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Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal.

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seiner Partei eine Stellung angewiesen, welche auf dasselbe hinauskommt. Es
ist dies ein für unsere politische Entwicklung epochemachendes und in hohem
G rade erfreuliches Ereigniß.




Literatur.

Marburg und der siebenjährige Krieg. Ein Vortag. Von Wilhelm
Kolbe. Marburg, N. G.'Elwert, 1880.

Der Verfasser, der sein reges Interesse für die Geschichte der Stadt Marburg schon
durch mehrere Arbeiten bekundet hat, schildert in dem vorliegenden Schriftchen die
überaus wechselvollen und traurigen Geschicke, welche Marburg während des sieben¬
jährigen Krieges zu erdulden hatte. Die hessischen Truppen fochten im englischen
Solde aus Seiten Preußens gegenüber den Verbündeten. Ihnen fiel vorzugsweise
die Aufgabe zu, Mitteldeutschland gegen die Angriffe vom Rhein her zu schützen,
und so wurde Hessen bei seiner centralen Lage ein Tummelplatz der französischen
Heere, und Marburg, an der Hauptverkehrsstraße gelegen, welche vom Main nach
Norden, nach Westfalen und Hannover führt, und damals nicht unbedentend 'be¬
festigt, ein vielumworbener Stützpunkt für die militärischen Operationen. Um die
eigenthümliche Stellung Hessens in diesem Kriege zu erklären, wird im Beginn der
Abhandlung auf das Soldverhältuiß, in welchem der Landgraf zur englischen Re¬
gierung stand, hingewiesen. Kolbe findet, daß nur "Unkenntniß und böser Wille"
die hessischen Fürsten des Menschenhandels bezichtigen können. Sie hätten nicht
allein nur das gethan, was damals von allen Fürsten ohne Ausnahme geübt worden
sei, sondern hätten auch sogar ein gutes Recht gehabt, ihre Truppen um Geld
fremden Mächten zu leihen, da sie -- und der Verfasser bittet dabei ein auf dem
Gebiete der Industrie heute vielfach gebrauchtes Wort auch auf militärische Ver¬
hältnisse übertragen zu dürfen -- in ihren: Lande eine "Ueberproduction von Sol¬
daten" gehabt hätten. Jede Ueberproduction sei auf den auswärtigen Markt ange¬
wiesen, und so habe sich auch Hessen veranlaßt gesehen, mit seinen Soldaten anderen
Staaten zu dienen. Eine solche Erklärung dürfte nach Kapps eingehenden Unter¬
suchungen über den Soldatenhandel deutscher Fürsten Wohl niemanden genügen, und
überflüssig wäre es sie zurückweisen zu wollen. Höchst bezeichnend ist es aber, daß
Kolbe seinen Vergleich einem Gebiete entlehnt, auf welchem es sich doch nur um
Waare handelt. Nachdem der Verfasser einige wenige Bemerkungen über das hes¬
sische Militär gemacht und namentlich der sittlich-religiösen Strenge gedacht hat,
die damals im hessischen Truppencorps gehandhabt wurde und von der "wir heute
keine Ahnung mehr haben", erzählt er ohne Angaben seiner Quellen alle die Leiden,
Einquartierungen, Erpressungen, Brandschcchnngcn, welchen bei dem schwankenden
Kriegsglück die Bewohner Marburgs ausgesetzt waren, bis der längst ersehnte Frie¬
den bessere Zeiten brachte.




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. -- Druck von Hiithel K Herrmann in Leipzig-

seiner Partei eine Stellung angewiesen, welche auf dasselbe hinauskommt. Es
ist dies ein für unsere politische Entwicklung epochemachendes und in hohem
G rade erfreuliches Ereigniß.




Literatur.

Marburg und der siebenjährige Krieg. Ein Vortag. Von Wilhelm
Kolbe. Marburg, N. G.'Elwert, 1880.

Der Verfasser, der sein reges Interesse für die Geschichte der Stadt Marburg schon
durch mehrere Arbeiten bekundet hat, schildert in dem vorliegenden Schriftchen die
überaus wechselvollen und traurigen Geschicke, welche Marburg während des sieben¬
jährigen Krieges zu erdulden hatte. Die hessischen Truppen fochten im englischen
Solde aus Seiten Preußens gegenüber den Verbündeten. Ihnen fiel vorzugsweise
die Aufgabe zu, Mitteldeutschland gegen die Angriffe vom Rhein her zu schützen,
und so wurde Hessen bei seiner centralen Lage ein Tummelplatz der französischen
Heere, und Marburg, an der Hauptverkehrsstraße gelegen, welche vom Main nach
Norden, nach Westfalen und Hannover führt, und damals nicht unbedentend 'be¬
festigt, ein vielumworbener Stützpunkt für die militärischen Operationen. Um die
eigenthümliche Stellung Hessens in diesem Kriege zu erklären, wird im Beginn der
Abhandlung auf das Soldverhältuiß, in welchem der Landgraf zur englischen Re¬
gierung stand, hingewiesen. Kolbe findet, daß nur „Unkenntniß und böser Wille"
die hessischen Fürsten des Menschenhandels bezichtigen können. Sie hätten nicht
allein nur das gethan, was damals von allen Fürsten ohne Ausnahme geübt worden
sei, sondern hätten auch sogar ein gutes Recht gehabt, ihre Truppen um Geld
fremden Mächten zu leihen, da sie — und der Verfasser bittet dabei ein auf dem
Gebiete der Industrie heute vielfach gebrauchtes Wort auch auf militärische Ver¬
hältnisse übertragen zu dürfen — in ihren: Lande eine „Ueberproduction von Sol¬
daten" gehabt hätten. Jede Ueberproduction sei auf den auswärtigen Markt ange¬
wiesen, und so habe sich auch Hessen veranlaßt gesehen, mit seinen Soldaten anderen
Staaten zu dienen. Eine solche Erklärung dürfte nach Kapps eingehenden Unter¬
suchungen über den Soldatenhandel deutscher Fürsten Wohl niemanden genügen, und
überflüssig wäre es sie zurückweisen zu wollen. Höchst bezeichnend ist es aber, daß
Kolbe seinen Vergleich einem Gebiete entlehnt, auf welchem es sich doch nur um
Waare handelt. Nachdem der Verfasser einige wenige Bemerkungen über das hes¬
sische Militär gemacht und namentlich der sittlich-religiösen Strenge gedacht hat,
die damals im hessischen Truppencorps gehandhabt wurde und von der „wir heute
keine Ahnung mehr haben", erzählt er ohne Angaben seiner Quellen alle die Leiden,
Einquartierungen, Erpressungen, Brandschcchnngcn, welchen bei dem schwankenden
Kriegsglück die Bewohner Marburgs ausgesetzt waren, bis der längst ersehnte Frie¬
den bessere Zeiten brachte.




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grnnow in Leipzig.
Verlag von F. L- Herbig in Leipzig. — Druck von Hiithel K Herrmann in Leipzig-
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 39, 1880, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341831_157693/553>, abgerufen am 30.04.2024.