Reichskanzlers und an die Korrektur, welche ein amtliches
Schriftstück in dem Kabinett eines gekrönten Hauptes erfuhr. Während früher
überall der Ruf ertönte, der Zustand unserer Rechtschreibung sei unerträglich,
es könne so nicht länger fortgehen, es müsse eine Einheit geschaffen werden,
wird jetzt auf der Rednerbühne des Reichstags und in der Presse immer und
immer wieder gepredigt, unsere Orthographie sei ganz gut, es sei gar kein Be¬
dürfnis zur Änderung vorhanden, nur die Germanisten und Schulmeister hätten
die Orthographie-Frage künstlich erzeugt; ja ein Redner verstieg sich sogar zu
der eigentümlichen Behauptung, vor allem sei die Bequemlichkeit des Lehrer¬
standes an der ganzen Sache schuld, indem sich die Herren den orthographi¬
schen Unterricht möglichst erleichtern und abkürzen wollten.

Gegenüber dieser Strömung der öffentlichen Meinung, die allerdings zum
Teil auf politische Gründe zurückzuführen ist — bekanntlich spricht man immer
nur von der Putttamerschen Orthographie, nicht von der Lutzischeu, obgleich
ver Minister Puttkamer an der ganzen Sache ziemlich unschuldig ist —,
gegenüber dieser Tagesstimmung scheint es wirklich an der Zeit zu sein darauf
hinzuweisen, daß diejenigen Kreise, welche bei der Frage am meisten interessiert
sind, ich meine die Schule und den Buchhandel, von der Nothwendigkeit
einer Regelung unserer Schreibweise nach wie vor durchdrungen sind, und daß
gerade sie zum allergrößten Teile die soviel geschmähte sogenannte neue Ortho¬
graphie freudig begrüßt haben.


Greiizbowl III, 1380. 47
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[0366] Ein Wort zur Beruhigung in dem Orthographie- Streite. Als zu Beginn des Jahres 1876 auf den Ruf des Ministers Falk eine Anzahl Germanisten, Schulmänner und Vertreter des Buchhandels und Druck- gewerbes in Berlin zu eiuer Konferenz zusammentraten, um über eine Regelung unserer so zerfahrenen Rechtschreibung zu beraten, da wurden sie von dem ganzen Volke mit wahrer Begeisterung begrüßt. Man hoffte, daß nach der Politischen Einigung Deutschlands nun auch auf diesem Gebiete die Einheit er¬ zielt werden würde, die von allen so dringend ersehnt wurde. Als aber vor kurzer Zeit jene so sehr erwünschte Regelung in Bayern und Preußen, zunächst nur für die Schulen erfolgte, was fand sie für eine Aufnahme? Auf allen Seiten hörte man laute Stimmen des Tadels und der Unzufriedenheit. Die Mißstimmung drückte sich vernehmlich im deutschen Reichstage aus, ja bis in die hohen und höchsten Regionen verbreitete sie sich: ich erinnere nur an den bekannten Erlaß des Reichskanzlers und an die Korrektur, welche ein amtliches Schriftstück in dem Kabinett eines gekrönten Hauptes erfuhr. Während früher überall der Ruf ertönte, der Zustand unserer Rechtschreibung sei unerträglich, es könne so nicht länger fortgehen, es müsse eine Einheit geschaffen werden, wird jetzt auf der Rednerbühne des Reichstags und in der Presse immer und immer wieder gepredigt, unsere Orthographie sei ganz gut, es sei gar kein Be¬ dürfnis zur Änderung vorhanden, nur die Germanisten und Schulmeister hätten die Orthographie-Frage künstlich erzeugt; ja ein Redner verstieg sich sogar zu der eigentümlichen Behauptung, vor allem sei die Bequemlichkeit des Lehrer¬ standes an der ganzen Sache schuld, indem sich die Herren den orthographi¬ schen Unterricht möglichst erleichtern und abkürzen wollten. Gegenüber dieser Strömung der öffentlichen Meinung, die allerdings zum Teil auf politische Gründe zurückzuführen ist — bekanntlich spricht man immer nur von der Putttamerschen Orthographie, nicht von der Lutzischeu, obgleich ver Minister Puttkamer an der ganzen Sache ziemlich unschuldig ist —, gegenüber dieser Tagesstimmung scheint es wirklich an der Zeit zu sein darauf hinzuweisen, daß diejenigen Kreise, welche bei der Frage am meisten interessiert sind, ich meine die Schule und den Buchhandel, von der Nothwendigkeit einer Regelung unserer Schreibweise nach wie vor durchdrungen sind, und daß gerade sie zum allergrößten Teile die soviel geschmähte sogenannte neue Ortho¬ graphie freudig begrüßt haben. Greiizbowl III, 1380. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/366>, abgerufen am 30.04.2024.