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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Giuv Lapponi.

kräftige Gestalt schien gebeugt; ich hätte damals nicht geglaubt, daß er noch
über ein Vierteljahrhundert lang in ungeschwächter Geisteskraft leben würde.
Als ich ihm sagte, wie lebhaft ich gewünscht, die persönliche Bekanntschaft des
Mannes zu machen, den man anch in meinem Vaterlande als den edelsten
Vertreter des liberalen Patriotismus, als den Benjamin Constant Italiens ver¬
ehre, schüttelte er den Kopf und erwiederte: "Ich weiß das; aber ich weiß nicht,
wie ich zu diesem Rufe gekommen bin -- mein Verdienst ist es sicherlich nicht."
Als ich dagegen remonstriren und die Berechtigung der öffentlichen Meinung
in Bezug auf seine Person nachzuweisen versuche"? wollte, unterbrach er mich:
"Lassen wir das; ich habe mit der Politik abgeschlossen und lebe nur noch der
Wissenschaft." Vergeblich suchte ich, der gleichartigen Schicksale der deutschen
und der italienischen Bewegung von 1848 gedenkend, seine Ansicht über die Zu¬
kunft seines Vaterlandes zu erforschen: er blieb zurückhaltend und einsilbig. Erst
als ich seines kurz vorher verstorbenen Freundes Giusti erwähnte und mein
Interesse für diesen liebenswürdigen toscanischen Natioualdichter kundgab, wurde
er lebhaft und hielt dem Verstorbenen, der so oft verkannt und einseitig nur
als Satiriker aufgefaßt werde, eine warme Lobrede, die allmählich mit ver¬
änderten! Tone, gleichsam als ob er unsere Anwesenheit vergessen hätte, wie in
einen Monolog überging. Als er geendet hatte, lehnte er sich zurück und stützte
den Kopf in die Hand; mein Begleiter gab mir einen Wink, wir verabschiedeten
uns, und ich habe später nur noch einmal Gelegenheit gehabt, mit dein ver¬
ehrten Manne einige Worte zu wechseln. Desto öfter sah ich ihn am Arme
eines Begleiters durch die Straßen der Arnostadt wandeln, fast von allen Vor¬
übergehenden ehrfurchtsvoll begrüßt. Als ich dann nach 23jähriger Abwesen¬
heit die mächtige Kuppel Brnnelleschis und den herrlichen Campanile Giottos,
die Warzeichen von Florenz wieder erblickte, hatte man den Vierundachtzig¬
jährigen kurz zuvor hinausgetragen zur ewigen Ruhe.

Zwei persönliche Freunde haben dem Verstorbenen seither würdige literarische
Denkmale gesetzt, ein italienischer und ein deutscher Gelehrter, Marco Tabarrini*)
und Alfred von Reumont.^) Gleich in ihren Zielen, mit dem Lebensbilde
ihres Helden zugleich ein Bild seiner Zeit, ihrer politischen, socialen und lite¬
rarischen Bestrebungen zu liefern, weichen sie in ihren Mitteln und mehr noch
in ihrem nur theilweise durch die Verschiedenheit der nationalen Anschauung




*) Kino (Äxxom. I suol tomxi, i suol stuäi, i s,wi "wioi. Mrowiv, 1879.
--) Giuv Copponi. Ein Zeit- und Lebensbild. Gotha 1880. -- Kleinere Schriften
über ihn wurden veröffentlicht von Aurelio Gottl, Matteo Ricci, Silvrata, Cäsar Ccmsi,
de Gubernatis (in der RlvistA Lnroxoa) und Cäsar Guasti (in den Verhandlungen der Aka¬
demie ävlli" Lruso").
Giuv Lapponi.

kräftige Gestalt schien gebeugt; ich hätte damals nicht geglaubt, daß er noch
über ein Vierteljahrhundert lang in ungeschwächter Geisteskraft leben würde.
Als ich ihm sagte, wie lebhaft ich gewünscht, die persönliche Bekanntschaft des
Mannes zu machen, den man anch in meinem Vaterlande als den edelsten
Vertreter des liberalen Patriotismus, als den Benjamin Constant Italiens ver¬
ehre, schüttelte er den Kopf und erwiederte: „Ich weiß das; aber ich weiß nicht,
wie ich zu diesem Rufe gekommen bin — mein Verdienst ist es sicherlich nicht."
Als ich dagegen remonstriren und die Berechtigung der öffentlichen Meinung
in Bezug auf seine Person nachzuweisen versuche«? wollte, unterbrach er mich:
„Lassen wir das; ich habe mit der Politik abgeschlossen und lebe nur noch der
Wissenschaft." Vergeblich suchte ich, der gleichartigen Schicksale der deutschen
und der italienischen Bewegung von 1848 gedenkend, seine Ansicht über die Zu¬
kunft seines Vaterlandes zu erforschen: er blieb zurückhaltend und einsilbig. Erst
als ich seines kurz vorher verstorbenen Freundes Giusti erwähnte und mein
Interesse für diesen liebenswürdigen toscanischen Natioualdichter kundgab, wurde
er lebhaft und hielt dem Verstorbenen, der so oft verkannt und einseitig nur
als Satiriker aufgefaßt werde, eine warme Lobrede, die allmählich mit ver¬
änderten! Tone, gleichsam als ob er unsere Anwesenheit vergessen hätte, wie in
einen Monolog überging. Als er geendet hatte, lehnte er sich zurück und stützte
den Kopf in die Hand; mein Begleiter gab mir einen Wink, wir verabschiedeten
uns, und ich habe später nur noch einmal Gelegenheit gehabt, mit dein ver¬
ehrten Manne einige Worte zu wechseln. Desto öfter sah ich ihn am Arme
eines Begleiters durch die Straßen der Arnostadt wandeln, fast von allen Vor¬
übergehenden ehrfurchtsvoll begrüßt. Als ich dann nach 23jähriger Abwesen¬
heit die mächtige Kuppel Brnnelleschis und den herrlichen Campanile Giottos,
die Warzeichen von Florenz wieder erblickte, hatte man den Vierundachtzig¬
jährigen kurz zuvor hinausgetragen zur ewigen Ruhe.

Zwei persönliche Freunde haben dem Verstorbenen seither würdige literarische
Denkmale gesetzt, ein italienischer und ein deutscher Gelehrter, Marco Tabarrini*)
und Alfred von Reumont.^) Gleich in ihren Zielen, mit dem Lebensbilde
ihres Helden zugleich ein Bild seiner Zeit, ihrer politischen, socialen und lite¬
rarischen Bestrebungen zu liefern, weichen sie in ihren Mitteln und mehr noch
in ihrem nur theilweise durch die Verschiedenheit der nationalen Anschauung




*) Kino (Äxxom. I suol tomxi, i suol stuäi, i s,wi »wioi. Mrowiv, 1879.
—) Giuv Copponi. Ein Zeit- und Lebensbild. Gotha 1880. — Kleinere Schriften
über ihn wurden veröffentlicht von Aurelio Gottl, Matteo Ricci, Silvrata, Cäsar Ccmsi,
de Gubernatis (in der RlvistA Lnroxoa) und Cäsar Guasti (in den Verhandlungen der Aka¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/209>, abgerufen am 15.05.2024.