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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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berechtigte Forderungen anerkennt, entgegen der sogenannten öffentlichen Meinung,
daß der Arbeiter solcher Fürsorge nicht bedürfe, weil er mit seiner Arbeitskraft
wie mit einem Capitale frei und ungehindert wirthschaften könne? Erkennen
die Herrn Körner, Finn und Genossen nicht, daß grade die Staatsregierung es
ist, welche klar und bestimmt ausgesprochen hat, daß der Staat, ohne die Grenzen
seiner Aufgabe und seiner Fähigkeit zu überschreiten, nicht nur das Recht, son¬
dern auch die Pflicht hat, die Erzeugung und Vertheilung der Güter zu regeln,
und daß er in Ausübung dieser Pflicht gehindert und gestört wird, wenn man
ihn lediglich zum Schutz- und Sicherheit-Wächter degradiren und ausnutzen
möchte? Erkennen die Herren Socialdemokraten nicht, daß das gewaltige Kraft¬
moment der "freien Concurrenz" es ist, dem wir jene hohe Culturentwicklung
verdanken, die unser berechtigter Stolz ist, und daß wir dieses Kraftmoment anch
heute noch bedürfen, daß es also nicht darauf ankommt, dasselbe zu eliminiren,
sondern nur, daß es höchste Zeit ist, die freie Concurrenz des Preises über¬
zuführen in die freie Concurrenz der Güte und Solidität, wenn wir nicht
wollen, daß die freie Concurrenz ein Saturn werde, der seine eigenen Kinder
verschlingt?

Durch Schaffung von Innungen als Prvduetiv-Genossenschaften ist diese
Wandlung des Wesens der Concurrenz zu ermöglichen auf genierblichem Ge¬
biete. Durch Schaffung von Gilden ist sie zu ermöglichen auf deu Gebieten
der Landwirthschaft und des Handels. Durch Schaffung von Knapp¬
schaften ist sie zu ermöglichen auf dem Gebiete der Staats-Industrie.

Fort also mit allem Schimpfen, Nörgeln, Agitiren und Raisonniren. That¬
kräftig wirken und schaffen sei die Parole. Das erste muß ein gründliches
Studium des bereits vorhandenen Schatzes an socialen Refvrmgedanken sein,
denn die Literatur auf diesem Gebiete ist groß und vielseitig. Daun aber ener¬
gisches und hingebendes Streben nach einem einzigen als zunächst erreichbaren
Ziele. Die erste Prvductiv-Genossenschaft mit Großbetrieb ohne
capitalistische Grundlage, deren Schaffung unter Beihilfe der Staats¬
regierung gelingt, wird mit einem Schlage alle Zweifel und alles Mißtrauen
in die Aufrichtigkeit der Reformbestrebungen der kleinen socialdemokratischen
Gruppe zu Boden schlagen.


E. B.


politische Briefe.
^7. Herr von Bennigsen,

Der Austritt von achtundzwanzig Mitgliedern der nationalliberalen Partei
wäre an sich ein unbedeutender Vorgang. Die Herren wollen eine große Partei


berechtigte Forderungen anerkennt, entgegen der sogenannten öffentlichen Meinung,
daß der Arbeiter solcher Fürsorge nicht bedürfe, weil er mit seiner Arbeitskraft
wie mit einem Capitale frei und ungehindert wirthschaften könne? Erkennen
die Herrn Körner, Finn und Genossen nicht, daß grade die Staatsregierung es
ist, welche klar und bestimmt ausgesprochen hat, daß der Staat, ohne die Grenzen
seiner Aufgabe und seiner Fähigkeit zu überschreiten, nicht nur das Recht, son¬
dern auch die Pflicht hat, die Erzeugung und Vertheilung der Güter zu regeln,
und daß er in Ausübung dieser Pflicht gehindert und gestört wird, wenn man
ihn lediglich zum Schutz- und Sicherheit-Wächter degradiren und ausnutzen
möchte? Erkennen die Herren Socialdemokraten nicht, daß das gewaltige Kraft¬
moment der „freien Concurrenz" es ist, dem wir jene hohe Culturentwicklung
verdanken, die unser berechtigter Stolz ist, und daß wir dieses Kraftmoment anch
heute noch bedürfen, daß es also nicht darauf ankommt, dasselbe zu eliminiren,
sondern nur, daß es höchste Zeit ist, die freie Concurrenz des Preises über¬
zuführen in die freie Concurrenz der Güte und Solidität, wenn wir nicht
wollen, daß die freie Concurrenz ein Saturn werde, der seine eigenen Kinder
verschlingt?

Durch Schaffung von Innungen als Prvduetiv-Genossenschaften ist diese
Wandlung des Wesens der Concurrenz zu ermöglichen auf genierblichem Ge¬
biete. Durch Schaffung von Gilden ist sie zu ermöglichen auf deu Gebieten
der Landwirthschaft und des Handels. Durch Schaffung von Knapp¬
schaften ist sie zu ermöglichen auf dem Gebiete der Staats-Industrie.

Fort also mit allem Schimpfen, Nörgeln, Agitiren und Raisonniren. That¬
kräftig wirken und schaffen sei die Parole. Das erste muß ein gründliches
Studium des bereits vorhandenen Schatzes an socialen Refvrmgedanken sein,
denn die Literatur auf diesem Gebiete ist groß und vielseitig. Daun aber ener¬
gisches und hingebendes Streben nach einem einzigen als zunächst erreichbaren
Ziele. Die erste Prvductiv-Genossenschaft mit Großbetrieb ohne
capitalistische Grundlage, deren Schaffung unter Beihilfe der Staats¬
regierung gelingt, wird mit einem Schlage alle Zweifel und alles Mißtrauen
in die Aufrichtigkeit der Reformbestrebungen der kleinen socialdemokratischen
Gruppe zu Boden schlagen.


E. B.


politische Briefe.
^7. Herr von Bennigsen,

Der Austritt von achtundzwanzig Mitgliedern der nationalliberalen Partei
wäre an sich ein unbedeutender Vorgang. Die Herren wollen eine große Partei


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[0549] berechtigte Forderungen anerkennt, entgegen der sogenannten öffentlichen Meinung, daß der Arbeiter solcher Fürsorge nicht bedürfe, weil er mit seiner Arbeitskraft wie mit einem Capitale frei und ungehindert wirthschaften könne? Erkennen die Herrn Körner, Finn und Genossen nicht, daß grade die Staatsregierung es ist, welche klar und bestimmt ausgesprochen hat, daß der Staat, ohne die Grenzen seiner Aufgabe und seiner Fähigkeit zu überschreiten, nicht nur das Recht, son¬ dern auch die Pflicht hat, die Erzeugung und Vertheilung der Güter zu regeln, und daß er in Ausübung dieser Pflicht gehindert und gestört wird, wenn man ihn lediglich zum Schutz- und Sicherheit-Wächter degradiren und ausnutzen möchte? Erkennen die Herren Socialdemokraten nicht, daß das gewaltige Kraft¬ moment der „freien Concurrenz" es ist, dem wir jene hohe Culturentwicklung verdanken, die unser berechtigter Stolz ist, und daß wir dieses Kraftmoment anch heute noch bedürfen, daß es also nicht darauf ankommt, dasselbe zu eliminiren, sondern nur, daß es höchste Zeit ist, die freie Concurrenz des Preises über¬ zuführen in die freie Concurrenz der Güte und Solidität, wenn wir nicht wollen, daß die freie Concurrenz ein Saturn werde, der seine eigenen Kinder verschlingt? Durch Schaffung von Innungen als Prvduetiv-Genossenschaften ist diese Wandlung des Wesens der Concurrenz zu ermöglichen auf genierblichem Ge¬ biete. Durch Schaffung von Gilden ist sie zu ermöglichen auf deu Gebieten der Landwirthschaft und des Handels. Durch Schaffung von Knapp¬ schaften ist sie zu ermöglichen auf dem Gebiete der Staats-Industrie. Fort also mit allem Schimpfen, Nörgeln, Agitiren und Raisonniren. That¬ kräftig wirken und schaffen sei die Parole. Das erste muß ein gründliches Studium des bereits vorhandenen Schatzes an socialen Refvrmgedanken sein, denn die Literatur auf diesem Gebiete ist groß und vielseitig. Daun aber ener¬ gisches und hingebendes Streben nach einem einzigen als zunächst erreichbaren Ziele. Die erste Prvductiv-Genossenschaft mit Großbetrieb ohne capitalistische Grundlage, deren Schaffung unter Beihilfe der Staats¬ regierung gelingt, wird mit einem Schlage alle Zweifel und alles Mißtrauen in die Aufrichtigkeit der Reformbestrebungen der kleinen socialdemokratischen Gruppe zu Boden schlagen. E. B. politische Briefe. ^7. Herr von Bennigsen, Der Austritt von achtundzwanzig Mitgliedern der nationalliberalen Partei wäre an sich ein unbedeutender Vorgang. Die Herren wollen eine große Partei

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/549>, abgerufen am 30.04.2024.