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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Laxpom.

"Daran ist viel zu lernen, aber schwerlich etwas nachzuahmen. Zu lernen
vor allem dies, daß die Stätigkeit der englischen Zustände, die dem entfernten
Beobachter, und die Zufriedenheit des Volkes, die in Zeiten der Prosperität
den Besucher mit Bewunderung und Neid erfüllt, auf andern Grundlagen be¬
ruhen muß als auf dein Parlamente. Wäre das Unterhaus das, was es nach
der Ansicht der Chartisten und ihrer Vorläufer sein sollte, und was die fran¬
zösische Nationalversammlung zu sein versuchte, das Gehirn oder der Magen
des Stantskörpers, so hätte der verkrüppelte Zustand, in dem es sich Jahr¬
hunderte hindurch befand, und die Quacksalberei, mit der es an sich selbst
herumcurirt, schou ganz andere Zuckungen in den Gliedern und ganz andere
Rückschläge auf das Haupt hervorgerufen."




Giuv (Lapponi.
von Veto Speyer.

s war an einem heißen Sommernachmittage des Jahre 18S0, als
ich mit dem Ritter G......i, einem Freunde Giuv Capponis
von meiner Wohnung im Palast Pandolfini in Via San Gallo
nach der nahen Via San Sebastian" fuhr, wo sich das schlo߬
artige Wohnhaus der Familie Capponi erhebt, im Rveveostil er¬
baut und an bequemer Pracht nur von dein Palast Corsini am Lung' Arno,
an Größe vielleicht nur von dem Palast Pitti übertroffen. Der Eigenthümer
selbst bewohnte nur einen Winkel des mächtigen Gebäudes, dessen Besitz er als
eine Last betrachtete. Treffliche Federzeichnungen von Sabatelli bildeten den
einzigen Schmuck des einfach altväterisch möblirten Arbeitszimmers. Die Fenster
waren dicht verhangen, wohl nur um die sengende Gluth der florentinischen
Mittagssonne abzuhalten, deren Licht die überdies hinter dunkelfarbigen Gläsern
verborgenen Augen des Eigenthümers nicht mehr zu blenden vermochte. Es
herrschte eine so tiefe Dämmerung in dem Gemache, daß ich nur allmählich die
Züge des Mannes zu erkennen vermochte, der sich ans seinem Lehnstuhl erhob
und uns mit freundlichem Ernste begrüßte. Giuv Capponi zählte noch nicht
6V Jahre, aber er erschien mir älter: das Antlitz zeigte tiefe Furchen, die hohe


Giuv Laxpom.

„Daran ist viel zu lernen, aber schwerlich etwas nachzuahmen. Zu lernen
vor allem dies, daß die Stätigkeit der englischen Zustände, die dem entfernten
Beobachter, und die Zufriedenheit des Volkes, die in Zeiten der Prosperität
den Besucher mit Bewunderung und Neid erfüllt, auf andern Grundlagen be¬
ruhen muß als auf dein Parlamente. Wäre das Unterhaus das, was es nach
der Ansicht der Chartisten und ihrer Vorläufer sein sollte, und was die fran¬
zösische Nationalversammlung zu sein versuchte, das Gehirn oder der Magen
des Stantskörpers, so hätte der verkrüppelte Zustand, in dem es sich Jahr¬
hunderte hindurch befand, und die Quacksalberei, mit der es an sich selbst
herumcurirt, schou ganz andere Zuckungen in den Gliedern und ganz andere
Rückschläge auf das Haupt hervorgerufen."




Giuv (Lapponi.
von Veto Speyer.

s war an einem heißen Sommernachmittage des Jahre 18S0, als
ich mit dem Ritter G......i, einem Freunde Giuv Capponis
von meiner Wohnung im Palast Pandolfini in Via San Gallo
nach der nahen Via San Sebastian» fuhr, wo sich das schlo߬
artige Wohnhaus der Familie Capponi erhebt, im Rveveostil er¬
baut und an bequemer Pracht nur von dein Palast Corsini am Lung' Arno,
an Größe vielleicht nur von dem Palast Pitti übertroffen. Der Eigenthümer
selbst bewohnte nur einen Winkel des mächtigen Gebäudes, dessen Besitz er als
eine Last betrachtete. Treffliche Federzeichnungen von Sabatelli bildeten den
einzigen Schmuck des einfach altväterisch möblirten Arbeitszimmers. Die Fenster
waren dicht verhangen, wohl nur um die sengende Gluth der florentinischen
Mittagssonne abzuhalten, deren Licht die überdies hinter dunkelfarbigen Gläsern
verborgenen Augen des Eigenthümers nicht mehr zu blenden vermochte. Es
herrschte eine so tiefe Dämmerung in dem Gemache, daß ich nur allmählich die
Züge des Mannes zu erkennen vermochte, der sich ans seinem Lehnstuhl erhob
und uns mit freundlichem Ernste begrüßte. Giuv Capponi zählte noch nicht
6V Jahre, aber er erschien mir älter: das Antlitz zeigte tiefe Furchen, die hohe


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[0208] Giuv Laxpom. „Daran ist viel zu lernen, aber schwerlich etwas nachzuahmen. Zu lernen vor allem dies, daß die Stätigkeit der englischen Zustände, die dem entfernten Beobachter, und die Zufriedenheit des Volkes, die in Zeiten der Prosperität den Besucher mit Bewunderung und Neid erfüllt, auf andern Grundlagen be¬ ruhen muß als auf dein Parlamente. Wäre das Unterhaus das, was es nach der Ansicht der Chartisten und ihrer Vorläufer sein sollte, und was die fran¬ zösische Nationalversammlung zu sein versuchte, das Gehirn oder der Magen des Stantskörpers, so hätte der verkrüppelte Zustand, in dem es sich Jahr¬ hunderte hindurch befand, und die Quacksalberei, mit der es an sich selbst herumcurirt, schou ganz andere Zuckungen in den Gliedern und ganz andere Rückschläge auf das Haupt hervorgerufen." Giuv (Lapponi. von Veto Speyer. s war an einem heißen Sommernachmittage des Jahre 18S0, als ich mit dem Ritter G......i, einem Freunde Giuv Capponis von meiner Wohnung im Palast Pandolfini in Via San Gallo nach der nahen Via San Sebastian» fuhr, wo sich das schlo߬ artige Wohnhaus der Familie Capponi erhebt, im Rveveostil er¬ baut und an bequemer Pracht nur von dein Palast Corsini am Lung' Arno, an Größe vielleicht nur von dem Palast Pitti übertroffen. Der Eigenthümer selbst bewohnte nur einen Winkel des mächtigen Gebäudes, dessen Besitz er als eine Last betrachtete. Treffliche Federzeichnungen von Sabatelli bildeten den einzigen Schmuck des einfach altväterisch möblirten Arbeitszimmers. Die Fenster waren dicht verhangen, wohl nur um die sengende Gluth der florentinischen Mittagssonne abzuhalten, deren Licht die überdies hinter dunkelfarbigen Gläsern verborgenen Augen des Eigenthümers nicht mehr zu blenden vermochte. Es herrschte eine so tiefe Dämmerung in dem Gemache, daß ich nur allmählich die Züge des Mannes zu erkennen vermochte, der sich ans seinem Lehnstuhl erhob und uns mit freundlichem Ernste begrüßte. Giuv Capponi zählte noch nicht 6V Jahre, aber er erschien mir älter: das Antlitz zeigte tiefe Furchen, die hohe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/208>, abgerufen am 29.04.2024.