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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Berufsgenossen! Diese Kraft gilt es überall zu wecken, zu erziehen, zu orga-
nisiren. Weil der neue Entwurf damit einen glückliche,,, scharfsinnig und sach¬
gemäß erdachten Anfang macht, ist er so viel versprechend. Die Unternehmer
werden aufpassen lernen, welche Unternehmungen ihnen die Erhöhung der Prä¬
mientarife eintragen, und sie werden auf Mittel denken und solche finden, der¬
gleichen Unternehmern Besserung auf- oder das Handwerk ganz zu legen. Ebenso
werden die Arbeiter in den Betrieben auf Mittel denken, gegen den nachlässigen
Genossen Disciplin zu üben, der ihnen den Antheil unverbrauchter Prämien,
die man ihnen vielleicht zuweisen könnte, verkürzt. Letzteres ist allerdings ein
Gedanke, der sich in dem EntWurfe noch nicht findet, der aber der Erwägung
sehr werth scheint. Eine mögliche günstige Wirkung des Entwurfs ist auch die.
daß die Unternehmer, gezwungen auf die Verminderung der Unfälle zu sinnen,
anstatt hohe Prämientarife zu zahlen, lieber tüchtigere Arbeiter, also Arbeiter
der höhern Lohnklasse engangiren, deren Umsicht die Gefahr der Unfälle auf
das Minimum einschränkt.

Diese Andeutungen mögen genügen, um zu beweisen, wie glücklich die Spuren
eines verheißungsvoller Weges gefunden sind. Das Absehen von der Verschuldung
des Arbeiters, die Verpflichtung alleiniger Aufbringung der Entschädigung seitens
des Unternehmers nur in Fällen schwerer Verschuldung und die Feststellung
dieser Verschuldung nicht durch die Klage des Verunglückten, sondern der Reichs-
vcrsicherungsanstalt. die Einführung einer solchen Anstalt überhaupt -- diese
Punkte sind, wie verlautet, eigene Gedanken des Reichskanzlers. Niemand ist
wohl mehr als der Reichskanzler davon durchdrungen, daß hier nur ein Anfang
vorliegt, dessen glückliche Durchführung die erste Stufe zu weitern Schritten
sein muß. Auf den Schutz gegen die Verunglückungen muß zunächst der Schutz
gegen die natürliche Invalidität folgen, der aber nur erreichbar ist durch eine
immer größere Befestigung des Bandes zwischen den Unternehmungen und deu
bestimmten Persönlichkeiten der Arbeiter. In der sittlichen Hebung der Be¬
theiligten und ihrer gegenseitigen Beziehungen liegt für alle auch die wirthschaft¬
liche Besserung und Sicherung. Aber es fruchtet nicht, die sittliche Hebung
immer nur den Einzelnen zu predigen und ihrem Entschlüsse die Wahl der
Mittel zu überlassen, welche zur praktischen Besserung führen. Hier muß das
Allgemeine die Einzelnen führen, weil die Einzelnen nur durch Zusammenwirken
etwas vermögen, und weil stetige Impulse zweckmäßigen Zusammenwirkens nur
von dem Ganzen ausgehen können.

Die Kritik der Fortschrittsblütter gegen den Entwurf ist kleinlich, oberfläch¬
lich und zeigt nur Verlegenheit und Uebelwollen. Ein paar auf den ersten
Blick gerechtfertigte Einwendungen wurden schon berührt. Nicht einmal den


Berufsgenossen! Diese Kraft gilt es überall zu wecken, zu erziehen, zu orga-
nisiren. Weil der neue Entwurf damit einen glückliche,,, scharfsinnig und sach¬
gemäß erdachten Anfang macht, ist er so viel versprechend. Die Unternehmer
werden aufpassen lernen, welche Unternehmungen ihnen die Erhöhung der Prä¬
mientarife eintragen, und sie werden auf Mittel denken und solche finden, der¬
gleichen Unternehmern Besserung auf- oder das Handwerk ganz zu legen. Ebenso
werden die Arbeiter in den Betrieben auf Mittel denken, gegen den nachlässigen
Genossen Disciplin zu üben, der ihnen den Antheil unverbrauchter Prämien,
die man ihnen vielleicht zuweisen könnte, verkürzt. Letzteres ist allerdings ein
Gedanke, der sich in dem EntWurfe noch nicht findet, der aber der Erwägung
sehr werth scheint. Eine mögliche günstige Wirkung des Entwurfs ist auch die.
daß die Unternehmer, gezwungen auf die Verminderung der Unfälle zu sinnen,
anstatt hohe Prämientarife zu zahlen, lieber tüchtigere Arbeiter, also Arbeiter
der höhern Lohnklasse engangiren, deren Umsicht die Gefahr der Unfälle auf
das Minimum einschränkt.

Diese Andeutungen mögen genügen, um zu beweisen, wie glücklich die Spuren
eines verheißungsvoller Weges gefunden sind. Das Absehen von der Verschuldung
des Arbeiters, die Verpflichtung alleiniger Aufbringung der Entschädigung seitens
des Unternehmers nur in Fällen schwerer Verschuldung und die Feststellung
dieser Verschuldung nicht durch die Klage des Verunglückten, sondern der Reichs-
vcrsicherungsanstalt. die Einführung einer solchen Anstalt überhaupt — diese
Punkte sind, wie verlautet, eigene Gedanken des Reichskanzlers. Niemand ist
wohl mehr als der Reichskanzler davon durchdrungen, daß hier nur ein Anfang
vorliegt, dessen glückliche Durchführung die erste Stufe zu weitern Schritten
sein muß. Auf den Schutz gegen die Verunglückungen muß zunächst der Schutz
gegen die natürliche Invalidität folgen, der aber nur erreichbar ist durch eine
immer größere Befestigung des Bandes zwischen den Unternehmungen und deu
bestimmten Persönlichkeiten der Arbeiter. In der sittlichen Hebung der Be¬
theiligten und ihrer gegenseitigen Beziehungen liegt für alle auch die wirthschaft¬
liche Besserung und Sicherung. Aber es fruchtet nicht, die sittliche Hebung
immer nur den Einzelnen zu predigen und ihrem Entschlüsse die Wahl der
Mittel zu überlassen, welche zur praktischen Besserung führen. Hier muß das
Allgemeine die Einzelnen führen, weil die Einzelnen nur durch Zusammenwirken
etwas vermögen, und weil stetige Impulse zweckmäßigen Zusammenwirkens nur
von dem Ganzen ausgehen können.

Die Kritik der Fortschrittsblütter gegen den Entwurf ist kleinlich, oberfläch¬
lich und zeigt nur Verlegenheit und Uebelwollen. Ein paar auf den ersten
Blick gerechtfertigte Einwendungen wurden schon berührt. Nicht einmal den


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[0239] Berufsgenossen! Diese Kraft gilt es überall zu wecken, zu erziehen, zu orga- nisiren. Weil der neue Entwurf damit einen glückliche,,, scharfsinnig und sach¬ gemäß erdachten Anfang macht, ist er so viel versprechend. Die Unternehmer werden aufpassen lernen, welche Unternehmungen ihnen die Erhöhung der Prä¬ mientarife eintragen, und sie werden auf Mittel denken und solche finden, der¬ gleichen Unternehmern Besserung auf- oder das Handwerk ganz zu legen. Ebenso werden die Arbeiter in den Betrieben auf Mittel denken, gegen den nachlässigen Genossen Disciplin zu üben, der ihnen den Antheil unverbrauchter Prämien, die man ihnen vielleicht zuweisen könnte, verkürzt. Letzteres ist allerdings ein Gedanke, der sich in dem EntWurfe noch nicht findet, der aber der Erwägung sehr werth scheint. Eine mögliche günstige Wirkung des Entwurfs ist auch die. daß die Unternehmer, gezwungen auf die Verminderung der Unfälle zu sinnen, anstatt hohe Prämientarife zu zahlen, lieber tüchtigere Arbeiter, also Arbeiter der höhern Lohnklasse engangiren, deren Umsicht die Gefahr der Unfälle auf das Minimum einschränkt. Diese Andeutungen mögen genügen, um zu beweisen, wie glücklich die Spuren eines verheißungsvoller Weges gefunden sind. Das Absehen von der Verschuldung des Arbeiters, die Verpflichtung alleiniger Aufbringung der Entschädigung seitens des Unternehmers nur in Fällen schwerer Verschuldung und die Feststellung dieser Verschuldung nicht durch die Klage des Verunglückten, sondern der Reichs- vcrsicherungsanstalt. die Einführung einer solchen Anstalt überhaupt — diese Punkte sind, wie verlautet, eigene Gedanken des Reichskanzlers. Niemand ist wohl mehr als der Reichskanzler davon durchdrungen, daß hier nur ein Anfang vorliegt, dessen glückliche Durchführung die erste Stufe zu weitern Schritten sein muß. Auf den Schutz gegen die Verunglückungen muß zunächst der Schutz gegen die natürliche Invalidität folgen, der aber nur erreichbar ist durch eine immer größere Befestigung des Bandes zwischen den Unternehmungen und deu bestimmten Persönlichkeiten der Arbeiter. In der sittlichen Hebung der Be¬ theiligten und ihrer gegenseitigen Beziehungen liegt für alle auch die wirthschaft¬ liche Besserung und Sicherung. Aber es fruchtet nicht, die sittliche Hebung immer nur den Einzelnen zu predigen und ihrem Entschlüsse die Wahl der Mittel zu überlassen, welche zur praktischen Besserung führen. Hier muß das Allgemeine die Einzelnen führen, weil die Einzelnen nur durch Zusammenwirken etwas vermögen, und weil stetige Impulse zweckmäßigen Zusammenwirkens nur von dem Ganzen ausgehen können. Die Kritik der Fortschrittsblütter gegen den Entwurf ist kleinlich, oberfläch¬ lich und zeigt nur Verlegenheit und Uebelwollen. Ein paar auf den ersten Blick gerechtfertigte Einwendungen wurden schon berührt. Nicht einmal den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/239>, abgerufen am 15.05.2024.