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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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Sohn in seinem Alter." In der Bildung des Leichnams, der mit leicht zurück¬
gebogenen Haupte und "sanft gelösten" Gliedern, wie Springer sich treffend
ausdrückt, auf dem Schoße der Mutter ruht, offenbart sich eine unumschränkte
Herrschaft über die Welt der Erscheinung, in dem stillen Schmerzensausdruck
der Madonna eine Meisterschaft ergreifender Seelenschilderung, wie sie Michel
Angelo selbst kaum wieder erreicht hat. Da ist keine Spur von schwächlicher
Sentimentalität; in diesem Antlitz gelangt die ganze Tiefe des Mutterschmerzes
zum wahrsten Ausdruck, und in der seitwärts erhobenen und nach oben geöff¬
neten Linken liegt die stumme Klage ihres Innern ausgesprochen: Dahin, dahin!

Die hohe Schätzung, die das Werk von jeher genoß, beweisen die verschie¬
denen Nachbildungen, die es hervorrief, wie zu Rom in S. Andrea de Valla
und S. Maria dell' Anima, zu Florenz in S. Spirito, die beiden letzteren von
der Hand des Nanni die Baceio Bigio.

(Schluß folgt.)




Wasserwirtschaft.
V Lduard Braun. on
2. Die Natur als Hydrotechniker.

Als allvermvgenden Hydrotechniker zeigt sich die Natur, insofern sie das
Wasser bei seinem Kreislauf über die Erdoberfläche so regulirt, daß es auf die
einfachste, zweckmäßigste Weise seine beiden Aufgaben zu lösen im Stande ist:
der organischen Welt ihre Nahrungsmittel zu bereiten und dem Menschen
mechanische Arbeit zu leisten. Die Lösung beider Aufgaben ist in Wirklichkeit
immer eine gleichzeitige und ungetheilte; wir müssen hier natürlich die eine
nach der anderen behandeln.

1. Die Natur zwingt das Wasser, der organischen Welt ihre
Nahrungsmittel zu bereiten.

Von den Organismen der Erde sind nur die Pflanzen im Stande, direct
aus den anorganischen Stoffen des Erdbodens ihre Nahrung zu ziehen; alle
anderen Organismen vermögen nur bereits organisirte Stoffe zu assimiliren
und sind gezwungen, diese direct oder indirect aus den Pflanzen zu entnehmen.
Die der Pflanzenwelt zur Nahrung dienenden Stoffe bedürfen aber der voll¬
kommensten Auflösung in Wasser, damit sie von den unendlich feinen Gefäßen


Sohn in seinem Alter." In der Bildung des Leichnams, der mit leicht zurück¬
gebogenen Haupte und „sanft gelösten" Gliedern, wie Springer sich treffend
ausdrückt, auf dem Schoße der Mutter ruht, offenbart sich eine unumschränkte
Herrschaft über die Welt der Erscheinung, in dem stillen Schmerzensausdruck
der Madonna eine Meisterschaft ergreifender Seelenschilderung, wie sie Michel
Angelo selbst kaum wieder erreicht hat. Da ist keine Spur von schwächlicher
Sentimentalität; in diesem Antlitz gelangt die ganze Tiefe des Mutterschmerzes
zum wahrsten Ausdruck, und in der seitwärts erhobenen und nach oben geöff¬
neten Linken liegt die stumme Klage ihres Innern ausgesprochen: Dahin, dahin!

Die hohe Schätzung, die das Werk von jeher genoß, beweisen die verschie¬
denen Nachbildungen, die es hervorrief, wie zu Rom in S. Andrea de Valla
und S. Maria dell' Anima, zu Florenz in S. Spirito, die beiden letzteren von
der Hand des Nanni die Baceio Bigio.

(Schluß folgt.)




Wasserwirtschaft.
V Lduard Braun. on
2. Die Natur als Hydrotechniker.

Als allvermvgenden Hydrotechniker zeigt sich die Natur, insofern sie das
Wasser bei seinem Kreislauf über die Erdoberfläche so regulirt, daß es auf die
einfachste, zweckmäßigste Weise seine beiden Aufgaben zu lösen im Stande ist:
der organischen Welt ihre Nahrungsmittel zu bereiten und dem Menschen
mechanische Arbeit zu leisten. Die Lösung beider Aufgaben ist in Wirklichkeit
immer eine gleichzeitige und ungetheilte; wir müssen hier natürlich die eine
nach der anderen behandeln.

1. Die Natur zwingt das Wasser, der organischen Welt ihre
Nahrungsmittel zu bereiten.

Von den Organismen der Erde sind nur die Pflanzen im Stande, direct
aus den anorganischen Stoffen des Erdbodens ihre Nahrung zu ziehen; alle
anderen Organismen vermögen nur bereits organisirte Stoffe zu assimiliren
und sind gezwungen, diese direct oder indirect aus den Pflanzen zu entnehmen.
Die der Pflanzenwelt zur Nahrung dienenden Stoffe bedürfen aber der voll¬
kommensten Auflösung in Wasser, damit sie von den unendlich feinen Gefäßen


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[0042] Sohn in seinem Alter." In der Bildung des Leichnams, der mit leicht zurück¬ gebogenen Haupte und „sanft gelösten" Gliedern, wie Springer sich treffend ausdrückt, auf dem Schoße der Mutter ruht, offenbart sich eine unumschränkte Herrschaft über die Welt der Erscheinung, in dem stillen Schmerzensausdruck der Madonna eine Meisterschaft ergreifender Seelenschilderung, wie sie Michel Angelo selbst kaum wieder erreicht hat. Da ist keine Spur von schwächlicher Sentimentalität; in diesem Antlitz gelangt die ganze Tiefe des Mutterschmerzes zum wahrsten Ausdruck, und in der seitwärts erhobenen und nach oben geöff¬ neten Linken liegt die stumme Klage ihres Innern ausgesprochen: Dahin, dahin! Die hohe Schätzung, die das Werk von jeher genoß, beweisen die verschie¬ denen Nachbildungen, die es hervorrief, wie zu Rom in S. Andrea de Valla und S. Maria dell' Anima, zu Florenz in S. Spirito, die beiden letzteren von der Hand des Nanni die Baceio Bigio. (Schluß folgt.) Wasserwirtschaft. V Lduard Braun. on 2. Die Natur als Hydrotechniker. Als allvermvgenden Hydrotechniker zeigt sich die Natur, insofern sie das Wasser bei seinem Kreislauf über die Erdoberfläche so regulirt, daß es auf die einfachste, zweckmäßigste Weise seine beiden Aufgaben zu lösen im Stande ist: der organischen Welt ihre Nahrungsmittel zu bereiten und dem Menschen mechanische Arbeit zu leisten. Die Lösung beider Aufgaben ist in Wirklichkeit immer eine gleichzeitige und ungetheilte; wir müssen hier natürlich die eine nach der anderen behandeln. 1. Die Natur zwingt das Wasser, der organischen Welt ihre Nahrungsmittel zu bereiten. Von den Organismen der Erde sind nur die Pflanzen im Stande, direct aus den anorganischen Stoffen des Erdbodens ihre Nahrung zu ziehen; alle anderen Organismen vermögen nur bereits organisirte Stoffe zu assimiliren und sind gezwungen, diese direct oder indirect aus den Pflanzen zu entnehmen. Die der Pflanzenwelt zur Nahrung dienenden Stoffe bedürfen aber der voll¬ kommensten Auflösung in Wasser, damit sie von den unendlich feinen Gefäßen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/42>, abgerufen am 30.04.2024.