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Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal.

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Zur logischen Frage.
von Lcnircid Hermcinn.

cgcls Name ist in der Geschichte der neuern Philosophie insbe¬
sondere dnrch die von ihm angestrebte Reform der Logik berühmt
geworden. Hegel mit seiner Zeit und der ganzen in ihr herr¬
schenden Richtung der Philosophie liegt jetzt hinter uns. Wir
sind in ein neues und weiteres Zeichen unter den Sternbildern
am Firmamente der Philosophie eingetreten. Auch die Logik Hegels ist wiederum
wesentlich in Vergessenheit gerathen, und es hat an ihrer Stelle von neuem die
ältere oder gemeine Logik, zunächst namentlich durch Vermittlung Herbarts und
TrendelenburgS, ihre Herrschaft ans den Universitäten und den Schulen befestigt.
Für die Anregung dieses an sich nbstraeten Themas vor einem größern Publieum
mochten wir eine Entschuldigung darin zu erblicken glauben, daß es sich hier
nicht um eine bloß philosophische, sondern um eine allgemein wissenschaftliche
Frage von einer bestimmten Wichtigkeit für unser ganzes geistiges Bildnngs-
leben überhaupt handeln dürfte.

Die Logik nimmt insofern eine besondere und ausgezeichnete Stellung in
dem Ganzen der Philosophie ein, als sie beinahe den einzigen unbestrittnen und
allgemein anerkannten Theil in allem weitern Umfange der Bestrebungen der¬
selben bildet. Die Philosophie ist, wie bekannt, fast zu allen Zeiten zerrissen
gewesen in eine weite Mehrheit wechselnder, sich bekämpfender und drängender
Richtungen oder Systeme. In allen andern Theilen derselben herrscht ein fort¬
währender Streit entgegengesetzter Ansichten und Meinungen; nur das allgemeine
Gesetz des wissenschaftlichen Denkens, wie es die sogenannte formale Logik in
sich enthält oder vertritt, wird widerspruchslos von jedermann anerkannt und
zugegeben, und die Philosophie hat zunächst auch immer diesem Theile ihre
äußere Stellung in dem Organismus der Wissenschaft und an den Universitäten
zu verdanken gehabt. Die formale Logik als solche hat darum eigentlich auch
keine Geschichte, oder es ist dasjenige, was jetzt hierunter verstanden wird, wesent¬
lich noch dasselbe, was schon von Anfang an und namentlich seit Aristoteles
und der Scholastik als allgemeiner Ausdruck des wissenschaftlichen Denkgcsetzes
angesehen worden ist. Eine radicale Reform dieses Theils der Philosophie aber
ist erst durch Hegel angestrebt oder durchzuführen versucht worden. Aristoteles
und Hegel aber sind die beiden größten Parteihäupter oder die Vertreter einer
doppelten allgemeinen entgegengesetzten Grnndaufsassung über das ganze Wesen


Zur logischen Frage.
von Lcnircid Hermcinn.

cgcls Name ist in der Geschichte der neuern Philosophie insbe¬
sondere dnrch die von ihm angestrebte Reform der Logik berühmt
geworden. Hegel mit seiner Zeit und der ganzen in ihr herr¬
schenden Richtung der Philosophie liegt jetzt hinter uns. Wir
sind in ein neues und weiteres Zeichen unter den Sternbildern
am Firmamente der Philosophie eingetreten. Auch die Logik Hegels ist wiederum
wesentlich in Vergessenheit gerathen, und es hat an ihrer Stelle von neuem die
ältere oder gemeine Logik, zunächst namentlich durch Vermittlung Herbarts und
TrendelenburgS, ihre Herrschaft ans den Universitäten und den Schulen befestigt.
Für die Anregung dieses an sich nbstraeten Themas vor einem größern Publieum
mochten wir eine Entschuldigung darin zu erblicken glauben, daß es sich hier
nicht um eine bloß philosophische, sondern um eine allgemein wissenschaftliche
Frage von einer bestimmten Wichtigkeit für unser ganzes geistiges Bildnngs-
leben überhaupt handeln dürfte.

Die Logik nimmt insofern eine besondere und ausgezeichnete Stellung in
dem Ganzen der Philosophie ein, als sie beinahe den einzigen unbestrittnen und
allgemein anerkannten Theil in allem weitern Umfange der Bestrebungen der¬
selben bildet. Die Philosophie ist, wie bekannt, fast zu allen Zeiten zerrissen
gewesen in eine weite Mehrheit wechselnder, sich bekämpfender und drängender
Richtungen oder Systeme. In allen andern Theilen derselben herrscht ein fort¬
währender Streit entgegengesetzter Ansichten und Meinungen; nur das allgemeine
Gesetz des wissenschaftlichen Denkens, wie es die sogenannte formale Logik in
sich enthält oder vertritt, wird widerspruchslos von jedermann anerkannt und
zugegeben, und die Philosophie hat zunächst auch immer diesem Theile ihre
äußere Stellung in dem Organismus der Wissenschaft und an den Universitäten
zu verdanken gehabt. Die formale Logik als solche hat darum eigentlich auch
keine Geschichte, oder es ist dasjenige, was jetzt hierunter verstanden wird, wesent¬
lich noch dasselbe, was schon von Anfang an und namentlich seit Aristoteles
und der Scholastik als allgemeiner Ausdruck des wissenschaftlichen Denkgcsetzes
angesehen worden ist. Eine radicale Reform dieses Theils der Philosophie aber
ist erst durch Hegel angestrebt oder durchzuführen versucht worden. Aristoteles
und Hegel aber sind die beiden größten Parteihäupter oder die Vertreter einer
doppelten allgemeinen entgegengesetzten Grnndaufsassung über das ganze Wesen


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[0380] Zur logischen Frage. von Lcnircid Hermcinn. cgcls Name ist in der Geschichte der neuern Philosophie insbe¬ sondere dnrch die von ihm angestrebte Reform der Logik berühmt geworden. Hegel mit seiner Zeit und der ganzen in ihr herr¬ schenden Richtung der Philosophie liegt jetzt hinter uns. Wir sind in ein neues und weiteres Zeichen unter den Sternbildern am Firmamente der Philosophie eingetreten. Auch die Logik Hegels ist wiederum wesentlich in Vergessenheit gerathen, und es hat an ihrer Stelle von neuem die ältere oder gemeine Logik, zunächst namentlich durch Vermittlung Herbarts und TrendelenburgS, ihre Herrschaft ans den Universitäten und den Schulen befestigt. Für die Anregung dieses an sich nbstraeten Themas vor einem größern Publieum mochten wir eine Entschuldigung darin zu erblicken glauben, daß es sich hier nicht um eine bloß philosophische, sondern um eine allgemein wissenschaftliche Frage von einer bestimmten Wichtigkeit für unser ganzes geistiges Bildnngs- leben überhaupt handeln dürfte. Die Logik nimmt insofern eine besondere und ausgezeichnete Stellung in dem Ganzen der Philosophie ein, als sie beinahe den einzigen unbestrittnen und allgemein anerkannten Theil in allem weitern Umfange der Bestrebungen der¬ selben bildet. Die Philosophie ist, wie bekannt, fast zu allen Zeiten zerrissen gewesen in eine weite Mehrheit wechselnder, sich bekämpfender und drängender Richtungen oder Systeme. In allen andern Theilen derselben herrscht ein fort¬ währender Streit entgegengesetzter Ansichten und Meinungen; nur das allgemeine Gesetz des wissenschaftlichen Denkens, wie es die sogenannte formale Logik in sich enthält oder vertritt, wird widerspruchslos von jedermann anerkannt und zugegeben, und die Philosophie hat zunächst auch immer diesem Theile ihre äußere Stellung in dem Organismus der Wissenschaft und an den Universitäten zu verdanken gehabt. Die formale Logik als solche hat darum eigentlich auch keine Geschichte, oder es ist dasjenige, was jetzt hierunter verstanden wird, wesent¬ lich noch dasselbe, was schon von Anfang an und namentlich seit Aristoteles und der Scholastik als allgemeiner Ausdruck des wissenschaftlichen Denkgcsetzes angesehen worden ist. Eine radicale Reform dieses Theils der Philosophie aber ist erst durch Hegel angestrebt oder durchzuführen versucht worden. Aristoteles und Hegel aber sind die beiden größten Parteihäupter oder die Vertreter einer doppelten allgemeinen entgegengesetzten Grnndaufsassung über das ganze Wesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 40, 1881, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341833_157697/380>, abgerufen am 29.04.2024.