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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Literatur.

Schein der Rechtfertigung aber zeigen Einwände wie folgende: daß der Arbeiter
schlechter gestellt sei als nach dem Haftpflichtgesetz, weil er nicht mehr die volle
Entschädigung erstreiten könne wie nach diesem Gesetz, wenn er die Schuld des
Unternehmers nachweisen konnte, oder weil Arbeiter, deren Arbeitslohn über
750 Mark beträgt, die Hälfte ihrer Versicherungsprämie tragen sollen u. s. w.
Charakteristisch ist der allerdings bis jetzt sehr vereinzelt gewagte Versuch, die
Fortschrittspartei zur Ueberbietung der den Arbeitern durch den Entwurf ge¬
währten Wohlthat oder wenigstens zum Versprechen dieser Ueberbietung zu er¬
muntern. Die Fortschrittspartei würde dann alle manchesterlichen Grundsätze
verleugnen müssen. Außerdem würde sie wohl die Erfahrung machen, daß die
Fälschung von Experimenten verderblich ist, deren, wie niemand leugnet, unsichere
und gefährliche Natur die sorgfältigste Berechnung der Tragfähigkeit aller in
Anspruch genommenen Elemente erfordert. Kann die Fortschrittspartei etwas
Bessres vorschlagen, was haltbar und entwicklungsfähig ist, so möge sie nicht
säumen. Lie Ulroäns, nie Wien!




Literatur.

Die geschichtliche Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins. Von
Dr. Julius Tietz, Director der Stadttöchterschnle I. zu Hannover. Hannover,
Hahnsche Buchhandlung, 1330.

Der Verfasser dieses Buches definirt das Nationalbewußtsein als die Freude
der zu einem Volke zusammengeschlossenen Individuen an ihren eigenthümlichen Vor¬
zügen vor anderen Völkern und ihr Bestreben, innerhalb des Völkervrgcmismns als
schätzbares Glied anerkannt zu werden, und will nachweisen, welche Phasen diese
Empfindung des deutschen Volks im Laufe der Jahrhunderte erlebt hat. Daß es
ihm gelungen sei, seine Aufgabe in befriedigender Weise zu lösen, können nur nicht
finden. Was er uns giebt, ist nur ein kurzer Ueberblick über die deutsche Geschichte
mit besondrer Hervorhebung der Zeiten, in denen das Nationalgefühl sich lebendiger
regte, und derjenigen Männer, die auf die Erweckung desselben einwirkten. Ge¬
schrieben ist das Buch nicht ohne Geschick, mit patriotischem Sinne und unter Be¬
nutzung guter Hilfsmittel; doch macht es weder auf Selbständigkeit noch auf Tiefe
irgend welche Ansprüche.




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. -- Druck von Carl Margunrt in Reudnitz-Leipzig.
Literatur.

Schein der Rechtfertigung aber zeigen Einwände wie folgende: daß der Arbeiter
schlechter gestellt sei als nach dem Haftpflichtgesetz, weil er nicht mehr die volle
Entschädigung erstreiten könne wie nach diesem Gesetz, wenn er die Schuld des
Unternehmers nachweisen konnte, oder weil Arbeiter, deren Arbeitslohn über
750 Mark beträgt, die Hälfte ihrer Versicherungsprämie tragen sollen u. s. w.
Charakteristisch ist der allerdings bis jetzt sehr vereinzelt gewagte Versuch, die
Fortschrittspartei zur Ueberbietung der den Arbeitern durch den Entwurf ge¬
währten Wohlthat oder wenigstens zum Versprechen dieser Ueberbietung zu er¬
muntern. Die Fortschrittspartei würde dann alle manchesterlichen Grundsätze
verleugnen müssen. Außerdem würde sie wohl die Erfahrung machen, daß die
Fälschung von Experimenten verderblich ist, deren, wie niemand leugnet, unsichere
und gefährliche Natur die sorgfältigste Berechnung der Tragfähigkeit aller in
Anspruch genommenen Elemente erfordert. Kann die Fortschrittspartei etwas
Bessres vorschlagen, was haltbar und entwicklungsfähig ist, so möge sie nicht
säumen. Lie Ulroäns, nie Wien!




Literatur.

Die geschichtliche Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins. Von
Dr. Julius Tietz, Director der Stadttöchterschnle I. zu Hannover. Hannover,
Hahnsche Buchhandlung, 1330.

Der Verfasser dieses Buches definirt das Nationalbewußtsein als die Freude
der zu einem Volke zusammengeschlossenen Individuen an ihren eigenthümlichen Vor¬
zügen vor anderen Völkern und ihr Bestreben, innerhalb des Völkervrgcmismns als
schätzbares Glied anerkannt zu werden, und will nachweisen, welche Phasen diese
Empfindung des deutschen Volks im Laufe der Jahrhunderte erlebt hat. Daß es
ihm gelungen sei, seine Aufgabe in befriedigender Weise zu lösen, können nur nicht
finden. Was er uns giebt, ist nur ein kurzer Ueberblick über die deutsche Geschichte
mit besondrer Hervorhebung der Zeiten, in denen das Nationalgefühl sich lebendiger
regte, und derjenigen Männer, die auf die Erweckung desselben einwirkten. Ge¬
schrieben ist das Buch nicht ohne Geschick, mit patriotischem Sinne und unter Be¬
nutzung guter Hilfsmittel; doch macht es weder auf Selbständigkeit noch auf Tiefe
irgend welche Ansprüche.




Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig.
Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Carl Margunrt in Reudnitz-Leipzig.
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[0240] Literatur. Schein der Rechtfertigung aber zeigen Einwände wie folgende: daß der Arbeiter schlechter gestellt sei als nach dem Haftpflichtgesetz, weil er nicht mehr die volle Entschädigung erstreiten könne wie nach diesem Gesetz, wenn er die Schuld des Unternehmers nachweisen konnte, oder weil Arbeiter, deren Arbeitslohn über 750 Mark beträgt, die Hälfte ihrer Versicherungsprämie tragen sollen u. s. w. Charakteristisch ist der allerdings bis jetzt sehr vereinzelt gewagte Versuch, die Fortschrittspartei zur Ueberbietung der den Arbeitern durch den Entwurf ge¬ währten Wohlthat oder wenigstens zum Versprechen dieser Ueberbietung zu er¬ muntern. Die Fortschrittspartei würde dann alle manchesterlichen Grundsätze verleugnen müssen. Außerdem würde sie wohl die Erfahrung machen, daß die Fälschung von Experimenten verderblich ist, deren, wie niemand leugnet, unsichere und gefährliche Natur die sorgfältigste Berechnung der Tragfähigkeit aller in Anspruch genommenen Elemente erfordert. Kann die Fortschrittspartei etwas Bessres vorschlagen, was haltbar und entwicklungsfähig ist, so möge sie nicht säumen. Lie Ulroäns, nie Wien! Literatur. Die geschichtliche Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins. Von Dr. Julius Tietz, Director der Stadttöchterschnle I. zu Hannover. Hannover, Hahnsche Buchhandlung, 1330. Der Verfasser dieses Buches definirt das Nationalbewußtsein als die Freude der zu einem Volke zusammengeschlossenen Individuen an ihren eigenthümlichen Vor¬ zügen vor anderen Völkern und ihr Bestreben, innerhalb des Völkervrgcmismns als schätzbares Glied anerkannt zu werden, und will nachweisen, welche Phasen diese Empfindung des deutschen Volks im Laufe der Jahrhunderte erlebt hat. Daß es ihm gelungen sei, seine Aufgabe in befriedigender Weise zu lösen, können nur nicht finden. Was er uns giebt, ist nur ein kurzer Ueberblick über die deutsche Geschichte mit besondrer Hervorhebung der Zeiten, in denen das Nationalgefühl sich lebendiger regte, und derjenigen Männer, die auf die Erweckung desselben einwirkten. Ge¬ schrieben ist das Buch nicht ohne Geschick, mit patriotischem Sinne und unter Be¬ nutzung guter Hilfsmittel; doch macht es weder auf Selbständigkeit noch auf Tiefe irgend welche Ansprüche. Für die Redaction verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig. Verlag von F. L. Hcrbig in Leipzig. — Druck von Carl Margunrt in Reudnitz-Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/240>, abgerufen am 29.04.2024.